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Falsche Freunde

Warum sich Sexisten auf die Seite des Staates schlagen

Bloß nichts preisgeben: auch ein Aspekt von Männlichkeit
Bloß nichts preisgeben: auch ein Aspekt von Männlichkeit

Die Männer, die ansonsten ihren radikalen Bruch mit dem System in eine konsequente Praxis umsetzen, sind oft erschreckend weit davon entfernt, zu begreifen, was antisexistischer Kampf heißt und welche Bedeutung er für eine sozialrevolutionäre Perspektive hat.» Das erklärte die militante Frauenorganisation Rote Zora im Jahr 1984. Seitdem sind knapp vier Jahrzehnte vergangen und seitdem sind viele Linke in Hinblick auf das Konzept eines «radikalen Bruchs» wohl zweifelnder geworden. Eine konsequente Absage an den Kapitalismus kann es zwar geben; in ihr spielt etwa Militanz eine ebenso wesentliche Rolle wie die theoretische Durchdringung der Verhältnisse. Aber die Vorstellung eines vollständigen individuellen und organisatorischen Ausbruchs schon aus der schlechten Gegenwart ist eine ahistorische Wunschvorstellung. Eine der schädlichsten Konsequenzen dieser Vorstellung ist die Annahme, dass Männer emanzipatorische Politik machen könnten, ohne sich über ihre Männlichkeit Klarheit zu verschaffen – und damit über die vielschichtige Präsenz des Patriarchats in den privaten und öffentlichen Sphären der Linken. Diese Erkenntnis enthält auch die Äußerung der Roten Zora, wenn auch als inneren Widerspruch: Der Kampf für die befreite Gesellschaft muss einer gegen das Patriarchat sein, und zwar im Interesse aller Menschen.

Warum diese Vorrede? Aktuell sind zwei Fälle von Männern aus linken Zusammenhängen in den Medien, denen öffentlich sexuelle Gewalttaten vorgeworfen werden. Beide verbündeten sich kurz darauf in unterschiedlicher Weise mit dem Staat: Ein Mitangeklagter im Verfahren gegen die Antifaschistin Lina E. sagt nun als Kronzeuge gegen seine ehemaligen Genoss*innen aus, ein Aktivist der Interventionistischen Linken geht gerichtlich gegen die Sprecherin der eigenen Gruppe vor. Aus Teilen der außerparlamentarischen Linken ist nun zu hören, die beiden Outings seien strategische Fehler gewesen, da sie die Linke in ohnehin prekärer Lage diskreditierten. Aber dies ist ein antifeministischer Vorwurf, der eine Schuldumkehr vollzieht: Nicht die beiden Männer erscheinen nunmehr verantwortlich für den Verrat an ihren Genoss*innen, sondern diejenigen, die sich aufgerafft haben, deren destruktives und gefährliches Verhalten nicht länger zu tolerieren. Auch wird abgelenkt von der Tatsache, dass solche Männer in linken Organisationen nicht nur weiterhin präsent sind, sondern sogar Machtpositionen besetzen, die es leider auch hier gibt.

Dabei ist die eigentliche Lektion: Vergewaltiger sind ein Sicherheitsrisiko. Und zwar nicht nur für ihre (weiblichen) Opfer, sondern für alle. Nicht die Legitimität von antisexistischer Praxis – als die solche Outings zweifellos zu begreifen sind – kann hier zur Debatte stehen. Sondern es muss gemeinsam der Frage nachgegangen werden, welche Charakteristika von Männlichkeit es sind, die es zugleich ermöglichen, sexuelle Gewalt gegen Frauen auszuüben und kaltschnäuzig die eigenen Genoss*innen zu verklagen oder gar der Repression auszuliefern. Hier einige Vorschläge: Erreichen der eigenen Ziele durch Negation des Gegenübers; Verweigerung von Empathie; Treten nach unten; Durchsetzung in der Konkurrenz mit allen Mitteln; Anerkennungsgewinn durch Härte; gewaltvolles Erzwingen von Aufmerksamkeit. Nur in Auseinandersetzung mit solchen Verhaltensweisen können wir uns der Frage annähern, warum linke Strukturen diese nach wie vor (wohlwollend auslegt) tolerieren oder sie (hart ausgelegt) für sich nutzen – oft, bis es zu spät ist.

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