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Verhaltene Freude

Kolumnist Ian King will sich nicht mehr für einen Lügner und Gauner als britischen Premier schämen müssen

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Boris Johnson gibt auf, und viele in Britannien atmen erleichtert auf. Aber noch sitzt der Mann in der Downing Street – als geschäftsführender Premier bis zur Wahl eines Nachfolgers oder einer Nachfolgerin. Das könnte sich bis zum Herbst hinziehen. Johnson verspricht, bis dahin nichts Wichtiges zu unternehmen. Was ihm leicht fallen wird: Seine neueste Idee besteht darin, auf Bierdeckeln wieder die britische Krone aufdrucken zu lassen. Was für ein schöner Beweis für den Erfolg des EU-Austritts! Außerdem will Teflon-Boris Ende Juli in der Dienstresidenz Chequers noch seine Hochzeitsfeier auf Kosten der Steuerzahler im großen Stil veranstalten lassen. Schon daher muss er weiter Premier bleiben. Schwerer dürfte es ihm fallen, sich nicht auch in den kommenden Monaten mit peinlichen Äußerungen zu blamieren. Bis September bleibt noch Zeit für Lobpreisungen des Freizeitparks »Peppa Pig World«, wie er sie vor einigen Monaten dem Industriellenverband CBI präsentierte.

Die Aspiranten auf die Johnson-Nachfolge lassen einem das Herz, das bekanntlich links sitzt, nicht höher schlagen. Außenministerin Liz Truss ließ sich während eines Besuchs beim Nato-Partner Estland in einem britischen Panzer ablichten und macht einen auf Margaret Thatcher. Der schwerreiche frühere Hedgefonds-Betreiber Rishi Sunak – verheiratet mit der noch reicheren Akshata Murty – weckt ebenfalls keine Begeisterung. Am wenigsten abstoßend wirken noch Verteidigungsminister Ben Wallace oder Außenpolitiker Tom Tugendhat, weil der Johnsons Kabinett nie angehört hat. Über ihn weiß man wenig, somit auch wenig Negatives.

Ian King
Ian King
Ian King war Universitätslehrer in Sheffield und London. Fürs "nd" berichtet er seit vielen Jahren aus Großbritannien.

Die eigene Partei hat Johnson letztlich aus dem Amt gejagt. Doch für ein von Labour und Liberaldemokraten geplantes Misstrauensvotum im Parlament werden die konservativen Feinde des Premiers kaum stimmen. Denn damit würden sie Neuwahlen zum Unterhaus und auch die eigene Abwahl riskieren. Mit dem Rausekeln des unbeliebten Noch-Premiers wollten sie genau das ja vermeiden. Dass Labour in den Umfragen klar führt, verpasst potenziellen Tory-Überläufern erst recht kalte Füße. Trotz markiger Worte aus dem Labour-Lager: »Der Mann darf keine weitere Minute im Amt bleiben!« sind die Chancen, nicht nur ihren Spitzenmann Boris, sondern die ganze ihm lange, lange folgsame Tory-Truppe loszuwerden, nahe null. Aber schön wäre es doch!

Allerdings hat die sozialdemokratische Oppositionspartei trotz des beeindruckenden Nachwahlsiegs vor wenigen Wochen im nordenglischen Wakefield eigene Sorgen. Gegen Vize-Chefin Angela Rayner und den Labour-Vorsitzenden Keir Starmer wurde wegen Verstößen gegen Covid-Regeln während des Wahlkampfs in Durham polizeilich ermittelt. Immerhin sind beide, anders als Johnson und Sunak, jetzt freigesprochen worden. Politisch bleiben aber einige Fragezeichen.

Starmer gilt vielen im eigenen Lager als zu kompromisslerisch. Angeblich blinkt er nur nach rechts, um konservative Wähler zu Labour herüberzuziehen. Bei seiner triumphalen Wahl zum Parteichef vor zwei Jahren gab sich Starmer noch als halbwegs Linker. Beispielsweise unterstützte er eine Rücküberführung von Bahn und Energiekonzernen in öffentliches Eigentum. Davon ist heute bei ihm keine Rede mehr. Dabei wären solche Korrekturen an der konservativen Privatisierungspolitik nicht nur notwendig, sondern auch populär. Sein Gesinnungswandel in dieser Frage ist nur ein Beispiel für Starmers Angst vor eigener Courage. Er versucht auch, Linke in der Partei zu maßregeln, seinen Vorgänger Jeremy Corbyn lässt Starmer nicht zurück in die Fraktion. Die Alternative zu den Tories steht sich auch selbst im Weg.

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