Willkommen im Trump-Land

Gleichstellung und Frauenquote waren Streithemen auf dem CDU-Parteitag

  • Robert D. Meyer, Hannover
  • Lesedauer: 6 Min.

Natürlich kommt er ein paar Minuten zu spät, obwohl der ambitionierte Zeitplan für solche Verzögerungen keinen Raum lässt. Doch ein Markus Söder betritt nicht stillschweigend über einen Nebeneingang den Saal, hält eine Rede und verabschiedet sich höflich wieder. Einer wie Söder lässt sich bitten, lässt sich Zeit, die Menschen warten. Die nehmen es ihm nicht einmal krumm, sondern fügen sich begeistert ein in die Selbstinszenierung des CSU-Vorsitzenden. Als Bayerns Ministerpräsident am frühen Samstagnachmittag auf dem CDU-Bundesparteitag in Hannover eintrifft, ist für Zuschauende nicht mehr mit Klarheit zu unterscheiden, ob dieses Delegiertentreffen in der niedersächsischen Landeshauptstadt oder einem bayerischen Bierzelt stattfindet. Ein Spalier begleitet Söder auf seinem Weg vom Eingang bis zur Bühne, im Hintergrund läuft der Refrain eines französischen Elektropopduos. Ein Hauch Modernität gehört seit jeher zu Söders politischer Verkaufsstrategie, bei einem Horst Seehofer, Edmund Stoiber geschweige Franz Josef Strauß wäre dies undenkbar gewesen. Fehlen darf aber auch bei ihm weder die blau-weiße bayerische Landesflagge noch der rhythmische Beifall seiner Zuhörer*innen im Stechschritttakt.

Zwar ist Markus Söders einstündige Gastrede nur eine von vielen an diesem Wochenende, doch obwohl es nur um Grußworte des CSU-Vorsitzenden geht, charakterisiert sein Vortag die aktuelle Stimmung auf dem Parteitag und an der Basis treffend. Söder, das ist nach wenigen Sätzen klar, wird keine differenzierte Ansprache zu den großen politischen Krisen samt Lösungsansätzen liefern, sondern den politischen Aschermittwoch vom Frühjahr in den September verlegen. Kommando Attacke, Populismus, Stammtisch – da bleibt kein Platz für Konstruktives.

Bayerns Ministerpräsident arbeitet sich an sämtlichen Reizwörtern des konservativ-reaktionären Lagers ab. Vegan, Gendern, Drogenkonsum, Schwangerschaftsabbrüche, besonders die Grünen erklärt er zum politischen Hauptgegner. Wirtschaftsminister Robert Habeck nennt er einen »jammernden Posterboy«, Anton Hofreiter nehme er seine Begeisterung für die Bundeswehr erst ab, wenn dieser sich einen ordentlichen militärischen Haarschnitt zulege. Sein minutenlanges Schwärmen von der Atomkraft als vermeintliche Lösung für die Energiekrise bleibt sein einziger konkreter politischer Vorschlag. Der Saal jubelt, feiert Söder, dessen Rede phasenweise an Tiraden Donald Trumps und anderer Rechtsaußen erinnert. Olaf Scholz bezeichnet er als Gargamel, den griesgrämigen Bösewicht aus der Kinderserie Schlümpfe.

Maximal im Kontrast dazu steht das an die Ampel-Koalition gerichtete Angebot von CDU-Parteichef Friedrich Merz im Anschluss an Söders Bierzeltrede. »CDU und CSU bieten der Bundesregierung an, dort, wo es immer möglich ist und wir zu gemeinsamen Lösungen kommen, auch gemeinsam zu handeln.« Das klingt staatsmännisch, ähnliches hat Merz in den vergangenen Wochen immer wieder gesagt.

Es ist ein vergiftete Offerte, weil die CDU aktuell mit sich ringt, was für eine Partei sie in der Opposition sein will. In Hannover wird deutlich, wie kompliziert die Gemengelage ist, auch weil personelle Fronten und inhaltliche Debatten anders verlaufen, als man es mitunter vermutet.

Als der Parteitag am Freitag über den Vorschlag eines Entlastungspaktes abstimmt, geht der Antrag des Bundesvorstandes ohne größere Debatte und Widersprüche über die Bühne. Dabei positioniert sich die CDU in dem Papier unüblich, sozialpolitisch geradezu fortschrittlich: Teil des Paketes sind ein Gaspreisdeckel über 75 Prozent des Vorjahresverbrauchs und eine einmalige Energiepauschale über 1000 Euro für Haushalte im unteren Einkommensdrittel. Widerspruch der Delegierten gibt es dazu kaum, was ungewöhnlich für eine Partei ist, die sonst von Leistungsdenken und der Verantwortung des Einzelnen redet.

Am Ende dieses Parteitages redet sowieso kaum noch jemand über das CDU-Energiekonzept, dabei betont die Partei gerne, dass Wirtschaftspolitik zu ihrer Kernkompetenz gehört. In Erinnerung bleiben wird von diesem Bundesparteitag vor allem, dass in der CDU über identitäts- und gesellschaftspolitische Fragen große Uneinigkeit herrscht, die Verführung eines konservativen Rollbacks groß ist. Mehr als zwei Stunden ringt die Partei am Freitag mit sich, ehe sie dem vom Bundesvorstand vorgeschlagenen Kompromiss zu einer Frauenquote mit einer knappen Mehrheit von 57 Prozent zustimmt. Der Antrag kommt den Kritiker*innen stark entgegen: Demnach müssen ab 2023 alle CDU-Vorstandsämter ab der Kreisebene mit 30 Prozent Frauen besetzt werden, die Quote steigt schrittweise zum 1. Januar 2024 auf 40 Prozent und ab dem 1. Juli 2025 auf 50 Prozent. Ähnliches gilt bei der Aufstellung für Listenplätze bei Landtags-, Bundestags- und Europawahlen.

Lange sieht es danach aus, dass die Quote keine Mehrheit findet. Besonders junge Frauen wie Franziska Dezember aus dem Landesverband Berlin plädieren leidenschaftlich für ein Nein, fürchten, in Zukunft als »Quotenfrau« zu gelten und wehren sich gegen den Vorwurf, in der Parteiarbeit spiele das Geschlecht eine Rolle. Ganz anders sehen dies jene Frauen, die teils schon Jahrzehnte in CDU aktiv sind und erklären, die Partei habe schon vieles ausprobiert, sei aber bisher daran gescheitert, den Frauenanteil von rund 25 Prozent zu erhöhen. Am Ende könnte es eine durchdachte Fürrede von Bundesschatzmeisterin Julia Klöckner gewesen sein, die den Ausschlag bei Unentschlossenen gab, für die Frauenquote zu stimmen.

Ähnliches passiert am Samstag, als der Parteitag über die »Grundwertecharta« diskutiert, die Ausgangspunkt für das neue CDU-Grundsatzprogramm ist, das 2024 beschlossen werden soll. Lautstark fällt die Kritik der Jungen Union und der Mittelstandsvereinigung MIT an einer Passage aus, bei der es um »Gleichberechtigung« und »Gleichstellung« der Geschlechter geht – passender sei der Begriff »Chancengerechtigkeit«, weil alles andere ein »linker Kampfbegriff« sei. Die Chefin der Frauen-Union, Annette Widmann-Mauz, hält dagegen, Grundwerte müssten dem Wandel der Zeit angepasst werden und die CDU dürfe sich dem nicht verschließen. Wieder ist es der Parteinachwuchs, der sich konservativer als die alte Garde der Partei positioniert. Parteichef Merz hält sich dagegen raus, dabei ist er es, der mit seiner Wahl zum Bundesvorsitzenden im Januar eine Modernisierung der Partei versprach.

Er scheint allerdings noch unentschlossen zu sein, welche Art Parteichef und Oppositionsführer er sein will. Mal gibt Merz in Hannover den besorgten Staatsmann, dann wieder erliegt auch er den Verführungen des Populismus. Direkt zu Beginn des Parteitages wettert Merz unter dem anstachelnden Jubel des Parteitages, Universitäten und der öffentlich-rechtliche Rundfunk dürften »keine Volkserziehungsanstalten« sein. Drohend erklärt er in Richtung der 58 anwesenden Redakteur*innen der Öffentlich-Rechtlichen, »mit ihnen werden wir uns im Verlaufe dieses Parteitages besonders liebevoll beschäftigen«. Eine Anspielung auf eine eigentlich geplante Debatte zur Zukunft von ARD, ZDF und Co., die nur aus Zeitmangel nicht mehr stattfindet. Für das Außenbild der CDU war dies vielleicht auch besser so.

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