Parkour zwischen Plattenbauten

Sport- und Freizeitangebote sollen die Menschen in Gropiusstadt besser erreichen

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 6 Min.

»Wirklich, ich mag alles hier.« Der zwölfjährige Hussein kann in der kurzen Zeit gar nicht alles so begeistert erzählen, wie er gern möchte, denn eigentlich ist der Schüler der Walter-Gropius-Schule an diesem Donnerstag nur kurz zum Mittagessen in die Stadtvilla Global gekommen. Aber dann möchte er doch unbedingt erklären, was an diesem Ort, an dem er auch einen Großteil seiner Nachmittage verbringt, in seinen Augen so toll ist.

Im Herzen von Gropiusstadt, der Großwohnsiedlung im Neuköllner Süden, die zwischen 1962 und 1975 hochgezogen wurde, ist die Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtung seit 20 Jahren eine Art Oase. »Wir können hier so viele Sachen machen«, sprudelt es aus Hussein heraus. Er zählt auf: »Da ist der Tanzraum, da können wir Tischtennis spielen, da ist die Kuschelecke.«

Während der junge Gropiusstädter und einige seiner Freund*innen als Hortkinder zum Mittagessen kommen, essen andere Kids erst am Nachmittag in der Stadtvilla. Dann aber Selbstgekochtes. Jeden Tag gibt es den warmen Mittagstisch: Das Gericht wird zusammen ausgesucht, die Zutaten werden besorgt, dann wird zusammen geschnippelt und gekocht. Und natürlich zusammen gegessen. Das findet Hussein auch toll. »Und jeden Freitag gibt es Stockbrot«, schwärmt er weiter. »Ach, und die Hausaufgaben machen wir auch hier«, schiebt er noch hinterher, bevor er »aber wirklich« los muss.

Ähnlich begeistert von der Stadtvilla ist Helga König. Auch sie lobt die vielen Angebote, die in dem Kinder- und Jugendzentrum zur Verfügung stehen, das der Bezirk zusammen mit freien Trägern wie der Organisation »Children for a better world« finanziert. Neben den Möglichkeiten, die Hussein schon aufgezählt hat, sind da noch die Malwerkstatt, die Keramikwerkstatt, die Basketball-AG (»Wir haben einen richtig guten Korb«), ein Tiktok-Workshop, aber auch, ganz neu: das Selbstverteidigungstraining für »alle Mädchen* und junge Frauen*, Inter-, Nicht-Binäre, Trans* und Agender-Menschen von 8 bis 18 Jahren«.

König, nicht mehr ganz jung, ist Sprecherin des Quartiersrats Gropiusstadt Nord. Die Stadtvilla nennt sie »mein zweites Wohnzimmer«; an diesem Nachmittag hat sie die Kochschicht für den Mittagstisch übernommen. »Bei der Wärme dachte ich eigentlich, wir machen einfach ein Picknick, aber weil es das schon morgen gibt, werden es wohl Kartoffeln mit Quark, was Leichtes.« Müdigkeit ist Helga König angesichts des 20-jährigen ehrenamtlichen Engagements in der Stadtvilla nicht anzusehen. Dazu kommt die Arbeit im Quartiersrat, den Zeitaufwand schätzt sie auf zehn Stunden in der Woche plus eine monatliche Sitzung. Und natürlich die Sachen, die so nebenbei anfallen, wie der Kiezspaziergang, an dem sie gerade teilnimmt.

»Es ist sehr typisch für das ehrenamtliche Engagement in Gropiusstadt: Wenige Leute machen sehr viel, das aber mit enormem Herzblut«, sagt Selma Tuzlali, die stellvertretende Projektleiterin vom Quartiersmanagement Gropiusstadt Nord. Gemeinsam mit Juana Schulze, die die Stadtteilkoordination leitet, führt sie am Donnerstag in der heißen Mittagszeit zwei Stunden durch das Hochhausviertel mit seinen vielen grünen Schneisen, um einen Eindruck davon zu vermitteln, welche Sport- und Freizeitangebote die Gropiusstadt, die den jahrezehntelangen Ruf des sozialen Brennpunkts nicht abgelegt hat, inzwischen zu bieten hat.

Tuzlali und Schulze bieten den Spaziergang im Rahmen des »Community Summit« der vom Berliner Basketballklub Alba ins Leben gerufenen Initiative »Sport vernetzt« an. Gemeinsames Ziel der inzwischen 17 bundesweiten Partner und Vereine, von denen Ende dieser Woche zahlreiche Vertreter*innen in der Hauptstadt zu einem Treffen zusammenkommen, ist es, »niedrigschwellige Sportangebote in ihrem jeweiligen Kiez zu machen und gleichzeitig die gesellschaftliche Wirksamkeit von Sportvereinen zu stärken«, wie es heißt.

Die Gropiusstadt ist dafür ein Paradebeispiel. Sportvereine an sich hätten es schwer, auch wenn einige im Kiez vertreten seien, erklärt Selma Tuzlali. Aber die Suche nach ständigen Mitgliedern gestalte sich hier schwierig. Die Hälfte der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren wächst in Familien auf, die Sozialleistungen beziehen. »Es gibt sehr viele Alleinerziehende hier, neben der Frage der finanziellen Möglichkeiten gibt es da nicht immer die Kapazitäten zum zuverlässigen Hinbringen oder Abholen von Trainings- oder Wettbewerbsveranstaltungen«, berichtet Tuzlali. Seit 14 Jahren ist sie im Quartier unterwegs, versucht, die Bedarfe möglichst vieler Bewohner*innen zu erfassen und Projekte anzuschieben, die diesen entsprechen. Dazu gehören auch gut zugängliche und öffentlich gepflegte Sport- und Bewegungsangebote.

Diese finden sich an vielen Stellen, vor allem in den Grünanlagen, die beeindruckend sauber und gepflegt wirken. »Wir haben extra für euch aufgeräumt«, scherzt Helga König. Aber dahinter steckt ein anderes Phänomen. »Die Parks hier werden kaum genutzt, auch weil hier fast jede Wohnung einen Balkon hat«, sagt Selma Tuzlali.

Was aber neben Fitnesspunkten, Bolzplätzen und Parkbänken fehlt, sind vor allem Orte, an denen sich die Jugendlichen aufhalten können – und auch mal laut sein dürfen. »Es mangelt an Plätzen zum Chillen und Abhängen«, so die Quartiersexpertin. An vielen Stellen gebe es immer wieder Beschwerden. »Seit Jahren wünschen sich die Kids hier eine Skateranlage, aber es scheint sich kein geeigneter Ort zu finden«, sagt Helga König. Vor allem, weil immer wieder Einwände von Anwohner*innen auftauchen. Während es also etwa ein halbes Dutzend Einrichtungen für die Nachmittage gibt, sind junge Erwachsene im öffentlichen Raum nicht gern gesehen, schon gar nicht in den Abendstunden.

Andere Angebote wiederum würden plötzlich funktionieren, wie die alte, kaum genutzte Basketballanlage am Martin-Luther-King-Weg, der durch den Park führt. Sie wurde einfach zu einer Callanetics-Trainingsanlage umgebaut, und das komme nun, »vor allem bei jungen Männern«, sehr gut an, berichtet Tuzlali.

Stolz sind die Frauen auf einen relativ neu eingerichteten Bereich, in dem man Parkour-Elemente üben kann. Die Idee, eine Strecke mit vorbereiteten Hindernissen in kürzester Zeit zu bewältigen, ist vor allem durch die Freestyle-Varianten berühmt geworden. Bei der meist im urbanen Raum ausgelebten Bewegungsform Parkour geht es darum, möglichst schnell von einem Ort zu einem anderen zu kommen, ohne den räumlichen Hindernissen allzu viel Beachtung zu schenken. Allerdings – und das ist vielleicht ein Grund, warum an der Anlage nicht viel los ist: Der Parkour-Hype ist schon seit einigen Jahren wieder abgeflaut.

Es ist nicht ganz leicht, gibt Selma Tuzlali zu: »Es dauert einfach, bis ein Projekt realisiert werden kann.« So läuft man möglicherweise bei Trendsportarten ein wenig hinterher, während die klassischen Vereinssportarten nicht richtig ziehen. Wie das Problem für den Kiez mit 36 000 Menschen auf engem Raum besser zu lösen wäre, darum will man sich in Zukunft, unter anderem mit Alba Berlin, mehr Gedanken machen.

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