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  • Frühlingszwiebelfest in Katalonien

Ein gutes Lauchgefühl

Calçots sind das Lieblingsgemüse der Katalanen. Gegrillt und mit viel Soße zelebrieren sie die zarten Sprösslinge der weißen Schalenknollen bei der Calçotada - einem Fest, bei dem man nicht die beste Kleidung tragen sollte

  • Carsten Heinke
  • Lesedauer: 6 Min.

Carmes Küche ist ein Tempel der Aromen: Vor allem das Olivenöl, das ihr Mann Antonio und Sohn Àngel selbst herstellen, scheint seinen Duft von Sonne, Gras und reifen Zitrusfrüchten längst auf das Inventar des Raumes vererbt zu haben. In großzügigen Mengen fließt es hier tagtäglich.

Heute riecht es in dem Haus, das an einem Hang der Serra de Marina nicht weit von Barcelona steht, auch nach frischen Frühlingszwiebeln. Und zwar nach ganz speziellen - Calçots genannt. Ihren milden, lieblichen Geschmack erhalten die Sprösslinge der weißen Schalenknollen durch Veredelung. Dazu steckt man fertig ausgebildete, schon geerntete Zwiebeln nochmals in den Boden. Sobald der Keimling seine Nase aus der Erde steckt, wird er erneut und wiederholt bedeckt und wächst so weiter, ohne grün zu werden. So entwickelt sich ein strammer, langer Körper ähnlich wie beim Porree, nur kleiner und viel zarter. »Die werden uns gut schmecken«, sagt die Katalanin mit der bunten Schürze schwärmerisch, nimmt die grün-weißen dicken Stängel liebevoll aus dem Papier und mustert sie wie echte Kostbarkeiten. Doch weder für Salat noch Suppe sollen die knubbeligen Schlotten dienen. Als Hauptzutat der Calçotada, Nationalgericht in Katalonien, sind sie zugleich die Hauptakteure bei dem Fest, das man eigens dafür inszeniert - völlig gleich, ob für eine ganze Stadt, einen Tisch im Restaurant oder so wie heute hier im Dorf Tiana nahe Badalona: mit Familie und Freunden.

Während die Hausfrau nun ein paar der Zwiebelstangen putzt und wäscht, kümmert sich ihr Gatte draußen um den großen Rest. Als Erstes holt er Feuerholz. Neben den Weinstöcken, an deren knorrig-krummen Ästen schon junges Laub und Minitrauben sprießen, liegt ein Haufen trockener Rebenzweige aus dem Winter. Der weißhaarige Mann trägt sie zum Gartenhaus, das im Wesentlichen aus einem rußgeschwärzten Ofen, Dach und Tisch besteht, zündet sie an und lässt sie knisternd lodern.

Im Dachziegel serviert

»Die Zwiebel ist die Königin der katalanischen Küche«, erklärt der 83-Jährige feierlich, klemmt das Kultgemüse zwischen zwei Gitter und legt es in das offene Feuer. Da die Calçots von außen sowieso verkohlen, kann man sich das Saubermachen sparen. Nur die Wurzelfäden und zu lange Blätter werden vorher abgeschnitten. »Sie brauchen Glut und Flammen«, belehrt der Kenner seinen Gast, das qualmende Geschehen nicht aus den Augen lassend.

Nach fünf bis zehn Minuten nimmt Antonio die nunmehr eher schwarzen Leckerbissen mit Handschuhen vom Grill. Je ein Dutzend - eine durchschnittliche Portion - rollt er in Zeitungspapier ein. »Innen garen sie jetzt noch weiter«, weiß der Profi und legt die heißen Päckchen stilgerecht auf Lehmdachziegel. So bleiben sie noch lange warm.

Mutter Carme deckt den Tisch auf der Terrasse. Wie ein großer Schirm schützt sie die Krone eines alten Maulbeerbaums. Über der geblümten Wachstuchdecke erscheint als dunkelblauer Streifen, umrahmt von Palmen, das Mittelmeer am nahen Horizont. Die Calçots, die sie inzwischen mit Ei und Mehl paniert und in der Pfanne mit Olivenöl gebraten hat, liegen duftend, knusprig-goldgelb auf dem Teller. In den Schüsselchen daneben steht Romesco, die leicht pikante Soßenpaste von kräftiger oranger Farbe. »Jede Familie hat ihr eigenes Rezept dafür«, sagt Carme.

Sie selbst macht sie - für etwa 25 Personen - aus 750 Gramm gerösteten Mandeln, 24 Tomaten, zwei Scheiben Toast, zwei hartgekochten Eiern, 1,5 Liter Olivenöl, einer Knoblauchzehe, einer kleinen getrockneten Paprikaschote (scharf) sowie Paprikapulver, Minze, Petersilie, Salz und Essig. Damit der Dipp sich gut mit den Calçots verbindet, sei es wichtig, dass vorm Pürieren alles kalt ist und man währenddessen stets die Konsistenz beachtet. »Die Masse muss geschmeidig sein - nicht zu fest und nicht zu flüssig«, so die Köchin. Mindestens eine Nacht sollte man dem Romesco geben, um sich geschmacklich richtig zu entfalten, fügt sie hinzu.

Eine ebenfalls sehr populäre Tunke mit weniger Tomaten und mehr Paprika ist Salvitxada. Die passt auch wunderbar zum Fleisch, das man gewöhnlich nach den Zwiebeln isst und das deshalb jetzt schon überm Feuer röstet. Zu trinken gibt es reichlich Rotwein, und zwar aus Porrós - Schnabelkrügen.

Explosives Grillgemüse

Diese sehr speziellen, wie gläserne Gießkannen aussehenden Gefäße stammen ebenso wie die Calçots aus Valls. Die kleine Stadt 20 Kilometer nördlich von Tarragona (etwa eine Fahrstunde von Barcelona), auch berühmt als Heimat der Castells, der berühmten Menschentürme, ist normalerweise jährlich Ende Januar Austragungsort des Calçotada-Festivals. Die Straßen sind dann voller Menschen. Alle essen, trinken, feiern das geliebte Lauchgewächs mit üppigen Gelagen, Musik und Trachtentänzen.

Zu den Höhepunkten zählen Wettbewerbe. Da ringen Zwiebelzüchter wie auch Soßenköche um Pokale. Beim Schnellessen siegt, wer sich in 45 Minuten unter dem Applaus der Massen die größte Menge Grill-Schalotten einverleibt. Der Rekord liegt bei unglaublichen 275 Stück sprich 3,83 Kilogramm. Besonders angesichts solcher Zahlen erklärt es sich von selbst, dass Calçotadas stets an frischer Luft stattfinden. Denn die blähpotenten Schmankerln verfügen wahrlich über explosive Kräfte. Mehr als 15 sollte man - mit Rücksicht auf die Tischgenossen - im Normalfall nicht verzehren.

Wegen der Pandemie fand in den letzten beiden Jahren das große Festival nicht statt, dafür im kleinen Rahmen umso häufiger. Zahlreiche Restaurants in ganz Katalonien haben die traditionelle Schlemmerei auf ihren Speisekarten - oft lange über die eigentliche Saison hinaus fast bis in die Sommermonate hinein.

Nicht klotzen, sondern kleckern

Bei Carme und Antonio in Tiana landen endlich die gefüllten Ziegel auf dem Tisch. Wer sich gefragt hat, warum zu einer Calçotada kein feiner Zwirn getragen wird, der weiß es jetzt. Denn dieses urige Spektakel ist eine Riesenmatscherei und ein Heidenspaß. Wer dabei alles richtig macht, hat überwiegend rußgeschwärzte linke Finger. Die rechten sind hingegen überwiegend klebrig rot-orange (bei Linkshändern natürlich umgedreht).

Denn während man die angebrannte Außenhaut in einer Hand hält, zieht man mit der anderen das warme, saftig-weiche Innenteil heraus, tunkt es in die Soße, um es dann im Ganzen - mit ausgestrecktem Arm von oben - wie eine lange Nudel in den Mund zu führen. Der Geschmack ist köstlich zwiebelig, gekrönt von einem herzhaft-rauchigen Aroma.

Besteck ist bei der rustikalen Schlemmerei tabu, Sabberlätzchen ebenfalls. Die gibt es nur im Restaurant. Normalerweise sehen Tisch und Leute darum am Ende wie nach einer Vorschulkinderparty aus. Denn beim Zwiebelfest der Katalanen wird nicht geklotzt, sondern gekleckert!

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