Melancholie und Umsturz

Plattenbau. CD der Woche: »Kolossale Gegenwart« von Funny van Dannen

  • Luca Glenzer
  • Lesedauer: 3 Min.
Hier scherzt ein ewiger Zweifer: Funny van Dannen
Hier scherzt ein ewiger Zweifer: Funny van Dannen

Unterhaltungskunst erscheint in politischen Kontexten mitunter verdächtig. Denn nicht selten schwingt der mal mehr, mal weniger subtile Verdacht der Trivialität mit. Je mehr Witz, desto weniger Haltung, so die implizite Annahme.

Auch Funny van Dannen könnte man diesen Strick drehen, wenn man denn wollte. Wenngleich seit seinem legendären Debütalbum »Clubsongs« aus dem Jahr 1995 das menschliche Zusammenleben in all seiner Abgründigkeit, Absurdität und Traurigkeit sein zentrales Thema ist, lässt sich eine dezidiert politische Positionierung in seinen Songs meist nur mit viel Interpretationsgeschick erkennen. Dafür torpediert er sich in seinen Songs zu oft selbst – keine These kommt je ohne Gegenthese aus. Funny, der ewige Zweifler.

Sein Verhältnis zur Ironie erinnert dabei an eine Form der Wahrheitsfindung, wie sie dem antiken Philosophen Sokrates einst als Ideal vorschwebte: Durch den naiven Blick auf die Welt, das konsequente Zurückhalten eigener Wissensbestände und die Einnahme verschiedener Rollen wird das Gegenüber durch die bewusst forcierte Verwirrung schließlich zum Nachdenken und Hinterfragen eigener Positionen und Annahmen gezwungen. Wenn es überhaupt ein Heilmittel gegen Dogmatismus und Ideologie geben kann, dann wohl dieses.

Funny van Dannen jedenfalls fände es »geil, wenn irgendein Nazi plötzlich unter der Dusche ein Lied von mir trällert«, wie er dem »Tagesspiegel« vor einigen Jahren verriet. Denn vielleicht sickere dann »in die blöde Birne was Positives. Einen Versuch wäre es wert.«

Auf seinem neuen Album »Kolossale Gegenwart« beweist er einmal mehr, dass er die Klaviatur der Komik, des Absurden und der Ironie wie wohl kein Zweiter beherrscht. So handelt ein Song wie »Das Kind in ihm« etwa von einem Politiker, der in seiner Kindheit eine Katze geköpft hat, was nun die Frage aufwirft, ob er charakterlich für den Job des Bundeskanzlers geeignet ist. Die einen sagen, dass die Tat »megagemein« sei. Die anderen fragen sich, ob es nicht mal eines Politikers bedarf, der »unpopulär sein kann«.

Bei aller Komik, für die van Dannen in besonderer Weise bekannt ist, wird in seiner Rezeption zuweilen vergessen, dass er im Grunde genommen ein äußerst schwermütiger Romantiker ist, dem die Komik womöglich nur als Instrumentarium dient, um den Wahnsinn der Welt zu ertragen. Auf »Kolossale Gegenwart« wird der melancholische Gehalt seiner Musik so deutlich wie vielleicht noch nie: Im gleichermaßen schönen wie traurigen »Westdeutsche Jugend« knüpft er dabei indirekt an Mark Fishers schon oft rezitierten Befund einer allgemeinen Utopie- und Zukunftslosigkeit an, wenn er die allgemeine Orientierungslosigkeit der Gegenwart in Kontrast setzt zu einer Vergangenheit, in der die Zukunft groß und hoffnungsvoll schien.

Im nicht minder traurigen Song »Umsturz« lässt sich Funny gar zu Revolutionsfantasien hinreißen, wenn er stellvertretend für die Post-68er-Generation konstatiert, dass sie jetzt endlich genug Zeit hätten, »alles mal richtig aufzumischen«. Gründe gäbe es allemal genug: die Macht der Banken brechen, nicht mehr an Kranken verdienen oder das eigene Fitnesslevel steigern. Doch wie es bei Funny halt so ist, kommt dann doch immer was dazwischen – das allgemeine Desinteresse an Umstürzen, mit Umstürzen verbundene Risiken oder schlichte Planungsschwierigkeiten.

So bleibt es dabei: Mit einem ironisch-anarchistischen Freigeist wie Funny van Dannen ist im Zweifel keine Revolution zu machen. Auf dem Weg dorthin wird seine zutiefst humanistische Musik aber unentbehrlich bleiben.

Funny van Dannen: »Kolossale Gegenwart« (Trikont)

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