Ein Angriff pro Woche

Moscheegemeinden sind regelmäßig Opfer von Angriffen. Unterstützung von Polizei und Gesellschaft erhalten sie kaum

  • Fabian Goldmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Rassistische Schmierereien, eingeworfene Fensterscheiben, Brandanschläge: Mindestens einmal pro Woche wurde im vergangenen Jahr in Deutschland eine Moschee Ziel eines Angriffs. So geht es aus der Polizeilichen Kriminalstatistik hervor. Mit welchen Problemen die Betroffenen teils noch lange nach den Angriffen zu kämpfen haben, zeigen die offiziellen Zahlen nicht. Dieser Frage ist nun erstmals eine Studie nachgegangen. Sie dokumentiert, wie Moscheegemeinden von Medien, Behörden und Politik nach Angriffen alleingelassen werden.

Die Initiative brandeilig.org, die seit 2019 Angriffe auf Moscheen dokumentiert, hat dazu 120 Moscheeangriffe aus dem Jahr 2018 genauer untersucht. Aufschlussreich sind vor allem die Ergebnisse der 68 Gespräche, die die Forschenden mit Vertreter*innen von Moscheegemeinden geführt haben. Fast die Hälfte von ihnen gibt an, dass ihre Gemeinden bereits mehrmals das Ziel von Angriffen wurden. Für die Kosten für die Beseitigung der Schäden müssten die Gemeindemitglieder in aller Regel selbst aufkommen. Nur in wenigen Fällen würden Versicherungen einspringen. Meist folge in solchen Fällen die Kündigung des Versicherungsvertrages.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Auch durch die Polizei erfahren von Angriffen betroffene Moscheen nur unzureichend Unterstützung. In jedem zweiten Fall seien gar keine Polizist*innen am Tatort erschienen, sondern hätten sich nur telefonisch oder postalisch gemeldet. Zu Ermittlungserfolgen kommt es der Untersuchung zufolge nur in Ausnahmefällen. Tatverdächtige seien selbst in den Fällen nicht ermittelt worden, bei denen sie auf Aufnahmen von Überwachungskameras klar zu erkennen gewesen waren oder selbst Videos von sich ins Netz gestellt hätten. Lediglich in zwei Fällen habe es Verurteilungen gegeben.

»Ich halte es für sehr besorgniserregend, dass die Aufklärungsrate sehr gering ist und Täter*innen nicht ermittelt und gefasst werden konnten. Vor allem wenn man bedenkt, dass bei fast jedem zweiten Angriff physische Gewalt eingesetzt wurde und circa 45 Prozent der Angriffe von Rechtsextremisten ausgingen«, erklärt Studienmacher Yusuf Sari gegenüber »nd«.

Die Ergebnisse seiner Untersuchung decken sich mit offiziellen Zahlen. Anfang des Jahres gab das Bundesinnenministerium auf eine Kleine Anfrage der Linken bekannt, im vierten Quartal 2021 insgesamt 171 islamfeindliche Delikte erfasst zu haben. Ermittlungsverfahren oder Verurteilungen gab es in diesem Zusammenhang im selben Zeitraum hingegen keine einzige.

Nicht nur Ermittlungsbehörden, auch Medien und Politik bescheinigt die Untersuchung von brandeilig.org mangelndes Interesse an den Opfern islamfeindlicher Übergriffe. So sei nur über jeden zweiten Moscheeangriff überhaupt in der Presse berichtet worden. Die Mehrzahl der Berichte entfalle außerdem auf nicht-deutschsprachige Medien. Dass sich das Ausland im Zweifel mehr für Angriffe auf deutsche Moscheen interessiert als die deutsche Öffentlichkeit, zeigt sich auch an der Zahl von Solidaritätsbekundungen. Besuche von Bürgermeister*innen und anderen lokalen Politiker*innen – so berichten die interviewten Moscheevertreter*innen – gebe es nur selten. Die stärkste Unterstützung erfahren betroffene Moscheen durch andere Moscheegemeinden sowie durch Vertreter*innen türkischer Konsulate.

Neben der Installation von Überwachungskameras und einer Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Gemeinden und Behörden fordern die Macher*innen der Studie deshalb mehr Engagement von der deutschen Mehrheitsbevölkerung: »Wir haben erfahren, dass die Gemeinden nach einem Angriff häufig allein gelassen werden. Wenn mehr gesamtgesellschaftliche Solidarität gezeigt werden würde und mehr Täter*innen gefasst werden würden, hätte das womöglich eine abschreckende Wirkung und könnte dazu beitragen, die Angriffe auf Muslime und ihre Moscheen zu senken«, sagt Sari. Wie viele solcher Übergriffe es aktuell gibt, verrät die Untersuchung allerdings nicht. Für das Jahr 2021 umfasst die Polizeiliche Kriminalstatistik 732 Straftaten in der Rubrik »islamfeindlich«, darunter 54 Angriffe auf Moscheen. Brandeilig.org und andere Betroffeneninitiativen gehen allerdings davon aus, dass die Dunkelziffer wesentlich höher liegt.

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