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  • European Championships 2022 in München

Größer als Winter-Olympia, aber kleiner als die Wiesn

Bei den European Championships in München werden in neun Sportarten Europameister gesucht

  • Lars Becker, München
  • Lesedauer: 5 Min.

Viele Münchner schauen momentan häufiger an der Theresienwiese vorbei. Dort wachsen gerade die monumentalen Festzelte fürs Oktoberfest in die Höhe – oder besser: für die Wiesn, wie man hier zum größten Volksfest der Welt sagt. Nach zwei Corona-Absagen darf es erstmals seit drei Jahren wieder vom 17. September bis 3. Oktober ausgerichtet werden.

Als diese Nachricht verkündet wurde, hat auch Marion Schöne aufgeatmet. Für die Chefin des Olympiaparks war damit nämlich klar, dass auch die schon an diesem Donnerstag beginnenden European Championships vor Zuschauern über die Bühne gehen können. Auf »eine Million Fans insgesamt« hofft sie. Darin sind allerdings auch einige kostenlose Sessions in den Sportstätten sowie das Kulturprogramm »The Roofs« inbegriffen. Trotzdem ist die Zahl ein ambitioniertes Ziel für das größte Multisport-Event in München seit den Olympischen Sommerspielen 1972 an gleicher Stelle.

In der bayerischen Metropole ist das riesige Sportfest mit simultanen Europameisterschaften in gleich neun verschiedenen Sportarten bisher nur an einigen, wenigen Stellen wirklich sichtbar angekommen. Am Königsplatz zum Beispiel, wo ein 5000 Zuschauer fassendes Beachvolleyball-Stadion und eine riesige Kletterwand für die besten Athleten des Kontinents vor allem das junge Publikum anlocken werden.

Das Organisationsteam hat in der dreijährigen Vorbereitungszeit auch im kulturellen Rahmenprogramm einiges auf die Beine gestellt. Bei der Eröffnung am Mittwochabend waren die Sportfreunde Stiller und Materia als Topacts aufgeboten. Doch über den Erfolg dieser Großveranstaltung werden am Ende die Zahl und die Begeisterung der Fans vor Ort sowie die Einschaltquoten im Fernsehen entscheiden.

Bei der Premiere dieses Mini-Olympias vor vier Jahren in Glasgow und Berlin erreichten ARD und ZDF in der Spitze täglich fast fünf Millionen Zuseher. Eine spektakuläre Zahl, vor allem für die bei diesem neuen Event vertretenen Randsportarten. Vor Ort wurden damals insgesamt 400 000 zahlende Zuschauer registriert. Mindestens so viele verkaufte Tickets möchten auch die Münchner Organisatoren erreichen.

Davon hängt auch der finanzielle Erfolg der mit einem Budget von 130 Millionen Euro ausgestatteten Veranstaltung ab. Bislang wurden jedoch nur gut 250 000 Eintrittskarten verkauft. Vor allem bei der populärsten Sportart dieser Titelkämpfe, der Leichtathletik, gibt es noch große Lücken im Stadion. »Es ist ja kein großes Geheimnis, dass uns das schlechte deutsche Abschneiden bei der Leichtathletik-WM nicht gerade geholfen hat. Man braucht halt Stars und deutsche Erfolge«, sagt Marion Schöne. Deshalb kam auch die Nachricht überaus ungünstig, dass ein Fragezeichen über dem Start von Malaika Mihambo hängt. Die Weitsprung-Weltmeisterin hatte sich nach ihrem Titelgewinn mit Corona infiziert und will erst kurzfristig entscheiden, ob sie bei der Heim-EM antritt.

Trotzdem kann sich das sportliche Aufgebot von München sehen lassen. Bei den Leichtathleten sticht sicher Armand Duplantis heraus. Der Schwede hat gerade erst den Stabhochsprung-Weltrekord auf unglaubliche 6,21 Meter geschraubt und damit in den USA den Weltmeistertitel gewonnen.

Aber auch in den anderen Sportarten (Tischtennis, Turnen, Kanu, Rudern, Radsport, Triathlon, Klettern und Beachvolleyball) sind viele Stars am Start. Im Tischtennis schauen die deutschen Fans auf die Goldkandidaten Dimitrij Ovtcharov und Timo Boll, im Turnen auf Olympia-Silbergewinner Lukas Dauser. Im an den Finaltagen bereits ausverkauften Beachvolleyball-Stadion interessiert vor allem der Auftritt des deutschen Duos Kira Walkenhorst/Louisa Lippmann. Die beste deutsche Hallenvolleyballerin Lippmann präsentiert sich erstmals auf großer Bühne im Sand und das gemeinsam mit Walkenhorst, die zwischen 2015 und 2017 Olympiasiegerin, Weltmeisterin und zweimal Europameisterin wurde.

Beim Radsport steht neben den BMX-Artisten vor allem Lisa Brennauer im Blickpunkt. Die Olympiasiegerin von 2021 beendet nach den EM-Tagen von München ihre Karriere: „Es war für mich einfach das Event der European Championships in München – zu Hause! Der Zeitpunkt und der Ort fühlen sich richtig an für diesen Schritt.«

Eine ganz besondere Geschichte in der Heimat will auch „Local Hero» Oliver Zeidler am 14. August im Rudern schreiben. Er möchte seinen EM-Titel verteidigen und das olympische Erbe seines Opas Hans-Johann Färber von den Sommerspielen 1972 an gleicher Stelle fortsetzen. »50 Jahre nach dem Olympiasieg meines Großvaters darf ich auch um Gold rudern. Das wird ein ganz besonderer Moment.«

Natürlich wird in diesen Tagen nicht nur wegen dieser Geschichte viel an das letzte Olympia in Deutschland vor 50 Jahren erinnert. Schließlich findet ein Großteil der Wettkämpfe wie damals im Olympiapark statt, der deshalb weltweit als Beispiel für Nachhaltigkeit gilt. Eigentlich sollten hier die Olympischen Winterspiele 2022 stattfinden, doch die Bewerbung scheiterte damals am Votum der Bevölkerung.

Die European Championships sind dafür mehr als ein Trostpflaster, wie zumindest Marion Schöne findet: »Die European Championships lassen sich durchaus mit Olympischen Winterspielen vergleichen, sie sind sogar größer. Wir haben jetzt 4700 Athleten, bei Winterspielen sind es knapp 3000. Bei uns gibt es 177 Entscheidungen, in Peking waren es zuletzt nur etwas mehr als 100.« Sie will mit dem Event ein Statement dafür setzen, »dass große Multisport-Veranstaltungen in Deutschland wieder angenommen werden.«

Anders ausgedrückt: Münchens Organisatoren wollen die Basis dafür legen, dass es doch irgendwann wieder Olympia in Deutschland gibt. Es schwirrt die Idee herum, dass sich München gemeinsam mit angrenzenden Regionen in Österreich wie Tirol für die Winterspiele 2034 bewerben könnte. »Ich finde die Idee einer nationenübergreifenden Bewerbung absolut sinnvoll«, sagt Schöne. Die Frage dabei ist nur, ob die Münchner das auch wollen – oder ob ihnen die heimelige Wiesn auf Dauer als Topevent des Jahres reicht.

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