Vertrauen und Freiheit unterm Zirkuszelt

Sommer in Berlin: Bei Cabuwazi lernen Kinder in den Ferien mehr als nur Akrobatik

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 6 Min.
Luftakrobatik am Vertikaltuch: In erster Linie soll das Training Spaß machen. Die Kinder haben aber auch die Chance, sich zu professionalisieren.
Luftakrobatik am Vertikaltuch: In erster Linie soll das Training Spaß machen. Die Kinder haben aber auch die Chance, sich zu professionalisieren.

Nacheinander klettern Benisha und Mina an einem von der Zirkuszeltdecke hängenden blauen Tuch hinauf. Immer wieder schlingen sie es in verschiedenen Varianten um ihre Beine oder um die Hüfte, während sie sich Stück für Stück weiter nach oben ziehen. Plötzlich dreht Mina sich kopfüber und streckt die Beine in beide Richtungen aus, beinahe im Spagat. Benisha lässt sich von oben spiegelverkehrt auf ihr nieder. Die umstehenden Kinder applaudieren.

Es sind Zirkusferien am Hohenschönhauser Standort des »chaotischen bunten Wanderzirkus«, kurz Cabuwazi. Vier Tage lang lernen 24 Kinder zwischen sieben und elf Jahren hier Kunststücke am Vertikaltuch, in der Bodenakrobatik oder Jonglage. Am Freitag gibt es dann eine Show für Familie und Freund*innen. Es ist schon Donnerstag, aber aufgeregt ist Mina noch gar nicht. Sie trainiert bereits seit anderthalb Jahren jede Woche in der Vertikaltuchgruppe. »Ich finde es voll cool, in der Luft zu sein und Tricks zu machen«, erzählt die Elfjährige »nd«. Wichtig sei dabei Vertrauen zu der Person, mit der sie zusammen in der Luft hänge. An Cabuwazi gefalle ihr, dass man die Chance habe sich auszutoben. Sie habe auch mal getanzt, da habe es immer viele Vorgaben gegeben. »Hier haben wir mehr Freiheit«, sagt sie.

Auch die achtjährige Benisha, die bei Cabuwazi normalerweise Bodenakrobatik trainiert, aber das Ferienprogramm nutzt, um sich auch mal in der Luft auszuprobieren, findet es »schön, dass wir Kinder selbst was auf die Beine stellen können«. Maggie Santini, eine der Trainer*innen, bestätigt, dass die Kinder sich die Choreografien selbst ausdenken können. »Wir zeigen ihnen nur, wie die Tricks funktionieren«, sagt sie.

Genau das sollten die jungen Artist*innen bei Cabuwazi lernen, sagt Torsten Schmidt, Sozialarbeiter und »Zirkusdirektor« des Hohenschönhauser Standorts. »Wir geben den Kindern Skills an die Hand. Sie sollen wissen, dass sie was können. Das kann ein Schatz sein«, sagt er »nd«. Dazu gehöre, im Team aufeinander zu achten. »Wenn ich unzuverlässig bin, verletzt sich vielleicht jemand. Das macht sie auch fähig, in der Gesellschaft klarzukommen«, sagt Schmidt.

Seit Mai 2021 steht das charakteristische rot-gelb-gestreifte Cabuwazi-Zelt auf einem ehemaligen Parkplatz direkt am S-Bahnhof Hohenschönhausen. Es ist der sechste und jüngste Standort des größten sozialen Zirkus Deutschlands. Vor 28 Jahren wurde das erste Cabuwazi-Zelt in Treptow errichtet. Ziel ist es seitdem, Kindern und Jugendlichen unabhängig von ihrer Herkunft und den finanziellen Möglichkeiten ihrer Familien sportliche, künstlerische und soziale Kompetenzen und Selbstbewusstsein auf den Weg zu geben. Die wöchentlichen Zirkustrainings für Kinder ab neun Jahren sind daher umsonst. In erster Linie sollen sie eine Freizeitbeschäftigung sein, aber die Chance auf Professionalität bis hin zur Berufsfindung sei auch möglich. »Manche Menschen verbringen ihre ganze Kindheit bei uns. Viele Trainer*innen haben als Kinder hier angefangen«, sagt Schmidt.

Dass die Ferienwochen allerdings knapp 200 Euro kosten, gefalle ihm gar nicht. »Die Fördermittel wurden aber seit 20 Jahren nicht mehr angepasst«, kritisiert der Sozialarbeiter. Zirkus sei tendenziell ohnehin schon eine elitäre Freizeitbeschäftigung. »Die Kinder müssen pünktlich und zuverlässig sein. Wenn man das nicht steuert, kommen nur die Kinder aus ›gutem Hause‹«, beschreibt Schmidt seine Erfahrung. Deshalb sei ihm wichtig gewesen, dass der neue Ostberliner Standort in Hohenschönhausen errichtet wird, wo Armut ein großes Thema sei. Vermutlich fänden eher weniger junge Hohenschönhauser*innen nach Adlershof, während wohl mehr Kinder aus Adlershof Eltern hätten, die sie nach Nord-Lichtenberg brächten. Dafür habe sich dann auch der Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Linke) eingesetzt.

Während der hohe Preis des Ferienprogramms leider einige Kinder ausschließe, gehe es in anderen Angeboten darum, »Begegnungen zu provozieren«, erklärt Schmidt, so zum Beispiel in einer zurückliegenden Ferienschule, die für geflüchtete Kinder kostenlos gewesen sei, für die aber auch junge Menschen angemeldet werden konnten, deren Eltern dafür bezahlten. Dabei seien Konflikte vorprogrammiert und es sei viel Arbeit, Kindern gewaltfreies Miteinander beizubringen. Letztlich würden aber beide Seiten von der Begegnung profitieren und lernen, Vorurteile abzubauen. Noch bevor es den festen Standort in Hohenschönhausen gegeben habe, sei ein Cabuwazi-Team regelmäßig in die umliegenden Geflüchtetenunterkünfte gefahren, um den dort lebenden Kindern das Ankommen in Berlin zu erleichtern. Inzwischen arbeitet in Hohenschönhausen ein Team aus 15 Trainer*innen, Erzieher*innen und Psycholog*innen. »Ich hätte gerne noch einen Sozialarbeiter, aber suche noch jemanden, der den bezahlt«, sagt Schmidt.

Relativ neu im Hohenschönhauser Programm ist die Beschäftigung mit der Klimakrise, die in diesem Sommer – vor allem auf dem ehemaligen, nur dürftig begrünten Parkplatz – allzu deutlich zu spüren ist. Die Wand des Zeltes ist schon zur Hälfte hochgeklappt, damit sich die Hitze nicht zu sehr staut. Im Vorzelt befindet sich eine kleine Ausstellung, die mit den Kindern zusammen entwickelt wurde: Plakate beschreiben Maßnahmen, durch die der Ort zukünftig angenehmer werden soll, zum Beispiel Regenwasser auffangen und auf dem Zeltdach versprühen oder die anliegenden Container begrünen.

Den Ferienkindern haben die Trainer*innen an diesem Tag Wasserflaschen mit Eiszapfen drin bereitgestellt. Die Motivation wird von der Hitze zum Glück nicht beeinträchtigt. Kurz vor der Mittagspause probt die Jonglagegruppe noch einmal ihre Performance. Musik setzt ein, die Kinder rollen riesige Bälle in die Manege, die ihnen zum Teil bis zum Hals reichen. Die zehnjährige Elli springt mit Anlauf auf einen der Bälle und jongliert dabei sogar noch. Elias, eine rote Nase im Gesicht, macht den Clown, rutscht gekonnt auf einem Tuch aus und tanzt zum Takt der Musik. »Ich bin gut darin, lustige Sachen zu machen«, sagt er. Am Ende tanzt die Gruppe gemeinsam, bis das Lied vorbei ist, wieder applaudieren die anderen. Der Show am nächsten Tag dürfte nichts mehr im Wege stehen.

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