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Casino banal

In der Gaming-Branche werden Glücksspielmechaniken immer populärer. Für die Konzerne ist das profitabel, für viele Spieler*innen verheerend

  • Fabian Hasibeder
  • Lesedauer: 3 Min.

Eigentlich ist die Videospielmesse Gamescom für Neuankündigungen auf dem Computer- und Konsolenmarkt bekannt, für Gaming-Fans in kreativen Kostümen und die Möglichkeit, neue Spiele selbst ausprobieren zu können. Die diesjährige Messe in Köln, die in der vergangenen Woche mehr als eine Viertelmillion Besucher*innen anzog, machte aber im ersten Jahr nach dem pandemiebedingten Ausfall aus anderen Gründen Schlagzeilen: Wegen eines eskalierten Streits zwischen mehreren deutschen Berühmtheiten des Live-Videoportals Twitch – wüste Beleidigungen und Schubsereien inklusive. Auf der einen Seite steht Kilian Heinrich, der unter dem Pseudonym »Tanzverbot« vor einigen Jahren mit ausführlichen Videos über Fastfood berühmt wurde. Mehr als eine Million Menschen folgen ihm auf Youtube. Auf der anderen Seite stehen Kevin Bongers (alias »Orangemorange«) und Theo Bottländer (alias »Scurrows«). Beide sind sogenannte Casino-Streamer. Sie filmen sich also live dabei, wie sie bei diversen Online-Glücksspielen astronomische Gewinne einfahren oder Unsummen Geld verlieren.

Der Grund des Streits ist derzeit noch ungeklärt und wird in der Szene heiß diskutiert. Fest steht aber, dass »Tanzverbot« nicht zum ersten Mal mit den Casino-Streamern aneinandergerät. Bereits im vergangenen Jahr kritisierte er das Geschäftsmodell der Twitch-Stars scharf: Sie würden sich von Online-Casinos sponsern lassen und durch ihre Vorbildfunktion die mehrheitlich jungen Zuschauer*innen in die Spielsucht treiben. Der Vorwurf ist berechtigt. Zwar wird in den Live-Streams eine Warnung vor den Gefahren von Glücksspiel eingeblendet, doch die Darbietungen der Twitch-Stars stehen dazu im krassen Kontrast: Während sich auf dem Bildschirm die virtuellen Walzen der einarmigen Banditen drehen, schwankt die Stimmung der Glücksritter zwischen verzweifeltem Flehen und euphorischen Jubelschreien, wenn der erwünschte Gewinn eintritt – ein verführerischer Sog für die Zuschauer*innen.

Die digitalen Glücksspiele und deren Beliebtheit auf Twitch sind dabei eine logische Konsequenz aus einer Entwicklung, die sich seit einigen Jahren in der Gaming-Branche vollzieht. Immer mehr Videospiele großer Hersteller weisen Glücksspielmechaniken auf. Besonders umstritten sind sogenannte Lootboxen (»Beutekisten«): Ähnlich einer Wundertüte können die Spieler*innen gegen echtes Geld virtuelle Boxen erwerben, in der sich zufällige Zusatzinhalte für das Spiel befinden. Neben rein kosmetischen Belohnungen wie neuen Kleidungsstücken für die Spielfiguren befinden sich in den Überraschungspaketen häufig auch Gegenstände, die den Käufer*innen handfeste Vorteile im jeweiligen Spiel verschaffen – eine stärkere Waffe, ein schnelleres Auto oder eine mächtigere Spielfigur. Das virtuelle Öffnen der Lootboxen wird dabei von einem Feuerwerk aus Licht- und Soundeffekten begleitet und ist leuchtenden und lärmenden Glücksspielautomaten damit verdächtig ähnlich. Und auch die Gewinnchancen sind vergleichbar gering: Um beispielsweise die eigene Spielfigur im Fantasy-Spiel »Diablo Immortal« mit der besten – und dadurch auch seltensten – Ausrüstung auszustatten, werden laut Spieler*innen in etwa 300 000 Euro benötigt – wenn das Glück mitspielt. Andernfalls können sich die Kosten auch schnell verdoppeln. Nun geben zwar nur wenige Prozent der Spieler*innen überhaupt Geld für virtuelle Inhalte aus, doch immer wieder bringt die Sucht nach Lootboxen Menschen um Haus und Hof. Sie werden in der Branche halb lobend, halb verächtlich als »Wale« bezeichnet.

Für den börsennotierten Videospielekonzern Activision Blizzard, der »Diablo Immortal« entwickelt hat, und für den Rest der Industrie sind Lootboxen also eine Gelddruckmaschine – alleine auf dem deutschen Markt wurden mit virtuellen Käufen in Videospielen im vergangenen Jahr insgesamt 4,24 Milliarden Euro erwirtschaftet. In Deutschland sind die verschleierten Glücksspielmechaniken im Gaming nicht reguliert, Lootboxen werden – wie in fast allen Ländern der EU – nicht als Glücksspiel erfasst. Das sorgt nach enormen Umsatzsteigerungen im Zuge der Pandemie für zusätzliche Goldgräberstimmung bei den Videospielfirmen. Denn im Casino und auf der Konsole gilt: Am Ende gewinnt immer die Bank.

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