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  • Gewerkschaftsgeschichte

Gewerkschaften nach dem Krieg: Die kurze Einheit in Berlin

Vor 80 Jahren wurden die Berliner Gewerkschaften neu gegründet

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 4 Min.
Die nach dem Krieg beschworene Einheit der Gewerkschaftsbewegung bröckelte schon bald. Die UGO spaltete sich 1948 vom als kommunistisch geltenden FDGB ab.
Die nach dem Krieg beschworene Einheit der Gewerkschaftsbewegung bröckelte schon bald. Die UGO spaltete sich 1948 vom als kommunistisch geltenden FDGB ab.

Offiziell waren die Nazis noch an der Macht, als es schon zu ersten Bestrebungen kam, die 1933 verbotenen Gewerkschaften neu zu gründen. Schon Anfang Mai 1945 beseitigten Gewerkschafter*innen die Trümmer am Werksgelände der Lorenz AG in Tempelhof und der Auto-Union in Spandau. In Charlottenburg bestimmten Reichsbahnangestellte kurz darauf erste Vertrauensleute. Mitte Mai, nur wenige Tage nach der deutschen Kapitulation, fand das erste Treffen von Gewerkschaftsfunktionär*innen bei den Berliner Elektrizitätswerken (Bewag) statt. Bald dehnte sich der gewerkschaftliche Organisationsprozess von den Betrieben auf die Stadtteile und dann auf ganz Berlin aus.

Bis auf den letzten Platz besetzt war am Dienstagabend der Raum »Othello« in der Verdi-Bundesverwaltung in Berlin. Ältere und junge Gewerkschaftskolleg*innen verfolgten interessiert die Ausführungen des Historikers Henning Fischer, der in der Jugend- und Erwachsenenbildung der IG Metall arbeitet und zurzeit das an der Universität Leipzig angesiedelte Forschungsprojekt »Interessenvertretung im Kalten Krieg. Die Berliner Gewerkschaften 1945–1971« betreut. Fischer skizzierte in seinem Referat die Gründung der Gewerkschaften kurz nach der Zerschlagung des Nationalsozialismus. Dabei machte der Historiker deutlich, dass es Gründungsbestrebungen sowohl von Gewerkschaftsfunktionär*innen aus den unterschiedlichen politischen Lagern als auch an der gewerkschaftlichen Basis gab.

»Beweisen wir der Welt, dass die vereinte Arbeiterschaft durch die Vergangenheit belehrt, sich ihrer besten gewerkschaftlichen Tradition bewusst, gewillt ist, ein antifaschistisches Bollwerk zu schaffen.«

Vorbereitender Gewerkschaftsausschuss von Groß-Berlin am 5. Juni 1945

In der kleinen Broschüre »80 Jahre Neugründung der Gewerkschaften in Berlin« wird beschrieben, dass die Arbeiter*innen schon vor der deutschen Kapitulation mit dem Wiederaufbau der Betriebe begannen. Dabei ging es um die Sicherstellung der Befriedigung der unmittelbaren Lebensbedürfnisse in einer zerstörten Stadt im Ausnahmezustand, so Fischer. Am 5. Juni 1945 tagte die Gründungsversammlung von Gewerkschafter*innen des Bezirks Reinickendorf. Am 15. Juni wurde schließlich der Aufruf des »vorbereitenden Gewerkschaftsausschusses von Groß-Berlin« veröffentlicht. Dort wurde klar die politische Zielsetzung benannt: »Beweisen wir der Welt, dass die vereinte Arbeiterschaft durch die Vergangenheit belehrt, sich ihrer besten gewerkschaftlichen Tradition bewusst, gewillt ist, ein antifaschistisches Bollwerk zu schaffen.«

Die Einheit der Arbeiter*innen sei für viele Gewerkschafter*innen eine Konsequenz aus den Erfahrungen der in Kommunist*innen und Sozialdemokrater*innen gespaltenen Arbeiter*innenbewegung der Weimarer Republik gewesen, die nicht fähig war, den Aufstieg des Nationalsozialismus zu verhindern, referierte Fischer die Stimmung von Gewerkschafter*innen der unterschiedlichen politischen Richtungen.

In den Jahren 1945 und 1946 streikten auch Belegschaften in verschiedenen Berliner Betrieben, um die Entlassung von ehemaligen Mitgliedern der NSDAP durchzusetzen. Das betraf nicht nur einfache Arbeiter*innen, sondern auch Meister und das Führungspersonal. »Das Haus der Gewerkschaften wurde oben durch die Funktionäre und unten durch die Basis mit Leben gefüllt«, beschreibt Fischer metaphorisch die Situation der Berliner Gewerkschaften in der unmittelbaren Nachkriegszeit.

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Doch der Anfang vom Ende der Gewerkschaftseinheit war schon 1947 zu erkennen gewesen, zeigte Fischer an vielen Beispielen. Der Kalte Krieg hatte begonnen und Berlin war ein zentraler Schauplatz. Im Februar 1948 gründete sich schließlich die Unabhängige Gewerkschaftsorganisation (UGO), die sich bald als Speerspitze des Kampfes gegen den Kommunismus verstand. Höhepunkt der Auseinandersetzung war der mehrwöchige Berliner Eisenbahnerstreik im Mai und Juni 1949. Er war sowohl ein Kampf gegen die Ostberliner Reichsbahndirektion als auch ein Kampf der sozialdemokratisch orientierten UGO gegen den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB), der von der SED dominiert wurde.

Auf der Veranstaltung am Dienstagabend wurde der achtminütige US-Film »Friends of the Worker« gezeigt, der deutlich machte, wie die Rhetorik des Kalten Kriegs die Forderungen nach Gewerkschaftseinheit verdrängt hatte. Das hatte politische Konsequenzen für die Entnazifizierung. Wenn Gewerkschafter*innen noch gegen Nazis im Betrieb mobil machten, wurden sie als SED-Propagandist*innen denunziert.

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