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Immer dabei

Beim Atmen, beim Essen, auf der Haut. Ein Gespräch über Mikroplastik

  • Gisela Zimmer
  • Lesedauer: 9 Min.
Mikroplastik: Immer dabei

Ich muss zugeben, dass ich vor der Recherche zum Thema nicht geahnt habe, wie viel Mikroplastik schon ich allein an die Umwelt abgebe. Beispielsweise über die Schuhsohle oder die Waschmaschine, weil in fast jeder Kleidung synthetische Fasern sind. Wo steckt Mikroplastik noch drin?

Janine Korduan


Janine Korduan studierte Technischen Umweltschutz, arbeitete bei der Heinrich-Böll-Stiftung im Bereich Internationale Umwelt- und Klimapolitik und ist seit 2020 Referentin für Kreislaufwirtschaft beim BUND. Gisela Zimmer sprach mit ihr.

Mittlerweile wirklich überall. Das hat mit der massiven Steigerung der Plastikproduktion zu tun. Seit dem Jahr 2000 wurde die Hälfte des jetzt auf der Erde befindlichen Plastiks produziert. Und es sind weitere Produktionssteigerungen geplant. Jedes Plastikteil, das irgendwo in der Umwelt rumliegt, durch Sonne oder Wasser verwittert oder sich durch mechanische Bewegungen abreibt, überall dort entsteht Mikroplastik. Der Reifenabrieb bei Autos ist die allergrößte Quelle. Das, was am Profil der Reifen geringer wird, ist irgendwo in der Umwelt, in der Luft, die wir einatmen. Jeder kennt die Automenge, die bei uns täglich auf den Straßen ist. Eine weitere große Quelle sind Sportplätze. Die werden mit Kunststoffgranulat gefüllt. Wir haben in Deutschland ungefähr 10.000 Sportplätze. Jeder von ihnen wird pro Jahr mit ein bis drei Tonnen Granulat immer wieder aufgefüllt. Dann werden wahnsinnig viele Textilien produziert. Das meiste ist aus Synthetik. PET-Flaschen werden übrigens auch oft zu Plastik-Kleidung verarbeitet. Je mehr wir von diesem Zeug haben, tragen und waschen, desto mehr davon gelangt auf die Haut und in die Umwelt.

Und bei der Kosmetik?

Verbraucher*innen können mit der kostenlosen ToxFox-App des BUND alle möglichen Produkte direkt im Supermarkt vor dem Kauf auf Schadstoffe scannen, auch auf Mikroplastik. Das gibt ihnen die Möglichkeit, bestimmte Produkte nicht zu kaufen. Ein Drittel aller Kosmetikprodukte wie Duschgel, Seifen, Shampoos, Cremes, Deos und Lippenstifte enthält leider immer noch synthetische Polymere. Die gelangen über das Wasser in die Kläranlagen, teilweise auch ins Meer. Je nachdem, wie viel davon in den Klärwerken abgefangen wird.

Man sieht die Teilchen nicht, man hört sie nicht, sie sind winzig klein und federleicht. Was macht sie so gefährlich für uns?

Mikroplastik sind feste, unlösliche, partikuläre und nicht biologisch abbaubare synthetische Polymere in einem Größenbereich von weniger als fünf Millimetern bis 1.000 Nanometer. Es wird unterschieden in primäres und sekundäres Mikroplastik. Als primäres Mikroplastik werden Partikel bezeichnet, die bei Eintritt in die Umwelt bereits im Größenbereich von Mikroplastik sind oder während der Nutzungsphase entstehen. Dazu gehören beispielsweise Partikel, die in der Kosmetik- und Körperpflegeindustrie eingesetzt werden, sowie der Abrieb von Autoreifen oder Fasern aus synthetischen Textilien, die beim Waschen ins Abwasser gelangen. Sekundäres Mikroplastik entsteht beim Zerfall größerer Kunststoffteile im Verwitterungsprozess, zum Beispiel durch Wellenbewegung und Sonneneinstrahlung.

Dazu kommen dann aber noch die Zusatzstoffe.

Etwa drei Viertel allen Plastiks enthalten Zusatzstoffe, die toxische Auswirkungen für den Menschen oder für die Umwelt haben, oder für beide. Diese Zusatzstoffe werden zugegeben, damit das Plastik eine bestimmte Festigkeit oder Weichheit erhält. Wir Menschen nehmen es auf verschiedenen Wegen auf. Man hat nachgewiesen, dass sich aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) auf Polyethylen (PE) – das ist einer der meistproduzierten Plaste – besonders anlagert. Das heißt, rund um so ein Plastikteil im Meerwasser ist die Konzentration dieser PAK 100mal höher als im restlichen Wasser. Das führt nachweislich zu Entzündungen bei Muscheln. Verschiedenste andere Studien mit Tieren belegen Gewebeveränderungen, veränderte Entzündungswerte bis hin zu inneren Verletzungen oder Todesfällen. Das ist jetzt alles bezogen auf die Meeresbewohner. Kleinstlebewesen, Plankton, sind zudem eine wichtige Nahrungsgrundlage für den Fisch. Der wiederum wird von größeren Raubfischen gefressen, und am Ende können sich die Schadstoffe und das Mikroplastik tatsächlich im Gewebe ansammeln und Teil der Nahrungskette werden. Mikroplastik im Boden beeinflusst auch Regenwürmer, die weniger zunehmen. Außerdem ist belegt, dass sich in essbaren Pflanzen, wie Salat, Mikroplastik befindet.

Wie viel Mikroplastik vertragen wir Menschen? Gibt es dazu Erkenntnisse?

Wir sind ein Teil des großen Experiments. Man kann das gar nicht anders sagen. Es ist noch viel zu wenig bekannt. Aber es gibt besorgniserregende Studien. Ein Forschungsteam aus Marburg hat Zellkulturen mit Mikroplastik aus Styropor in Verbindung gebracht. Es hat die Zellen damit versetzt. Diese Zellen aus der Gefäßwand bildeten dann vermehrt Rezeptoren zur Bindung von Immunzellen. Diese Immunzellen, wir haben sie normalerweise einzeln im Blut, setzten sich in großer Zahl in der Gefäßwand fest und setzten Entzündungsproteine frei. Die Forscher*innen von der Universität Marburg belegten mit ihrem Experiment, dass es Grund zu der Annahme gibt, dass Mikroplastik zu Gefäßentzündungen führen kann. Darüber hinaus gaben sie Mikroplastik auch in das Blut von Mäusen. Das reicherte sich dann in der Leber an und die entzündete sich. In diesem Jahr wurde übrigens auch im Blut von Menschen Mikroplastik nachgewiesen.

Entsprachen die Labortests in etwa den realen Mikroplastikbelastungen im Alltag?

Das Forschungsteam bei diesem Tierversuch und bei dem Blutexperiment verwendete sauberes, steriles Mikroplastik in relativ hoher Konzentration. In der Realität mag die tatsächliche Konzentration in der Umwelt aktuell zwar noch geringer sein – ein Grund zum Zurücklehnen ist diese Studie dennoch nicht. Steriles Mikroplastik kommt in der Umwelt nämlich so gut wie nicht vor, sondern es trägt noch jede Menge Schadstoffe an sich. Es beinhaltet zugesetzte Chemikalien (als Zusatzstoffe), und an der Oberfläche sammeln sich Schadstoffe und Bakterien. Diese könnten einen noch stärkeren Entzündungsprozess auslösen als in dem Experiment nachgewiesen. Es existieren also absolut besorgniserregende Studien, die eigentlich dazu führen sollten, dass wir das Vorsorgeprinzip anwenden und alles dafür tun, so wenig Mikroplastik wie möglich in die Umwelt zu entlassen.

Es gibt diesen bildlichen Vergleich, dass Menschen weltweit im Durchschnitt fünf Gramm Mikroplastik pro Woche aufnehmen: durchs Atmen, über Essen, Kosmetik. Eine Bankkarte wiegt so viel. Die würde niemand freiwillig essen. Ist denn die Industrie schon bei der Vorsorge oder wenigstens der Vermeidung von Mikroplastik?

Die Plastikproduktion geht unvermindert weiter. Jüngstes Beispiel sind die Flüssiggas-Terminals. Diese Terminals sind unter anderem dafür da, dass die Industrie, die petrochemischen Standorte, wo unter anderem die Grundprodukte für die Plastikproduktion hergestellt werden, gut mit fossilen Rohstoffen versorgt werden. Wir vom BUND sehen leider keine Trendwende.

Auch im kosmetischen Bereich nicht?

In der ToxFox-App haben wir 350.000 Produkte hinterlegt. Ein Drittel aller Kosmetika enthält immer noch synthetische Polymere. Bei einzelnen Produkten sieht man, dass sie mittlerweile mikroplastikfrei sind, unter anderem auch infolge des Drucks von uns. Wenn jedoch immer noch ein Drittel synthetische Zusätze hat, können wir noch nicht von einer Trendwende sprechen. Wir halten ohnehin wenig von freiwilligen Vereinbarungen der Industrie. Selbst nach dem sogenannten Kosmetik-Dialog sehen wir keinen freiwilligen Verzicht bei den Unternehmen. Deshalb fordern wir auch ein nationales Mikroplastik-Verbot im Bereich Kosmetik, so wie es beispielsweise in Schweden bereits umgesetzt wird.

Den reichen Industrieländern wird gerade ein Spiegel vorgehalten: Wenn alle Menschen so viel konsumieren und wegschmeißen würden wie beispielsweise wir in Deutschland, bräuchten wir fast drei Erden. Müssen wir nicht auch ganz privat an unserer Lebenshaltung arbeiten?

Natürlich können wir als Einzelne etwas tun, aber die Hauptstellschrauben hat die Politik. Privat können wir darauf achten, mehr unverpackt zu kaufen oder in einheitlichen »Pool«-Mehrwegsystemen. Eine Glas-Mehrwegflasche wird 50-mal gefüllt. Eine Einweg-PET-Flasche wird wahrscheinlich nicht einmal zu einer neuen PET-Flasche, sondern eher zu neuen Textilien von schlechter Qualität – also kurz getragen und gleich wieder Müll. Das ist reine Ressourcenverschwendung und das Gegenteil von zirkulärem Wirtschaften. Mehrweg und Unverpackt sind auf jeden Fall erste richtige Schritte. Auch weniger Produkte, dafür hochwertige. Das trifft natürlich vor allem auf Textilien zu, aber auch auf Elektrogeräte. Vielleicht kann man auch auf lokale Sportvereine einwirken, damit nicht noch mehr Kunstrasenplätze gebaut werden. Bei Textilien können wir, wenn bereits synthetische Fasern gekauft worden sind, einen Trick anwenden: immer mit voller Waschmaschine waschen. Die Kleidung ist dann weniger der mechanischen Belastung ausgesetzt und setzt damit weniger von diesen winzigen Fasern frei. Also, ein paar Sachen kann man natürlich machen, aber die grundsätzliche Verantwortung liegt bei den Unternehmen und der Politik.

Wo setzt denn der BUND an?

Wir fordern weniger Plastik in vermeidbaren Anwendungen. Vor allem eine Abkehr vom Einweg. Unverpackt und Mehrweg müssen der neue Standard, synthetische Polymere in Kosmetik müssen verboten werden. Da muss die Politik einfach handeln, am besten national, denn das Verbot auf EU-Ebene wird noch einige Jahre dauern. Wir machen Lobbyarbeit dafür, aber es ist auch wichtig, dass möglichst viele Menschen das mit einfordern. Bei Textilien wollen wir zumindest industrielle Vorwäschen, denn das meiste Mikroplastik geht während der ersten zehn Wäschen verloren. Kunstrasenplätze sollten verboten und der Reifenabrieb reduziert werden. Damit sind wir beim Individualverkehr. Aber man muss an der Stelle auch einfach mal sagen, dass der Reifenabrieb die größte Quelle von Mikroplastik in der Umwelt ist. Es gibt schon etliche Ideen, zum Beispiel die Reifen zu verbessern. Wir dürfen jedoch die Augen nicht davor verschließen, dass die einzige effektive Maßnahme dagegen ein Weniger an Fahrzeugen auf den Straßen ist. Und ganz klar fordern wir weltweit eine Reduktion der Plastikproduktion, eine Umkehr vom aktuellen Trend, bei dem die Plastikproduktion weiter ausgedehnt und gleichzeitig mit dem vorhandenen Plastik verschwenderisch umgegangen wird. Das ist Ressourcenverschwendung und treibt die Klimakrise an. Es ist absehbar, dass bei steigender Produktion immer große Mengen als Mikroplastik in die Umwelt gelangen werden, und schlussendlich auch in uns Menschen selbst.

Dieser Beitrag stammt aus der aktuellen »Oxi«-Ausgabe, die am 8. Juli zu den Abonnent*innen kommt und am 9. Juli für alle, die ein »nd.DieWoche«-Abo haben, exklusiv beiliegt. Thema der Ausgabe ist Plastik. Es ist überall. Es ist der Stoff, der den Alltag prägt. Es wird auf der ganzen Welt unterschiedlich genutzt und erlebt, als Produkt wie als Abfall. Es ist unverzichtbar und doch überflüssig, lebensrettend und doch lebensbedrohlich, verführerisch und gefährlich. Die Epoche der »Petromoderne« hat uns einen Stoff beschert, der als Fluch und Segen gilt und ungeheure Profite ermöglicht.

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