Eklat oder »Windfrieden«?

Im Streit um Windräder in Thüringen will die AfD mit der CDU stimmen. Rot-Rot-Grün bietet Gespräche an

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 5 Min.
Eine Frage des Abstands: Wie weit Windkraftanlagen von Siedlungen entfernt sein müssen, ist umstritten.
Eine Frage des Abstands: Wie weit Windkraftanlagen von Siedlungen entfernt sein müssen, ist umstritten.

Mario Voigt, Vorsitzender der Thüringer CDU-Landtagsfraktion, sieht im Streit um einen Gesetzentwurf, der in dieser Woche im Landtag behandelt werden soll, den rot-rot-grünen Versuch, eine Sachfrage »moralisch aufzuladen«. In Erfurt erklärt er, wie das aus seiner Sicht ist mit dem Tagesordnungspunkt 25 der Sitzung am Donnerstag. Dann soll ein Gesetzentwurf der CDU-Fraktion zur finalen Abstimmung im Parlament gestellt werden, über den die Thüringer Bauordnung so geändert werden würde, dass es praktisch unmöglich sein wird, neue Windräder näher als 1000 Meter an Wohngebäude heranzubauen.

Die Frage, wie nahe diese Anlagen nach derzeit geltendem Recht an Wohnungen oder Privathäuser herangebaut werden dürfen, ist komplex. Eine genaue Meter-Zahl gibt es nach Angaben einer Sprecherin des Thüringer Infrastrukturministeriums nicht. Vielmehr hänge das unter anderem davon ab, um welche Region Thüringens es geht und ob dort bereits Windräder errichtet sind. Prinzipiell aber können Windräder unter bestimmten Bedingungen weniger als einen Kilometer von Wohnsiedlungen entfernt errichtet werden. Windkraftgegner laufen gegen diese Möglichkeit seit Jahren Sturm. Viele von ihnen wollen, dass die Anlagen mindestens 1000 Meter weit von bewohnten Gebieten entfernt stehen müssen. Besser noch weiter weg.

Die CDU will diese Stimmung aufgreifen. Wenn man die Menschen im Land frage, ob die einen Mindestabstand von 1000 Metern richtig hielten, dann würden 70 bis 75 Prozent der Thüringer sagen, dass sie dem zustimmten, meint Voigt. Gleichzeitig betont er, es gehe der Union nicht darum, die Erzeugung von Windenergie in Thüringen abzuwürgen. Doch anstatt neue Windräder in der Nähe von Wohnsiedlungen zu bauen, müssten bestehende Anlagen so aufgerüstet werden, dass sie mehr Strom erzeugen könnten.

Dass die Union exakte Mindestabstände festschreiben will, ist seit Langem bekannt. Thüringens Energieministerin Anja Siegesmund (Grüne) – so wie die rot-rot-grünen Fraktionen insgesamt – lehnt die Pläne der Union ab. Aus fachlichen Gründen. Seit Jahren gebe der Windenergie-Erlass des Landes einen Orientierungsrahmen, wie nah Windräder an Wohngebäude heranrücken dürften, so die Grünen-Politikerin. Danach ist es unmöglich, Menschen Windräder direkt vor die Tür zu stellen. Zudem sei es nicht so, dass sich die Thüringer Klimaziele auch unter Einhaltung des 1000 Meter-Mindestabstandes erreichen ließen. »Je mehr Fläche ausgeschlossen wird, desto weniger bleibt für regionale Wertschöpfung und das Erreichen der Klimaziele übrig.« In dem Zusammenhang verweist Siegesmund auch auf eine aktuelle Studie, nach der in Thüringen, Brandenburg und Hessen im Verhältnis zur Landesfläche die größten Ausbaupotenziale zur Nutzung von Windenergie liegen. Vom Bund wird angestrebt, dass künftig zwei Prozent der Landesfläche für Windkraftanlagen vorbehalten sein sollen, im Freistaat liegt der Anteil derzeit lediglich bei 0,4 Prozent. So weit eine durchaus übliche Auseinandersetzung zum Thema Windenergie.

Der politische Zündstoff liegt jedoch in der Tatsache, dass die CDU ihren Gesetzentwurf nur dann durch den Landtag bekommt, wenn die FDP-Gruppe und die AfD-Fraktion mit ihr stimmen. FDP-Gruppenchef Thomas Kemmerich sagte kurz vor Voigts Auftritt vor Journalisten, die Liberalen wollten das tun. Der AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke erklärte kurz nach Voigt, er und seine Abgeordneten könnten sich das gut vorstellen, immerhin seien sie für alles, was den Ausbau der Windenergie in Thüringen erschwere.

Sollte es so weit kommen, dass CDU, AfD und FDP die Mindestabstände gegen den erklärten Willen der Minderheitsregierung aus Linken, SPD und Grünen durchsetzen, wäre es das erste Mal in der jüngeren Thüringer Geschichte, dass ein Gesetzentwurf aus den Reihen der Opposition den Landtag gegen den Willen der regierungstragenden Fraktionen passieren würde – was aus Sicht von Rot-Rot-Grün umso verhängnisvoller wäre, weil die CDU ihren Gesetzentwurf nur mit Hilfe der AfD durchbringen kann. Käme es so, wäre dies »ein parlamentarischer Eklat«, so der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Hey. »Das wäre in der Tat ein erneuter Dammbruch«, betont auch Grünen-Fraktionsvorsitzende Astrid Rothe-Beinlich.

Letzteres ist eine Anspielung auf den Tabubruch vom 5. Februar 2020, als sich der FDP-Politiker Kemmerich mit den Stimmen der AfD-Landtagsfraktion zum Thüringer Ministerpräsidenten wählen ließ. Hey und Rothe-Beinlich wie auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken, André Blechschmidt, fragen sich, ob ein solches Verhalten der CDU der Auftakt dazu wäre, dass die Union demnächst auch in anderen Fällen gemeinsam mit AfD und FDP gegen Rot-Rot-Grün stimmen würde; etwas, das die Union bei so wichtigen Dingen wie Gesetzentwürfen bislang eben unterlassen hat.

Voigt betonte, die CDU werbe im Landtag für ihre eigenen Positionen und grenze sich gleichzeitig von der AfD ab. »Die AfD halte ich für eine rechtsextreme Partei.« Dennoch könne die Union die Durchsetzung ihrer eigenen Positionen nicht davon abhängig machen, ob die AfD zustimme. Das möge man doch bitte verstehen.

Kein Wunder also, dass ob dieser verfahrenen Situation nun nach einem Ausweg gesucht wird. So hat Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) der CDU nun Gespräche angeboten. Basis dafür könnte etwa der entstehende Koalitionsvertrag von CDU und Grünen in Nordrhein-Westfalen beim Thema regenerative Energie sein, so Ramelow. Gespräche auf Basis eines NRW-Energiepapiers sowie einen »Windfrieden« mit Aussetzung der Landtagsabstimmung in dieser Woche bot auch Siegesmund an.

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