- Kultur
- Lärm im Alltag
Ruhe, bitte!
Hier kommt sie, Ihre 3-Minuten-Auszeit
Nicht selten waren in der Vergangenheit in dieser Kolumne die Politik und deren meist unschöne Begleiterscheinungen (Politiker) und Nebenwirkungen (Realpolitik) das Thema. Oder genauer: Es ging um Kritik an der »Politik«, wie die hierzulande praktizierte Art der Elendsverwaltung gern in verschleiernder Absicht bezeichnet wird.
Der Autor dieser Kolumne begab sich dann gelegentlich in die Rolle eines aus linker Perspektive zeternden Wutbürgers, der stellvertretend für die Leserinnen und Leser die sich in mannigfacher Weise zeigende und nicht enden wollende Unbill unserer Gegenwart beklagte (Krieg, Klemmnazis, Klimawandel, Klingbeil). Der Autor (ich) zeigte hierbei nicht nur unbarmherzig mit dem Finger auf all die gewissenlosen Büttel des Staatswesens, die schamlos permanent neues Ungemach produzieren, sondern machte auch, gleichsam nebenbei, auf jene oft im Verborgenen waltenden perfiden Mechanismen des Kapitalismus aufmerksam, in deren Gewirr wir verstrickt sind, ohne dass uns dies im täglichen Trott und Einerlei immer auffiele. Knapp zusammengefasst: verwaltete Welt, Eliminierung des Nichtidentischen, Verblendungszusammenhang und so weiter, das volle Programm.
Alle sollen mal explizit nichts sagen oder tun. Ist das so schwer? Ist das schon zu viel verlangt?
Doch sei es nun die mittlerweile astreine AfD-Politik praktizierende CDU/CSU, die abgefeimte grüne Partei, in der man mittlerweile über die vergilbten Grundsatzprogramme aus den 80er Jahren ebenso enthemmt wie laut lacht, die Linksjugend, die den Islamfaschismus für eine Emanzipationsbewegung hält, oder die bockstur weiterhin unverdrossen, vergnügt und frohen Mutes in Richtung Zweiprozentpartei marschierende Sozialdemokratie: Heute soll an dieser Stelle ausnahmsweise nicht genörgelt und gemäkelt werden. Zu Gemoser und Gemotze soll es heute explizit nicht kommen. Nicht das unaufhörliche Gelärme des Polit- und Medienbetriebs soll heute Eingang in diese Zeilen finden, sondern etwas, das wir im unausgesetzten Dauergewühle und -geschiebe unseres kräftezehrenden Alltags häufig vergessen: die Stille.
Ruhe soll jetzt mal einkehren, wenn auch nur temporär. Stille, Ruhe, Schweigen. The Sound of Silence. Andacht und Besinnung sollen zu ihrem Recht kommen. Wenigstens ein winziges Zeitintervall soll voll und ganz der Kontemplation und Innenschau gewidmet werden. Zumindest für diesen kurzen Augenblick, in dem Sie, geschätzte Leser, diese kleine Kolumne lesen, soll mal kein Radio, keine Glotze, kein Internet und kein Smartphone angeschaltet sein. Kein elektronisches Gerät soll abgehackte Wort- und Musikfetzen ertönen lassen oder Hintergrundgeräusche produzieren. Nichts soll fiepen, brummen, klingeln, knistern oder dudeln. Bitte alles jetzt von der Stromquelle nehmen, ausknipsen und weglegen. Danke. Ein paar Minuten wenigstens muss auch mal Schluss sein mit Weltkriegsängsten, Wlan-Telefonie und der Wurstobsession vom Södermarkus. Niemand soll jetzt sprechen, schreien oder singen. Die allgemeine Krachmacherei soll sofort eingestellt werden. Der Lärm, dieser »akustische Gestank«, dieses »Hauptprodukt der Zivilisation« (Ambrose Bierce), soll mal für einen Moment enden. Alle sollen mal explizit nichts sagen oder tun. Ist das so schwer? Ist das schon zu viel verlangt? Mal kurz innezuhalten und die Abwesenheit aller akustischen Signale zu genießen? Sich mal für 180 oder wenigstens 120 Sekunden nicht aufzuführen wie ein amoklaufendes Duracell-Häschen auf Speed?
Man muss doch mal bitteschön inmitten dieses sich beständig fortsetzenden Wahnsinns ein Pause machen dürfen: um kurz Atem zu schöpfen, in einem weichen Sessel zu versinken, die Beine auszustrecken, auszuruhen, einen heißen Tee zu trinken (den Ihnen wahlweise Ihr Lebenspartner, Ihr Kind, Ihr Haustier, Ihr Nachbar oder Ihr Bediensteter schweigend zubereitet und bringt).
Thomas Blum ist grundsätzlich nicht einverstanden mit der herrschenden sogenannten Realität. Vorerst wird er sie nicht ändern können, aber er kann sie zurechtweisen, sie ermahnen oder ihr, wenn es nötig wird, auch mal eins überziehen. Damit das Schlechte den Rückzug antritt. Wir sind mit seinem Kampf gegen die Realität solidarisch. Daher erscheint fortan montags an dieser Stelle »Die gute Kolumne«. Nur die beste Qualität für die besten Leser*innen! Die gesammelten Texte sind zu finden unter: dasnd.de/diegute
Es muss doch erlaubt sein, das sich unablässig im Turbo drehende Hamsterrad mal zu verlassen, mal – wenn auch nur für den Zeitraum eines Wimpernschlags – im stillen Kämmerlein zu sitzen und durchzuatmen. Es muss doch das Menschenrecht geben, einmal für zweieinhalb Minuten nichts hören zu müssen von Donald Trump, Richard David Precht, Sahra Wagenknecht oder Toni Kroos. Es kann doch wirklich nicht zu viel verlangt sein, einmal für diese kurze Zeit auf Shopping, Streaming, Gaming, Marketing, Selfies, Facebook, Food-Trends, Mode- und Beauty-Tipps und Auto-Motor-Sport-Narreteien zu verzichten.
Ich bin mir nicht sicher, ob eine bessere Zukunft nicht möglicherweise eine solche wäre, in der Stille, Erholung und Müßiggang nicht unverzüglich Verdacht erregen und Mahnungen, Drohungen, Warnungen und Unverschämtheiten von Figuren wie Friedrich Merz oder Carsten Linnemann nach sich ziehen.
Sicher ist jedenfalls: Hier und jetzt endet diese Kolumne. Und damit – für heute – auch die kurze Phase der Entspannung, die ich Ihnen verschaffen wollte. Nichts zu danken. Sie können jetzt wieder Ihr Handy anschalten.
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