Werbung

Eine Woche Hitze

Die Cologne Jazzweek ist ein von Künstlern kuratiertes Festival – das Ergebnis ist spektakulär

  • Jan Paersch
  • Lesedauer: 5 Min.
Zeitlose Kammermusik von Arooj Aftab bei der Cologne Jazzweek
Zeitlose Kammermusik von Arooj Aftab bei der Cologne Jazzweek

Auf dem Domplatz schwitzen Touristengruppen unter Hüten. Der Rasen vor der Rheinpromenade hat sich in gelbes Stroh verwandelt. Der Fluss könnte noch in diesem Monat den niedrigsten Pegelstand seit Beginn der Aufzeichnungen erreichen. Es ist Sommer in Köln, und nicht bloß Besucher*innen der Metropole leiden unter Hitze und Trockenheit. Janning Trumann blickt prüfend in den grauen rheinischen Himmel, aus dem entgegen aller Vorhersagen kaum Tropfen fallen wollen: »Wenn das hier vorbei ist, muss es unbedingt drei Wochen regnen«, sagt der künstlerische Leiter der Cologne Jazzweek. Nur jetzt bitte nicht, denn an diesem Freitagabend standen noch Open-Air-Konzerte an, hier am idyllischen Biergarten des Konzerthauses Stadtgarten.

Der Pariser Saxofonist Charley Rose ist hierzulande kaum bekannt, doch lockt sein »expressionistischer Jazz« mehr als 100 Zuhörer*innen unter die Buchen und Platanen des Stadtgartens. Das Charley Rose Trio ist experimentierfreudig, lässt auf atemberaubend schnellen Post Bop einen seltsam verschobenen Tango folgen. Ungezähmte Spielfreude, schiere Power – zwei Eigenschaften, die fast jedes der 50 Konzerte beschreiben könnten, die in den sieben Tagen bis zum 20. August während der Cologne Jazzweek stattfanden.

»Köln hat eine tolle Jazz-Geschichte und viele Spielstätten – was noch fehlte, war ein Fenster nach draußen«, meint der 31-jährige Trumann. Der Kurator und seine Mitstreiter*innen haben es bereits mit der zweiten Ausgabe geschafft, die verschiedenen Player der Szene erfolgreich zusammenzubringen, darunter auch den WDR-Sendesaal.

Dazu kommen kleine Orte wie das Artheater im Stadtteil Ehrenfeld. Dort stellte Arooj Aftab aus Pakistan ihre zärtlichen Kompositionen vor, die sie auf Urdu und Englisch singt. Seit 2005 wohnt die Sängerin in Brooklyn und traf dort auf Gleichgesinnte. So wie Gyan Riley. Der ruht sich nicht darauf aus, Sohn des Minimal-Music-Genies Terry Riley zu sein, er ist auch ein sensibler Gitarrist, dessen klassische Ausbildung das fehlende Puzzlestück für die zeit- und ortlose Kammermusik von Arooj Aftab ist.

Die Intensität, mit der Aftab nahöstliche mit europäischen Einflüssen vermengt, brachte ihr jüngst einen Grammy ein und sorgt für ohrenbetäubenden Jubel im kleinen Theater. Da störte ihre fehlplatzierte Ansage kaum: »Nice to be in the city of Kraftwerk.« Man verzeiht es der New Yorkerin: Die Techno-Pioniere stammen aus der ewigen Rivalenstadt Düsseldorf.

Aus Köln dagegen kommt die kaum weniger einflussreiche Band Can. Deren verstorbener Schlagzeuger Jaki Liebezeit stand Pate, als man im Stadtgarten einen Namen für einen vor drei Jahren eröffneten Kellerclub suchte. Nun spielte dort, im Jaki, die niederländisch-südkoreanische Drummerin Sun-Mi Hong mit ihrem Quintett, und obwohl ihr Jazz komplex und zuweilen sperrig ist, war der Laden rappelvoll. Auch hier hat sich ein junges Publikum eingefunden. Längst weiß man: Jazz bedeutet nicht, dass vier ältere weiße Herren sich mit langen Soli abwechseln.

Noch unbequemer wurde es, nahm man die wenigen Stufen hinauf bis zum Hauptspielort des Stadtgartens. Der leichte Schweißfilm auf der Haut, schon die ersten Festivaltage ein steter Begleiter, wurde zum Rinnsal, als vier jüngere Schwarze Herren die Bühne betraten.

Isaiah Collier sieht mit gut geschnittener Jogginghose, weißen Sneakern und Halstuch aus wie ein hipper Modedesigner – doch tatsächlich ist der 1998 in Chicago geborene Saxofonist einer, der den Jazz atmet, schwitzt und auch in einem breiten Lächeln aussendet. Sein aktuelles Album hat Collier an einem 23. September aufgenommen. Kein Zufall, natürlich. Jazzfreaks wissen: Das ist John Coltranes Geburtstag. Isaiah Collier & The Chosen Few halten sich mit den modalen Strukturen ihrer Songs, die weder Themen noch Riffs kennen, ganz nah am Werk des Übervaters des Modern und Free Jazz. 100 Minuten lang spielten die vier ein fast durchgängiges Set mit brillantem Sound – ein infernalischer Lärm, aus dem sich immer wieder Schönheit schält. Wie in Trance ging es hinaus in die Nacht, zwischen den ermattet-euphorisierten Zuschauer*innen sichtete man den Bandleader. Isaiah Collier wirkte nicht erschöpft, im Gegenteil: Er wollte noch feiern gehen.

Kaum ein Festival in Deutschland, ob im Jazz oder im Pop, hat anno 2022 ein derart hochwertiges Line-up zu bieten. Hier gab es kein Füllwerk – noch die unbekannteste Band wusste zu überzeugen. Janning Trumann sagt schlicht: »Wir bilden die Spitze ab.« Niemand bei der Cologne Jazzweek wurde wegen Hypes oder Streaming-Zahlen ausgewählt; dafür sorgte das kundige Kölner Kuratorium, besetzt mit renommierten Künstler*innen wie Nils Wogram oder Rebekka »Salomea« Ziegler. Das Publikum weiß diese Expertise, die auch international gefeierte Acts wie Jakob Bro oder Sons of Kemet an den Rhein gebracht hat, zu schätzen: Die Auslastung lag bei fast 90 Prozent, etliche der Konzerte waren ausverkauft.

Andrang auch Open Air. Am letzten Festivaltag hatten sich alle Wolken verzogen, als Martin Fondse Musiker*innen der lokalen Szene vor einer Unterführung versammelte. Der niederländische Komponist hat sich ausgerechnet die Betonwüste Ebertplatz ausgesucht, ein Paradebeispiel brutalistischer Baukunst, gelegen zwischen einem bürgerlich und einem migrantisch geprägten Viertel. Zwischen dysfunktionalen Rolltreppen und Riesenspringbrunnen waren zu erleben: 15 Saxofone, acht Trompeten, elf Sänger*innen, fünf Posaunen, dazu Gitarre, Drums und zwei Bässe; zwei mächtige Tubas sorgten für noch mehr Tiefe. Fondse gab mit farbigen Kärtchen die Einsätze vor, die Riesenband rockte bei glasklarem Klang und meisterte jeden Break tadellos. Am Ende zogen alle durchs Publikum – Marching-Band-Feeling am Rhein.

Das Solo-Konzert des US-Pianisten Gerald Clayton wurde ähnlich enthusiastisch aufgenommen – allerdings von einem Zehntel so vielen Menschen. Clayton ist ein echter Kalifornier, der morgens nach dem Aufstehen erst einmal an den Strand geht. Surfen sei wie Jazz, sagt der Thirtysomething, im Ehrenfelder Loft am Flügel schwitzend, und schiebt hinterher: »I hope to catch some waves now.«

Nichts in diesem 45-minütigen Set war vorher geplant: Clayton reicherte sein Blues-getünchtes Spiel mit allem an, was in den vergangenen 100 Jahren im Jazz wichtig war: Swing, Boogie Woogie, Gospel. Ein betörendes, fast vollständig improvisiertes Konzert, das mit Horace Silvers »Peace« zu Ende ging. Frieden für alle – und stets genug Wasser zum Surfen: Man wünscht es der Welt. Und natürlich dem Rhein.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal