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Reiserecht: Für welche Mängel gibt es wie viel Geld zurück?
Was ist überhaupt ein Reisemangel? Generell unterscheidet man bei Reisereklamationen zwischen Unannehmlichkeiten und echten Mängeln. Unannehmlichkeiten sind beispielsweise Flugverspätungen bis zu mehreren Stunden oder typische Gegebenheiten des Ziellandes. Eine weitere Grenze der Haftung des Reiseveranstalters liegt in der Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos wie z. B. selbst verschuldete Unfälle, wetterbedingte Umstände sowie kriminelle Handlungen von Einheimischen gegenüber den Reisenden. Ein echter Mangel besteht immer dann, wenn Vertragsleistungen nicht erbracht werden. Hier gilt der Grundsatz der Prospektwahrheit: Was im Katalog versprochen wird, muss am Urlaubsort auch tatsächlich geleistet werden. Ist dies nicht der Fall, kann der Reisende Gewährleistungsansprüche je nach Schwere des Mangels geltend machen. Als Anhaltspunkt gibt die »Frankfurter Liste« Auskunft über die Höhe gängiger Reisepreisminderungen bei typischen Reisemängeln. Sie ist allerdings nicht rechtlich verbindlich.
Richtig und rechtzeitig reklamieren! Hierzu Anja-Mareen Knoop, Expertin der Rechtsschutzversicherung: »Reisemängel müssen grundsätzlich unbedingt noch vor Ort bei der Reiseleitung beanstandet werden. Mängel sind auch dann anzuzeigen, wenn diese dem Reiseveranstalter bereits bekannt sind. Jeder Reisende muss für sich selbst seine Rüge erheben. Sorgt die Reiseleitung nicht für Abhilfe, muss der Reisemangel spätestens einen Monat nach Rückkehr schriftlich, am besten mit Fotos des Mangels und den Anschriften möglicher Zeugen, beim Reiseveranstalter angezeigt werden.« Dabei muss der Kunde unbedingt eine Reisepreisminderung verlangen. Vom Zeitpunkt dieser schriftlichen Mängelrüge an bleibt der Anspruch des Reisenden dann zwei Jahre lang bestehen. Reisemangel trotz Fristüberschreitung:
Einen juristisch ungewöhnlichen Fall hatte kürzlich der Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorliegen: Eine Frau wurde während ihres Urlaubs in einer Hotelanlage während einer Animationsveranstaltung von einem geworfenen Schuh versehentlich am Kopf getroffen. Erst mehrere Wochen später stellten sich schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen ein. Die Frau versuchte daraufhin, nachträglich Schadenersatz gegen den Reiseveranstalter geltend zu machen, auch wenn in diesem Fall auf den ersten Blick kein Reisemangel im Sinne einer Vertragsverletzung des Veranstalters zu erkennen war.
Die Klägerin hatte allerdings Glück im Unglück: Der Veranstalter hätte die Verletzungsgefahr erkennen müssen und durch ein Verbot des Schuhewerfens während der Animationsshow den Schaden verhindern können, argumentierten die Richter.
Aufgrund der besonderen Umstände und weil sie die bindenden Fristen ohne eigenes Verschulden versäumt hatte, bejahte der Bundesgerichtshof außerdem die vertragliche Haftung des Reiseveranstalters und verwies zur Urteilsfindung an das Berufungsgericht zurück.
Nicht alle Reiseveranstalter halten, was ihre Prospekte versprechen. Hat eine Reise deutliche Mängel, so kann der Kunde den Preis mindern. Nur, wenn Reiseleistungen völlig wertlos sind und Touristen deshalb ihren Urlaub abbrechen, ist eine Erstattung des vollen Reisepreises zumindest möglich.
Nicht jede Unannehmlichkeit ist gleich ein Reisemangel, der zur Minderung des Preises berechtigt. Wie viel Geld der Reisende für welchen Mangel zurück bekommt, lässt sich nicht einheitlich beantworten, sondern muss von den Gerichten in jedem Einzelfall entschieden werden. Vielfach orientieren sich die Richter an einer vom Landgericht Frankfurt entwickelten Liste (»Frankfurter Tabelle«), die zwar nicht verbindlich ist, aber grobe Richtwerte enthält. Der Anwalt-Suchservice nennt Beispiele:
Ausstattung der Unterkunft: Ist die Unterkunft nicht so ausgestattet, wie im Prospekt beschrieben, gibt es Geld zurück. Wer zum Beispiel ein Zimmer mit Balkon oder mit Meerblick gebucht hat, der dann tatsächlich nicht vorhanden ist, erhält laut Frankfurter Tabelle zwischen 5 und 10 Prozent des Reisepreises zurück. Ist das Hotelzimmer deutlich kleiner als im Prospekt beschrieben, so können Urlauber ebenfalls um 5 bis 10 Prozent mindern. Bei gravierenden Unterkunftsmängeln kann die Minderung auch höher ausfallen. So hat das Landgericht Arnsberg Urlaubern, die statt in einem Hotel in einer Jugendherberge untergebracht wurden, in der es für 27 Zimmer nur zwei Toiletten und zwei Duschen gab, eine 20-prozentige Minderung zuerkannt (Urt. v. 27.2.2007 - 5 S 115/06).
Fehlende Freizeiteinrichtungen: Auch das Fehlen von im Prospekt angegebenen Sport- bzw. Freizeiteinrichtungen ist ein Reisemangel. So schlagen eine fehlende Surf- bzw. Tauchschule oder ein fehlender Tennisplatz mit 5 bis 10 Prozent zu Buche. Hat das Hotel keinen Pool oder ist der Strand stark verschmutzt, so können Urlauber nach der Frankfurter Tabelle sogar zwischen 10 und 20 Prozent des Reisepreises zurückverlangen.
Ruhestörungen: Wird im Reiseprospekt eine ruhige Lage zugesichert, können Urlauber den Reisepreis bei Lärmbelästigungen am Tage laut Frankfurter Tabelle um 5 bis 25 Prozent und bei nächtlichem Lärm um 10 bis 40 Prozent kürzen. In krassen Fällen kann die Minderung sogar noch höher ausfallen. Das Amtsgericht Frankfurt/a.M. hat Urlaubern, die auf einer Schiffsreise wegen extremen nächtlichen Lärms durch fehlerhaft arbeitende Schiffsstabilisatoren am Schlafen gehindert wurden, für die betreffenden Urlaubstage eine Minderung um 50 Prozent zuerkannt. Zusätzlich erhielten sie Schadensersatz für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit (Urt. v. 5.9.2005; Az.: 30 C 1259/05).
Mangelnde Sauberkeit: Geld zurück gibt es auch bei mangelnder Sauberkeit. So berechtigt z.B. Ungezieferbefall - je nach Intensität - zu einer Minderung zwischen 10 und 50 Prozent. Müssen die Gäste von verschmutztem Geschirr oder Besteck essen, können sie laut Tabelle 10 bis 15 Prozent zurückverlangen.
Von kaputten Stühlen,
unfreundlichem Personal und
ungesichertem Stromkabel
Ein Ehepaar mit Kind hatte einen 14-tägigen Pauschalurlaub in einem 5-Sterne-Hotel in der Türkei gebucht. Doch gleich am ersten Tag machte sich Ärger breit.
Am Pool lag dauernd ein ungesichertes Stromkabel herum und für 1000 Gäste standen nur 300 Liegen zur Verfügung. Außerdem waren statt der zugesicherten 27 Wasserrutschen bloß zehn vorhanden.
Doch damit nicht genug. Zur Hotelbar gelangte die Familie allein über einen unzureichend befestigten Weg, auf dem die Tochter auch noch stürzte. Später an der Bar brach der Ehemann gleich zweimal mit seinem Stuhl zusammen, so dass sie diesen Bereich in der Folgezeit mieden.
Obendrein haderten die Urlauber mit dem Service im Hotel. So empfanden sie das Personal stets als zu unfreundlich und ärgerten sich über 15-minütige Warteschlangen am Buffet, an dem es zu ihrem Verdruss immer nur geschnetzeltes Fleisch gab. Hinzu kam, dass Schweißarbeiten die Essenzeiten ständig beeinträchtigten.
Zwar rügten die Eheleute die vermeintlichen Mängel noch vor Ort, verharrten aber trotzdem die kompletten 14 Tage in der Hotelanlage. Später forderten sie gerichtlich den vollen Reisepreis zurück. Das Landgericht Düsseldorf sprach der Familie nur einen Teilbetrag zu (Urt. v. 22.2.2007 - 22 S 380/05).
Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Reisepreis um 100 Prozent gemindert werden solle, so das Gericht. Dann müssten die Reiseleistungen schon völlig wertlos und unerträglich gewesen sein. Und in einem solchen Fall hätte die Familie den Urlaub sofort abbrechen müssen, was sie aber nicht getan habe.
Für das Stromkabel am Pool sei jedenfalls eine Reisepreisminderung von fünf Prozent gerechtfertigt, so das Gericht. Der Ärger mit der Bestuhlung an der Bar schlage nur mit drei Prozent zu Buche. Für die fehlenden Rutschen und Liegen, den ungesicherten Weg zur Bar sowie die Schweißarbeiten zu den Essenzeiten seien insgesamt 15 Prozent statthaft.
Die restlichen Unannehmlichkeiten stellten hingegen keinen Mangel dar, so die Richter. Gerichte mit klein geschnittenem Fleisch seien in der Türkei üblich. Ebenso wie Wartezeiten in großen Pauschaltouristen-Hotels normal sind. Die Behauptung, das Personal sei zu unfreundlich, sei zu pauschal und lasse nicht auf einen Mangel schließen.
Rückflug verschlafen: Reiseveranstalter haftet
für mangelhaften Weckservice
Verpassen Urlauber ihren Rückflug, weil der Weckdienst des Hotels sie zu spät weckte, muss der Reiseveranstalter Schadenersatz für neue Flugtickets leisten. So entschied das Amtsgericht Duisburg (AZ: 51 C 6214/05 am 31. Oktober 2006).
Die Klägerin verbrachte mit vier Mitreisenden ihren Urlaub in einem Hotel auf den Kanarischen Inseln. Bei dem gebuchten Hotel handelte es sich laut Katalogbeschreibung um ein Komforthotel der Kategorie »Top Bestleistung«. Vor ihrer Abreise bestellte die Klägerin einen Weckanruf beim Hotelpersonal, der allerdings nicht rechtzeitig ausgeführt wurde. In Folge dessen verschliefen die Urlauber ihren Heimflug und mussten neue Flugtickets kaufen. Den Betrag hierfür forderte die Klägerin vom Reiseveranstalter zurück. Der wollte jedoch nicht zahlen, da er seiner Meinung nach nichts für das Verschulden des Hotelpersonals könne.
Das sah das Gericht jedoch anders. Ein Weckservice sei bei Hotels der gehobenen Kategorie Standard, der nicht ausdrücklich in der Katalogbeschreibung erwähnt werden müsse. Werde dieser Service nicht oder nur unzuverlässig erbracht, liege ein Reisemangel vor, für den der Reiseveranstalter haften müsse. Allerdings nicht für die gesamten Kosten, da die Reisenden in dem Fall eine hälftige Mitschuld treffe: Sie hätten zusätzlich den Wecker stellen sollen.
Tödlicher Sturz vom Balkon:
Reiseveranstalter muss haften
Ein deutsches Ehepaar verbrachte seinen Urlaub in der Türkei. Sie wohnten in einem Zimmer mit Balkon im dritten Stock. Nach einem Abend in der Hotelbar legte sich die Ehefrau schlafen, während ihr Mann auf den Balkon ging, um noch eine Zigarette zu rauchen. Etwas später wachte die Frau von einem lauten Krach auf - und entdeckte voller Entsetzen, dass ihr Mann vom Balkon gestürzt war. Er starb noch am Unfallort.
Das Balkongeländer sei mit 56 Zentimetern so niedrig, dass dies einen Sicherheitsmangel darstelle, warf die Witwe dem Reiseveranstalter vor. Sie forderte Schadenersatz. Der Reiseveranstalter sah dafür keinerlei Anlass: Die Hotelanlage entspreche allen im Urlaubsland geltenden Vorschriften. Im Übrigen sei der Urlauber nur abgestürzt, weil er zu viel Alkohol getrunken habe. Diese Argumente ließ das Oberlandesgericht Köln jedoch nicht gelten (16 U 40/06).
Dass Reisende im Urlaub Alkohol konsumierten, sei gang und gäbe, erklärten die Richter: Dafür seien Einrichtungen wie Hotelbars schließlich da. Also müsse man auch mit Gleichgewichtsstörungen rechnen. Balkone dürften für angetrunkene Gäste kein Risiko darstellen. Reiseveranstalter müssten Vertragshotels sorgfältig auswählen und deren Sicherheitsstandard überprüfen. Das sei offenbar nicht geschehen. Ansonsten hätte sich dem Veranstalter die Erkenntnis geradezu aufdrängen müssen, dass auf den Balkonen die Absturzgefahr extrem hoch sei. Das sei ein Sicherheitsmangel - unabhängig davon, was die türkischen Bauvorschriften besagten.
Sturz durch Hotel-Glastür:
Veranstalter muss nicht für
Sicherheitsglas sorgen
Eine deutsche Familie verbrachte ihren Urlaub in Bulgarien. Eines Abends rutschte der Familienvater aus und stürzte in eine Glastür des Hotels - und verletzte sich an der Halsschlagader. Der Unfall hätte tödlich enden können, wäre nicht zufällig ein Arzt in der Nähe gewesen, der den Urlauber medizinisch versorgte. Nach der Rückkehr forderte der Verletzte Schmerzensgeld: Die Glastüre hätte aus Sicherheitsglas sein müssen. Schließlich sei der Reiseveranstalter dafür verantwortlich, dass seine Kunden im Vertragshotel keine Schäden erleiden. Doch das Oberlandesgericht Köln wies die Zahlungsklage ab (16 U 31/06).
Nicht einmal nach deutschem Sicherheitsstandard müssten Glastüren (wie etwa Balkon- oder Terrassentüren) mit splitterfreiem Glas ausgestattet sein oder andernfalls Warnaufkleber tragen. Das sei auch in Bulgarien nicht vorgeschrieben - was der verletzte Urlauber selbst auch nicht behauptet hatte. Der Reiseveranstalter sei auch nicht verpflichtet, alle Hotel-Glastüren zu überprüfen, die normalerweise kein besonderes Risiko darstellten. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn der Reiseveranstalter für ein bestimmtes Hotel mit der Behauptung werbe, dessen Ausstattung sei besonders kindgerecht und kindersicher. Verletze sich dann ein Kind, käme eine Haftung in Betracht.
Eine »Sportreise« mit
Baustellenlärm an
Strand und Bungalow
Starker Baustellenlärm am Urlaubsort erlaubt eine Minderung des Reisepreises um 25 Prozent. Das Amtsgericht München hielt diese Herabsetzung in einem kürzlich veröffentlichten Urteil angesichts der Urlaubsbeeinträchtigung sogar für »moderat« (Az.: 133 C 25925/06).
Drei Urlauber hatten 2006 eine Pauschalreise auf die Philippinen mit mehreren Tauchgängen gebucht. Neben ihrem Hotel waren zwei Baustellen, eine dritte in Hörweite. Die Reisenden konnten sich weder in ihren Bungalows noch an Strand oder Pool in normaler Lautstärke unterhalten. Sie minderten den Preis um 25 Prozent, der Reiseveranstalter wollte nicht zahlen. Nicht der Wert der Einzelleistung sei maßgeblich, sondern die Pauschalvergütung, hielt die Richterin dem entgegen.
Die Tauchgänge könnten zwar herausgerechnet werden, jedoch sei die Reise als »Sportreise« angeboten worden. Aber auch die Sportausübung sei gestört worden, da sich die Tauchschule direkt neben einer Großbaustelle befand und sich die Kläger nach dem Tauchen wegen des Lärms nicht einmal hätten ausruhen können.
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