Plädoyer für umfassende Demokratisierung

Eigentum im 21. Jahrhundert – Jürgen Leibiger untersucht Metamorphosen und Transformationen

  • Dieter Janke
  • Lesedauer: 4 Min.

Öffentliche Debatten wie auch Analysen mit wissenschaftlichem Anspruch zum Thema Eigentum haben es mit einem ernsthaften Problem zu tun: Bisweilen etwas verschämt, nicht selten jedoch auch offenkundig mit denunziatorischem Ziel verbunden, wird ihnen unterstellt, von Neidgelüsten getragen und dominiert zu sein. Solch interessengesteuerte Vorwürfe haben letztlich jedoch einen substanziellen Grund: Mit dem Eigentum verbundene Strukturen und darauf beruhende Interessen wirtschaftlicher, sozialer wie auch politischer Natur sollen nach Möglichkeit intransparent, nebulös bleiben. Das Eigentum – oder genauer seine derzeitigen Formen und Strukturen – gilt als keiner Debatte würdig und mithin als sakrosant. Die auf modernster Informationstechnologie basierende fortschreitende Globalisierung der Kapital- und Finanzströme begünstigt zudem diesen Hang zur Intransparenz und bis hin zur Anonymität. So erscheint der in den USA ansässige weltgrößte private Finanzinvestor BlackRock zum Beispiel vielfach als schlichter Verwalter von Finanzanlagen, der im Interesse seiner Klientel lediglich überflüssiges Geld einsammelt und renditeträchtig anlegt. Seine nicht nur auf die globale Wirtschaft und den Finanzbereich begrenzte Machtfülle bleibt so außen vor und ist inzwischen selbst für Insider nur schwer durchschaubar.

Jürgen Leibigers jüngstes, durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstütztes Buch will eine Handreichung sein, sich in den mannigfaltigen, mit dem Eigentum verbundenen Problemen orientieren zu können. Sicher ist es kein Zufall, wenn er sich dabei im Titel und auch im Anspruch an die spektakuläre Analyse von Thomas Piketty »Das Kapital im 21. Jahrhundert« von 2014 anlehnt. Indem Leibiger nicht wie Piketty eine konkret historische Eigentumsform zum Gegenstand seiner Untersuchungen macht, geht er jedoch grundsätzlicher vor und untersucht es in seinen vielfältigen historischen wie auch derzeitigen Formen. Leibiger versteht seine Arbeit als eine »politische Ökonomie des Eigentums«, die dessen juristische Form hinterfragt und das Eigentum nicht als Recht an einer Sache und auch nicht nur als das Verhältnis des oder der Eigentümer*innen zu dieser Sache, »sondern als ein gesellschaftliches Verhältnis von Individuen oder Gruppen von Individuen zueinander bezüglich dieser Sache« zum Gegenstand hat.

Methodisch grenzt er sich damit vom weitestgehend geschichtslosen Eigentums- und Güterbegriff der gängigen Volkswirtschaftslehre ab und kann im Folgenden die historisch realen Formen des Eigentums, beginnend mit der Urgesellschaft über die europäische Antike und Feudalgesellschaft bis hin zur Entstehung und Entfaltung des Kapitals Revue passieren lassen. Letzteres selbst ist für ihn weder historisch noch aktuell von eherner Beständigkeit. Es erfährt verschiedene Metamorphosen, die vor dem Hintergrund der derzeit zu beobachtenden technologischen Umwälzungen, der »dritten industriellen Revolution«, offenbar gänzlich neue qualitative Züge aufzuweisen scheint. Wenn Leibiger mit Blick auf das vergangene Jahrhundert dabei auf die Eigentumsstrukturen im sogenannten »Staatssozialismus« zu sprechen kommt und zu Recht konstatiert, dass das »Volkseigentum« aufgrund demokratiefreier politischer Strukturen letztlich lediglich Staatseigentum und die Werktätigen faktisch Lohnarbeiter*innen frei von Produktionsmitteln geblieben sind, erscheint es methodisch inkonsequent, an verschiedenen Stellen noch von realem Sozialismus oder »sozialistischem Eigentum« zu sprechen. Fritz Behrens war hier stringenter und verwandte bereits in seinen postum Anfang der 1990er Jahre veröffentlichten Manuskripten den Begriff des Staatskapitalismus.

Dem anspruchsvollen Titel des Bandes entsprechend gilt Leibigers besonderes Interesse aktuellen Entwicklungstendenzen des Eigentums am Beispiel der Bundesrepublik, »Eigentumsmetamorphosen in der dritten industriellen Revolution« sowie sich bereits abzeichnende künftige Eigentumsformen und -strukturen. Ungeachtet ihrer derzeitigen Differenziertheit konstatiert er eine wachsende Konzentration und Zentralisation des Kapitals, die durch ihre vernetzten Strukturen noch potenziert wird. Global stehen hier 147 Global Player an der Spitze, »die nicht über ihr eigenes Schicksal entscheiden, sondern auf rund 40 Prozent der Weltwirtschaft Einfluss nehmen«. Neben der Deutschen Bank gehört zu jenem illustren Kreis eben auch der Vermögensverwalter BlackRock, dessen reale Finanz- und informelle Macht unter anderem mittels »command ownership« die seines ausgewiesenen Eigenkapitals um ein Vielfaches übersteigt. Mit der »dritten industriellen Revolution« und der neuen Rolle des geistigen Eigentums, der global vernetzten Kommunikationsinfrastruktur, die die bisherigen zeitlichen und räumlichen Dimensionen wirtschaftlicher Abläufe und Strukturen sprengt sowie Privatisierungstendenzen der Natur, tun sich zudem neue soziale und politische Konfliktfelder auf, für die die traditionellen, vorwiegend nationalstaatlichen Regularien offenbar keinen nachhaltigen Rahmen mehr bieten.

Angesichts der globalen Herausforderungen, unter anderem durch den Klimawandel, aber auch die durch Unterentwicklung, Hungerkrisen und dergleichen verbreitete Perspektivlosigkeit in vielen Weltregionen, hinterfragt Leibiger schließlich die Zukunftsfähigkeit gegenwärtiger finanzmarktdominierter Eigentumsstrukturen. Sein darauf basierendes Plädoyer für die »umfassende Demokratisierung der Wirtschaft auch im Herzen der kapitalistischen Eigentumsformen und im kapitalistischen Staat« ist ein fundiertes Diskussionsangebot, dem ein breiter Interessentenkreis zu wünschen ist. Schließlich setzen Demokratisierung und Partizipation Kenntnisse und Informationen voraus.

Jürgen Leibiger: Eigentum im 21. Jahrhundert. Metamorphosen, Transformationen, Revolutionen, Westfälisches Dampfboot, 381 S., br., 38 €.

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