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Sofias gefährlicher Kampf

Mayafrauen in Guatemala brechen aus ihren traditionellen Rollen aus und protestieren gegen erlittenes Unrecht

  • Andreas Boueke, Purulhá
  • Lesedauer: 9 Min.
Die guatemaltekische Menschenrechtsaktivistin Sofia Tod Ac lebt gefährlich. Wenn sie auf den Markt geht, ist sie nie ohne Begleitung.
Die guatemaltekische Menschenrechtsaktivistin Sofia Tod Ac lebt gefährlich. Wenn sie auf den Markt geht, ist sie nie ohne Begleitung.

Ein Mädchen in schmutzigen Jeans und einer traditionellen Bluse der Mayakultur zieht einen klappernden Holzwagen vorbei an tiefen Schlaglöchern und Furchen. Die ausgetretenen Pfade und staubigen Straßen führen durch das guatemaltekische Hochlanddorf Purulhá. Auf der Ladefläche des Wagens liegen drei morsche Äste, die das Mädchen mit einer Axt zu Feuerholz klein schlagen wird. Als sie am Grundstück ihrer Großmutter Sofia Tot Ac vorbei kommt, achtet sie darauf, dass sich die Äste nicht in dem Stacheldraht verfangen, der ungebetene Gäste abhalten soll.

Die 53-jährige Witwe Sofia Tot Ac ist stolze Großmutter von zwölf Enkelkindern. Als ihr Mann vor 23 Jahren starb, war sie noch ausschließlich Mutter und Hausfrau. Damals kümmerte sie sich vor allem um ihre sechs Kinder. Doch mit der Zeit lernte sie, ihre neue Unabhängigkeit zu schätzen. Erst begann sie, öfter aus dem Haus zu gehen, dann übernahm sie Verantwortung in ihrer Kirchengemeinde. Als sie von den Kämpfen der Dorfgemeinde um die Anerkennung ihrer Landrechte erfuhr, schloss sie sich einem Gremium an. Seit nun schon 18 Jahren kümmert sie sich darum, den Zusammenhalt der verschiedenen Mayagruppen in Purulhá zu stärken.

Sofia Tot Ac selbst stammt aus dem Mayavolk der Queqchí. Sie engagiert sich vor allem für die Verbesserung der Lebensbedingungen indigener Frauen. »Schon von den Mädchen wird erwartet, dass sie zu Hause bleiben, um die Wäsche der Familie zu waschen und zu bügeln«, beklagt sie. »Später sollen sie das Essen kochen und die Kinder erziehen. Aber ein solcher Zwang ist eine Verletzung der Rechte einer Frau.«

In dem Dorf Purulhá sind die Frauen daran gewöhnt, von Nachkommen europäischer Kolonisatoren ausgebeutet und misshandelt zu werden. Eine Generation nach der anderen haben sie dieses Elend weitgehend widerstandslos ertragen. Auch innerhalb ihrer eigenen Dorfgemeinschaften hatten Frauen lange nicht die Möglichkeit, ihre Meinung öffentlich zu äußern. Aber das ändert sich langsam. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte haben immer mehr Mayafrauen begonnen, sich gegen die Unterdrückung aufzulehnen. »Sofia zeigt uns, dass auch wir uns beteiligen können«, sagt die Nachbarin Amelia García, die einen kleinen Gemischtwarenladen führt. »Wenn es darum geht, Frauen zu stärken, ist sie eine Quelle der Inspiration. In meiner Jugend wären wir Mädchen gar nicht erst auf die Idee gekommen, eine eigene Meinung zu entwickeln.«

Vor zehn Jahren wurde Sofia Tot Ac als erste weibliche Abgeordnete in den Rat des Mayavolks der Achí gewählt. Heute ist sie die Vorsitzende des Vorstands. »Alle anderen Ratsmitglieder sind Männer«, stellt sie fest. »Für mich bedeutet das eine große Verantwortung. Ich muss sehr vorsichtig sein. Alles, was ich tue, wird genau beobachtet. Beim ersten Fehler werden sich viele gegen mich stellen.«

Amelia Garcia ist stolz auf ihre Freundin, macht sich aber auch Sorgen: »Sofia bekommt nicht ausreichend Schutz. Das ist schlimm. Schon viel zu viele Anführer der Gemeinde wurden ermordet. Es gibt hier mächtige Personen, die nicht wollen, dass die Mayabevölkerung ihre Rechte verteidigt, ihr Land, den Wald und die Wasserquellen.« Die Großgrundbesitzer hätten die Autoritäten des Staates korrumpiert, erklärt sie, und auf die Polizei sei kein Verlass.

Sofia Tot Ac sagt, sie habe sich an die Bedrohung gewöhnt. In ihrem kleinen Wohnzimmer stehen ein paar Gegenstände und Apparate, die sie schützen sollen. »Hier bewahre ich meine Heiligenfigur auf, die Jungfrau von Guadalupe. Daneben steht der Bildschirm einer Kameraanlage, die mir eine Menschenrechtsorganisation eingerichtet hat, als ich mal wieder Morddrohungen bekommen habe.«

Victorias Hilfe

Der erste Landkampf, an dem sich Sofia beteiligt hat, war ein Konflikt mit einem Minenunternehmen. Nordamerikanische Ingenieure wollten untersuchen, ob im Boden der Umgebung von Sofias Heimatdorf Purulhá wertvolle Metalle existieren. Doch ein großer Teil der indigenen Bevölkerung des guatemaltekischen Hochlands ist gegen die Ansiedlung solcher Bergbauprojekte. Pastor Ricardo Mayol weiß, dass viele Menschen eine Verschmutzung des Grundwassers und die Zerstörung der Wälder fürchten.

Unterstützung bekommt Sofia Tot Ac vor allem von ihren Kindern. Die älteste Tochter Victoria ist selber Mutter von drei Söhnen. »Vicky war schon immer an meiner Seite«, erinnert sich Sofia Tot Ac. »Sie hat mir erklärt, was in den Dokumenten stand, die ich nicht lesen konnte. Ich bin ja nur zwei Jahre lang zur Schule gegangen, sie hingegen sieben Jahre lang. Noch heute passt sie auf mich auf, wenn ich unterwegs bin.«

Als Menschenrechtsaktivistin fährt Sofia Tot Ac häufig mit öffentlichen Bussen in die nahe gelegene Provinzhauptstadt Coban oder auch mal nach Guatemala-Stadt. Das kann gefährlich werden, gerade für eine Frau. »Die erste Methode der Repression gegen Frauen ist sexuelle Gewalt«, sagt Sofia. Sie spricht aus Erfahrung. »Die Gutsherrn lassen dich verfolgen. Dann fängt die sexuelle Belästigung an, bis hin zu Vergewaltigungen. Die machen Narben, die nie heilen werden. Uns Frauen aus der Mayakultur wird immer gesagt, dass unser Körper heilig ist, dass niemand ihn anfassen darf außer dem Ehemann. Eine Frau, die vergewaltigt worden ist, gilt als benutzt und wertlos. Ihr wird gesagt: ›Du bist verbraucht. Niemand wird dich mehr lieb haben.‹ Für uns Frauen ist das schwer zu ertragen.«

Victoria ist besorgt, als sie die Worte ihrer Mutter hört. »Ich sage ihr immer wieder: ›Jetzt reicht’s, Mama. Das ist zu gefährlich.‹ Aber sie antwortet mir: ›Wenn sie mich töten, geht der Kampf trotzdem weiter. Wir sind viele. Ich bin nicht allein.‹«

Victoria musste schon als Jugendliche Leichen mit Folterspuren identifizieren. Andere Personen sind nie wieder aufgetaucht. »Vor Kurzem ist ein Mann verschwunden, der oft mit meiner Mutter zusammengearbeitet hat«, seufzt die junge Frau. »Wenn sich ein reicher Landbesitzer über eine Person ärgert, die ihre Stimme gegen ihn erhebt, dann kann er jemanden bezahlen, der die Person einschüchtert oder ganz aus dem Weg räumt.«

Cristinas Vertreibung

Wenn Sofia Tot Ac zweimal in der Woche auf den Markt in Purulhá geht, ist sie nie ohne Begleitung. Keine 200 Meter von ihrem Haus entfernt führt eine große, asphaltierte Straße an dem Dorf entlang. Sie steigt in ein Tuctuc, ein Kleintaxi mit drei Rädern. Während der Fahrt blickt sie auf den Waldhang hinter den Dächern des Dorfes. »Dort drüben lag mal die Siedlung Rincón de Valentin, in der die Kameradin Cristina gelebt hat.« Doch die Bewohnerinnen und Bewohner wurden vertrieben, ihre Hütten abgerissen.

Cristina ist vor Kurzem Mutter geworden. Das Baby trägt sie mit einem Tuch an ihren Oberkörper gebunden. »Ich bin in der Siedlung Rincón de Valentin zur Welt gekommen, genauso wie mein Vater«, erzählt sie. »Er hat schon als Kind auf den Feldern gearbeitet, ohne ein Gehalt zu bekommen. Der Gutsherr hat die Lebensleistung meines Vaters nie anerkannt. Am 19. Oktober 2021 hat er uns alle von unseren Grundstücken vertrieben. Als wir uns gewehrt haben, hat er Haftbefehle gegen viele Leute erwirkt, auch gegen mich. Er sagt, wir hätten sein Land jahrelang illegal besetzt. Aber das stimmt nicht. Wir haben immer dort gelebt und für ihn gearbeitet. Wir sind dort zur Welt gekommen.«

Eine Hundertschaft Polizisten hat die 15 Familien der Siedlung vertrieben und ihre Hütten angezündet. Viele besaßen nur noch die Kleider, die sie am Körper trugen. Auch Cristina hat ihr Zuhause verloren: »Unsere Hütte ist verbrannt, unsere Aussaat zerstört, der Kopfsalat, die Maispflanzen, die Bohnen. Wir sind zur Staatsanwaltschaft gegangen, um die Vertreibung anzuzeigen. Aber dort wollte niemand mit uns sprechen. Jetzt sind wir auf der Straße und haben keinen Ort zum Leben, keinen Acker zum Ernten. Wir haben gerade mal genug für ein wenig Brot.«

Sofia Tot Ac bestätigt, dass der Gutsherr weiterhin jede Person bedroht und verfolgt, die versucht, sich dem Land zu nähern: »Cristina war eine der wenigen, die den Mut aufbrachten, sich zu wehren, Unterstützung zu suchen, eine starke Frau zu sein. Aber der Weg ist hart. Einer der Söhne des Gutsherrn hat ein Mädchen der Siedlung vergewaltigt. Wenig später wurde nicht er festgenommen, sondern Cristina.«

Erst am Tag des Verfahrens erfuhr die damals schwangere Frau, was ihr vorgeworfen wurde. Es gab fünf Anklagepunkte, die der Richter alle abgewiesen hat, aus Mangel an Beweisen. »Aber da hatte ich schon 48 Tage in Haft verbracht«, erzählt Cristina. »Viele der Frauen im Gefängnis sind sehr brutal. Sie haben Geld von mir verlangt. Ich habe ihnen gesagt, dass ich arm bin und schwanger, dass sie mich bitte entschuldigen, dass sie mich bitte nicht schlagen. Meine Eltern mussten sich Geld leihen, um einen Anwalt zu bezahlen. Den Kredit zahle ich noch immer ab.«

Lösungen für Landkonflikte

Im guatemaltekischen Hochland wird auch deshalb so häufig um Land gestritten, weil viele Mayagemeinden den Grund und Boden, auf dem sie leben, nicht als Privatbesitz registrieren lassen. Sie vermessen ihn nicht. Sie dokumentieren ihn nicht. Sie verkaufen ihn nicht. Die Bräuche der indigenen Völker im Umgang mit Land sind andere. Genau das nutzen viele Großgrundbesitzer aus, meint Sofia Tot Ac. »Wenn ein Stück Land noch nicht registriert ist, forschen korrupte Bürokraten gar nicht erst nach, ob dort Menschen leben. Niemand sucht nach historischen Urkunden aus vergangenen Jahrhunderten. Jemand lässt ein wenig Geld springen, um den Prozess zu beschleunigen. So bekommt er schon bald ein Dokument ausgehändigt, auf dem steht, dass er von nun an der legale Besitzer des Landes ist.«

Viele indigene Völker glauben nicht, dass ein Mensch Land besitzen kann. Ihrer Vorstellung nach erlaubt die Mutter Erde den Menschen eine Weile lang, sie zu nutzen. Doch wenn eine Person stirbt, wird sie im Boden begraben und wird so selbst wieder zu Erde, die weiter lebt. So sieht es auch Sofia Tot Ac. Trotzdem bemüht sie sich, die Idee des Privatbesitzes zu verstehen. Im Laufe der Jahre hat sie viele Erfahrungen gesammelt, Kurse besucht und mit zahlreichen Leuten darüber gesprochen, wie es möglich sein kann, dass ein einziger Mensch riesige Flächen Land besitzt. Heute ist sie überzeugt, dass sich die Mayas auf dieses Konzept einlassen müssen, denn nur so können sie ihre Rechte verteidigen. Deshalb erklärt sie ihren Kameradinnen und Kameraden immer wieder, wie wichtig es ist, dass sie ihr Land registrieren lassen. Sie hat Kontakte zu Notaren und Geografinnen aufgebaut, zu Landvermessern und Journalistinnen, sogar zu Historikern, die in alten Archiven vergilbte Dokumente aufstöbern. Kirchliche Organisationen und Menschenrechtsgruppen helfen mit Spendengeldern und Sicherheitsmaßnahmen. Dieses Netzwerk hat schon einige Male dazu beigetragen, komplizierte Landkonflikte zu lösen. »Wir indigenen Völker haben eine Verantwortung gegenüber der Mutter Erde«, sagt Sofia Tot Ac. »Wir müssen sie schützen. Gott hat sie uns als Heimat gegeben. Anstatt über sie zu streiten und sie zu zerstören, sollen wir sie pflegen.«

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