Die Würde der Frauen von Sepur Zarco

In Guatemala kommt die Aufarbeitung der Verbrechen im Bürgerkrieg nur langsam voran

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 7 Min.

Die kleine Fotoausstellung im Justizministerium über die Großmütter von Sepur Zarco am »Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen« Ende November war für Paula Barrios eine kleine Genugtuung. »Nach so viel Insistieren, Vertrösten und Hinauszögern bin ich froh, dass die Frauen von Sepur Zarco jedenfalls wieder etwas im Gespräch sind. Unser Buch zur Ausstellung wird ihnen ein bisschen Geld bringen, denn sie haben es alles andere als einfach mitten in der Pandemie«, erklärt Barrios. Sie ist nicht nur Anwältin der Frauen, sondern auch Koordinatorin von »Frauen transformieren die Welt«. Die Frauenrechtsorganisation hat den Fall der 15 Frauen von Sepur Zarco über Jahre begleitet, die Frauen ermutigt, vor Gericht zu ziehen und die Männer zu verklagen, die ihr Leben zerstört haben.

Sepur Zarco liegt im Nordosten Guatemalas am Rande der Ölpalmenregion von Izabal und ist fünf Fahrtstunden von Guatemala-Stadt entfernt. Das Militärcamp, das dort existierte, haben Demesia Yat und ihre Mitstreiterinnen in traumatischer Erinnerung. »Dort haben wir unser Martyrium erlebt, wurden festgehalten, vergewaltigt, mussten den Soldaten über Monate zu Diensten sein. Das haben wir nach langem Schweigen angezeigt. Seit dem Urteil haben wir Anspruch auf Wiedergutmachung und auf das Areal, wo das Camp stand«, sagt sie.

Der opferreichste Bürgerkrieg Mittelamerikas

Am 29. Dezember 1996 endete in Guatemala nach 36 Jahren der Bürgerkrieg Mittelamerikas, der mit bis zu 250 000 Menschen nicht nur die meisten Opfer gefordert hat, sondern auch mit schier unglaublicher Brutalität geführt wurde. »Wir können belegen, dass die guatemaltekische Armee mehr als 80 Prozent der Massaker und Toten des Bürgerkrieges zu verantworten hat«, erklärte Juan Gerardi, Weihbischof von Guatemala-Stadt, am 24. April 1998.

Da stellte der visionäre Bischof das Ergebnis der vierjährigen Arbeit der von ihm geleiteten Kommission zur Wiedererlangung der historischen Erinnerung (REMHI) vor. Nunca más (»Nie wieder«) heißt der Bericht, der Gerardi zwei Tage später das Leben kostete. In seiner Garage wurde der Bischof brutal erschlagen. Die drei Täter: Angehörige des Militärs. Der Institution, die für das Gros der Menschenrechtsverletzungen im guatemaltekischen Bürgerkrieg verantwortlich war, und deren Offiziere nur in wenigen Fällen für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wurden.

Ex-Militärs marschierten Mitte Oktober 2021 durch Guatemala-Stadt, um eine Kompensationszahlung für geleistete Dienste während des Bürgerkriegs anzumahnen. Pro Kopf sollen 15 500 US-Dollar ausgezahlt werden, so die Demonstranten, die ins Parlament eindrangen und mehrere Fahrzeuge in Flammen aufgehen ließen.

Die Veteranen-Demo sagt viel aus über das Selbstverständnis der Militärs, aber auch über die konservative Regierung von Alejandro Giammattei, der die Militärs die Prämie angeblich im Wahlkampf versprochen habe. Einer Armee, die systematisch eingesetzt wurde, um mehrere indigene Ethnien – darunter die Maya Ixil – zu beseitigen, wie Gerichtsurteile bestätigen. Einer Armee, die gehorchte, die vergewaltigte, enthauptete, verbrannte und verstümmelte – nicht selten vor den Augen von Angehörigen. Das belegt der Gerardi-Bericht. Von 648 registrierten Massakern zwischen 1960 und 1996 entfielen 626 auf das staatliche Militär und deren paramilitärische Hilfskräfte (PAC). 83 Prozent der Opfer staatlichen Terrors waren Angehörige von Maya-Völkern. Rassismus und Diskriminierung sind bis heute in Guatemala sichtbar. khe

Das Urteil vom März 2016 ist eindeutig und die Reparationsleistungen wurden mit den 14 Opfern, eine der Frauen starb vor dem Prozess, ausgehandelt. Ein Hospital, bessere Schulen, der Bau von Häusern für die Opfer auf dem Gelände des ehemaligen Militärcamps sowie eine Gedenkstätte gehören dazu. Ein Urteil mit Signalcharakter, denn obendrein wurden die beiden Verantwortlichen, zwei Militärs, zu hohen Haftstrafen verurteilt. Für Demesia Yat und ihre Mitstreiterinnen vom »Colectiva Jalok U« ist das ein immenser Erfolg. Yat gehört der Ethnie der Maya-Q’eqchi an, kann weder schreiben noch lesen und hat aus Angst lange geschwiegen. »Mit dem Urteil haben wir unsere Würde wiedererlangt. Das ist nicht nur für uns, sondern für alle Frauen in Guatemala wichtig«, so die kleine, hagere Frau, die zwei Kilometer vom Tatort entfernt in ärmlichen Verhältnissen lebt.

Das Urteil ahndet erstmals in Guatemala sexualisierte Gewalt gegen indigene Frauen durch Militärs. Das hat Symbolcharakter für das Land und die gesamte Region schrieb Amnesty International nach der Urteilsverkündung im März 2016. Umso enttäuschender ist der Umgang der zuständigen Ministerien in den folgenden Jahren mit dem Urteil. Es werde nur widerwillig, halbherzig oder gar nicht umgesetzt, klagt Paula Bravos, die immer wieder insistiert und Rechtsmittel eingelegt hat. Doch die Resonanz ist alles andere als positiv. Deshalb ist das Buch mit Porträts, Reportagen aus dem Alltag der Frauen, die in Guatemala aufgrund ihres Alters meist als Großmütter, abuelas de Sepur Zarco, bezeichnet werden, der Versuch, sie und ihren Fall wieder sichtbar zu machen. Es handelt sich dabei um keinen Einzelfall, denn 25 Jahre nach dem Ende des überaus brutal geführten Bürgerkriegs mit rund 200 000 Toten, etwa 45 000 gewaltsam Verschwundenen, von denen weit über 80 Prozent den Militärs und ihren paramilitärischen Handlangern angelastet werden, warten die Opfer meist vergebens auf Gerechtigkeit - trotz erdrückender Beweise.

Nach dem Friedensabkommen fehlte es von Beginn an am politischen Interesse, die Menschenrechtsverletzungen aufzudecken. Immer wieder beriefen sich Militärs, aber auch ehemalige Guerilleros auf die Amnestieklausel, die im Nationalen Versöhnungsgesetz von 1996 fixiert ist. Die klammert jedoch besonders schwere Menschenrechtsverbrechen wie Massaker, das Verschwindenlassen, Folter und Genozid aus. »Vielleicht wären wir mit einer Sonderjustiz wie in Kolumbien besser gefahren. Hier haben wir weitgehend darauf vertraut, die Justiz zu reformieren und dann die Prozesse zu führen, die Licht in die Vergangenheit und die Strukturen des Terrors bringen sollten«, meint Paula Barrios.

Bis 2013 dauerte es, bis der Jahrhundertprozess gegen Ex-Diktator (März 1982 bis August 1983) Efraín Ríos Montt auf den Weg gebracht wurde. Die Immunität des langjährigen Parlamentsangeordneten und der Einfluss seiner republikanischen Front (FRG) waren zentrale Gründe dafür, dass der evangelikale General mit den guten Verbindungen zu den US-Republikanern nicht früher vor Gericht landete, aber eben auch das geringe politische Interesse der guatemaltekischen Elite. Für die hatte die Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen keine Priorität, wohl aber für die indigenen Ethnien der Maya, darunter die Ixil.

Im Mai 2013 endete das Verfahren mit einem historischen Urteil: Wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde der Ex-General zu 80 Jahren Haft verurteilt. Er sei während seiner Herrschaft von März 1982 bis August 1983 für Mord, Folter und die Zwangsumsiedlung Tausender Maya-Indianer verantwortlich gewesen, so Richterin Yassmín Barrios in der Urteilsbegründung. Noch nie zuvor wurde ein ehemaliger Staatschef im eigenen Land wegen Völkermordes verurteilt. Doch zehn Tage später wurde das Urteil nach massiven Druck von der CACIF, dem Unternehmerverband, auf die Verfassungsrichter unter fadenscheinigen Gründen gekippt, so Michael Mörth, deutscher Jurist und Berater einer Menschenrechtskanzlei in Guatemala-Stadt. »Ein Formfehler lieferte die Begründung.« Parallel dazu prasselte ein Regen von Beschimpfungen und Vorurteilen auf die verantwortliche Richterin, Yassmín Barrios nieder. »Als Kommunistin wurde ich bezeichnet, mir wurde vorgeworfen einseitig zu argumentieren, die Gesellschaft zu schwächen. Dabei hat dieser Prozess zur Stärkung der Zivilgesellschaft in Guatemala beigetragen.«

»Teile der Zivilgesellschaft wurden mit dem Prozess erst sichtbar«, so die 58-jährige Richterin Yassmín Barrios. Gemeint sind die indigenen Völker der Maya, die - so hatte es das Friedensabkommen vorgesehen -, mehr politische Teilhabe und Gleichstellung erhalten sollen. Dafür sorgte dieser Prozess zumindest indirekt, da er das Bewusstsein für die eigenen Rechte der Maya-Völker stärkte und auch die Gründung neuer Organisationen nach sich zog. »An den politischen und gesellschaftlichen Strukturen änderte sich hingegen wenig bis gar nichts«, so Claudia Samayoa, neben Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú wohl die bekannteste Menschenrechtsaktivistin Guatemalas. »Immerhin haben die großen Bürgerkriegsprozesse und die Ermittlungen gegen Korruption der UN-Kommission gegen die Straflosigkeit uns als Gesellschaft die Augen geöffnet. Heute wissen wir, wie der Pakt der Korrupten funktioniert, wie er die Institutionen übernimmt. Uns fehlt aber noch das Instrumentarium, um uns wie in Honduras dagegen zu wehren«, meint die 54-jährige Samayoa. Sie spielt auf den Sieg der linken Wahlallianz von Xiomara Castro bei den Präsidentschaftswahlen im Nachbarland vom 28. November an und wünscht sich etwas Vergleichbares für Guatemala.

Parteiübergreifende Wahlallianzen sind in Guatemala bisher Fehlanzeige. Zuletzt hatte das progressive Lager 2015 und 2019 das Nachsehen bei den Präsidentschaftswahlen. Unter dem rechten Ex-Präsidenten Jimmy Morales und seinem amtierenden Nachfolger Alejandro Giammattei wurde ein gesellschaftlicher Rollback eingeleitet. Die Implementierung des durchaus progressiven Friedensabkommens von 1996 spielt unter deren Ägide keine Rolle mehr. Stecken geblieben sind die Förderung indigener Identität, die Lösung der Landfrage sowie Programme zur Armutsreduzierung. Die Auflösung von Institutionen wie dem Sekretariat für Agrarangelegenheiten im Mai 2020 steht dafür beispielhaft. Gleichzeitig nimmt der Druck auf prominente Richter*innen wie Yassmín Barrios, Miguel Ángel Gálvez oder Erika Lorena Aifán zu. Diffamierungskampagnen, aber auch Anträge zur Aufhebung ihrer Immunität, gehören zum Arsenal der Gegner einer unabhängigen Justiz. Deren Motivation liegt für Paula Barrios auf der Hand: »Sie stehen für die Übernahme der Justiz unter die Kontrolle der Regierung und des Paktes der Korrupten«, meint die Anwältin. Als »Pakt der Korrupten« wird das Bündnis zwischen Militärs, Wirtschaft und Politik genannt, das weder an den Bürgerkriegsprozessen noch an dem 2022 anstehenden Korruptionsprozess »La Línea« Interesse hat. Da steht mit Ex-Präsident Otto Pérez Molina ein bürgerkriegserfahrener Ex-General als Drahtzieher eines korrupten Netzwerks vor Gericht. Typisch für die Machtstrukturen in Guatemala, die sich auch 25 Jahre nach dem Friedensabkommen nicht wesentlich geändert haben.

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