Der Stau

Stockender Verkehr: Der Weg ist kein Ziel

  • Vincent Sauer
  • Lesedauer: 3 Min.
Typisch Sommer!: Der Stau

In einem nachdenklichen Gesinnungspost auf Facebook, wo viele ihre Sommertage schwitzend aussitzen, las ich kürzlich – schätzungsweise zitiert nach Adorno –, dass die dummen Deutschen auf Reisen an keinem fremden Ort an-, sondern nur von sich selber fortkommen wollen. Das ist etwas bräsig, bei andern Völkern sieht’s vermutlich auch nicht besser aus, aber der Vorwurf wird durch viele Erfahrungen gedeckt, auch meine. Urlaub, ein Wort, das sich von Erlaubnis ableitet, heißt im besten Falle, alles ist wie zu Hause, nur räumt jemand anders auf. Und im Jahresurlaub-All-In im All-Inclusive-Resort darf man das Denken in Dienstleistungen frei ausleben, schließlich ist mein Verhalten durch den Status als zahlender Kunde rechtlich gedeckt. 

Lesenswerte Tourismuskritik leistete bereits 1958 Hans Magnus Enzensberger im „Merkur» unter dem lustigen Titel »Vergebliche Brandung der Ferne«. An dieser Stelle sei aber vor allem der Aufsatz »Overcoming Tourism« des dieses Jahr verstorbenen gelehrten Anarchisten Peter Lamborn Wilson aka Hakim Bey empfohlen, denn er bietet mehr als Negativität. Interessanter als die allgemeine Unfähigkeit, freie Zeit in der Ferne auf einmal schön zu gestalten, scheint mir jedoch das Martyrium, das man im Individualverkehr auf sich nimmt, um am Urlaubsziel ohne fremde Beisitzer und mit tendenziell mehr Gepäck anzukommen: der Stau. Das Auto wird zum Käfig, die Sonne zeigt sich unerbittlich, die Tugend der Geduld entpuppt sich als Geißelung und die Bezeichnung stockender Verkehr ist gefühlt immer eine Lüge. Egal, ob ein Unfall passiert ist, dem man dem Verursacher persönlich übel nimmt oder eine Baustelle, die die faulen Arbeiter seit Jahren nicht in Fahrkomfort verwandelt haben, bildet der Stau genau die unerträgliche Verzögerung, die einen mit der Unerreichbarkeit jeder hübschen Landschaft konfrontiert, unendlich weit hinter der Scheibe eingeschweißt, und das Prinzip Autobahn vor Augen hält, das fordert, immer weiter geradeaus draufzuhalten, nur unterbrochen von der hastigen Rast, bei der man tankt und irgendwas Ungenießbares verschlingt, damit es genauso weitergeht wie zuvor. 

Kluge Gedanken hierüber finden sich in einem Text der Gruppe Tiqqun, Anschauungsmaterial bieten Filme wie Gerhard Polts »Man spricht deutsh« von 1988 oder drei Jahre später »Superstau« mit Otfried Fischer und Ralf Richter, in dem sich die deutschen Urlauber standesgemäß an die Gurgel gehen, denn jeder andere verhindert das private Glück, auf das man das ganze Jahr auf Arbeit so brav gewartet hat. Stau mag man auch als Erfahrung der Klimasünder und Kleinbürger abtun, die sich an die Sommerferien halten müssen. Jetzt haben aber nun mal einige Menschen Kinder, und viele Reiseformen, bei denen man sich von den identischen städtischen Zentren entfernen will, verlangen ein Auto. Grüne Häme ist dämlich. Wenn von Helikoptern aus gedrehte Videoschnipsel im Fernsehen laufen, zeigt sich der Autobahnstau im Sommer als Sinnbild für die große Fahrerflucht vor dem Alltag, für dessen Verkehrsformen mir gerade in der Bahn, einquartiert zwischen anderen Menschen hinterm Laptop, die ihre Zeit hier effizient nutzen, auch keine Verbesserung kommt.

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