Ein Klima-Notfall und ein No-Go

US-Präsident Joe Biden knickt bei Klimapolitik ein

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 4 Min.
US-Präsident Joe Biden nannte bei seiner Rede im Kohlekraftwerk Brayton (Massachusetts) noch einen Notstand.
US-Präsident Joe Biden nannte bei seiner Rede im Kohlekraftwerk Brayton (Massachusetts) noch einen Notstand.

»This is an emergency, an emergency«, »das ist ein Notfall, ein Notfall«, warnte US-Präsident Joe Biden vor ein paar Tagen bei sengender Hitze im Bundesstaat Massachusetts vor einer kurz bevorstehenden Klimakatastrophe. Er betrachte sie als eine echte Notsituation. Tatsächlich stiegen die Temperaturen am Wochenende im Nordosten der USA auf neue Rekordhöhen, im Westen der USA stehen sie dieser Tage mit über 40 Grad bevor.

Doch erneut enttäuschte Biden. Statt mit einer Präsidialverfügung einen »climate emergency«, also einen Klimanotfall, zu erklären und damit für die Freigabe dringend nötiger Gelder zu sorgen, beließ er es bei Maßnahmen, die letztlich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein werden.

Die Regierung werde 2,3 Milliarden Dollar aus dem Notfallhaushalt gegen Hitzewellen, Wildfeuer und Überschwemmungen abzweigen, hieß es. Außerdem sollen Haushalte mit niedrigen Einkommen Zuschüsse für die hohen Kosten beim Kauf und Betrieb von Klimaanlagen erhalten. Schließlich wird das Innenministerium angewiesen, mehr Offshore-Windfarmen zu entwickeln.

Besser als gar nichts, sagen Biden-Unterstützer zu diesen angekündigten Maßnahmen. Für die Kritiker ist es hingegen ein grandioses Scheitern angesichts der Klimakrise. Da wird vielleicht noch mehr erfolgen, meinen Optimist*innen. Gegenüber der »New York Times« versicherte beispielsweise der Klimabeauftragte der US-Regierung John Kerry, eine Notstanderklärung sei nur eine Frage der Zeit. Kerry vertröstete allerdings nicht zum ersten Mal in seiner Rolle als Mahner und Warner.

Mit einer formalen »emergency declaration«, wie von Klimaaktivisten seit Jahren gefordert, könnte Biden viele Mittel freisetzen, etwa im Rahmen des »Defense Production Act«. Damit würden Milliarden für den Klimaschutz freigegeben. Vielleicht könnte dann sogar ein »Green New Deal« initiiert werden, ein grünes Mega-Investitionsprogramm in Anlehung an sein historisches Vorbild unter Franklin D. Roosevelt zur Bekämpfung der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren.

Die US-Regierung könnte zudem mithilfe eines Außenhandelsgesetzes namens »International Economic Protection Act« den Import klimaschädlicher Produkte, etwa bestimmter Chemikalien oder Holz aus dem Amazonas, verbieten. Sie könnte das Militär mobilisieren für den klimafreundlichen Neu- oder Umbau von im weitesten Sinn »sicherheitsrelevanten« Gebäuden und Flächen. Rohölexporte könnten untersagt und Ölbohrlizenzen ausgesetzt werden – mit entsprechenden Entschädigungszahlungen für Konzerne.

Die »Sunrise«-Klimabewegung hatte Biden zuletzt Mitte Juli zu einer solchen Präsidialverordnung aufgefordert und wissenschaftlich detailliert dargelegt, welche Schritte die Regierung zur Bekämpfung der Klimakrise gehen müsse. Ein gutes Dutzend Senatoren unterschrieben einen offenen Brief mit derselben Forderung. Im Februar vergangenen Jahres hatten progressive Demokraten, darunter Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez, im US-Kongress einen Gesetzesentwurf namens »National Climate Emergency Act« eingebracht. Doch das Weiße Haus reagiert bisher nicht auf den Druck.

Die auf Umwelt- und Klimapolitik spezialisierte Journalistin Kate Aronoroff hielt der Biden-Regierung vor, statt die Notbremse zu betätigen, das Gaspedal nun noch weiter durchzudrücken. Die »Notbremsungen«, die die Regierung bisher hinlegte, hätten sich darauf konzentriert, den Benzinpreis niedrig zu halten »durch die Öffnung der strategischen Ölreserve, die Bewilligung von neuer Infrastruktur für fossile Energieträger, die Aufhebung des Verbots von Ethanolverbrauch im Sommer und schließlich den Schulterschluss mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman«.

Das Weiße Haus befürchtet offenbar politische Rückschläge auf mehreren Ebenen. Ein Gegner von zu ambitionierter Klimapolitik ist etwa der mächtige Senator Joe Manchin aus dem US-Bundesstaat West Virginia. Der konservative Demokrat und Kohlebaron bezieht seine Macht aus dem Patt im Senat zwischen Demokraten und Republikanern. Jegliche Klimapolitik, die seinen Wahlkampfsponsoren in die Quere kommt und seine persönlichen Einkünfte aus dem Kohlegeschäft mindert, sabotiert Manchin. Erst vor Kurzem sagte er, er würde gegen ein neues Klima- und Steuerpaket stimmen. Im Dezember hatte er für das Aus des 1,75-Billionen-Dollar-Wirtschaftspakets gesorgt.

Biden ist aber auch seiner Demokraten-Partei und ihrer »Strategie der Mitte« mit Blick auf die Zwischenwahlen im November verpflichtet. Gute Wahlergebnisse erfolgen aus dieser Perspektive nur, wenn so wenig Staub wie möglich aufgewirbelt und um Stimmen »aus der Mitte«, das heißt von Republikanern, geworben wird. Eine jetzt unterzeichnete Klimadirektive würde Biden und den Demokraten als Einknicken vor den »Sozialisten« ausgelegt werden, so die Befürchtung, und die Wahlchancen mindern.

Eine rationale Klimapolitik auf Bundesebene, langfristig gedacht, ist in den rechtslastigen USA politisch schlichtweg ein No-Go.

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