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Wer war Hannes Hegen?

Die Digedags sind zurück – zum 100. Geburtstag ihres Erfinders Johannes Hegenbarth

  • F.-B. Habel
  • Lesedauer: 5 Min.
Ein begnadeter Comic-Zeichner: Hannes Hegen
Ein begnadeter Comic-Zeichner: Hannes Hegen

Eine DDR-Erfindung von 1955 ist bis heute Kult: die Digedags. Sie waren die Helden einer Serie von Bildgeschichten im Comic-Stil (ein vor 50 Jahren verpönter Begriff), die im Dezember das 70-jährige Bestehen feiern kann. Erdacht wurden sie von dem Zeichner Johannes Hegenbarth, der sich in der von ihm für den Verlag Neues Leben gegründeten Jugendzeitschrift »Mosaik« den Kurznamen Hannes Hegen gab. Schon zuvor hatte Hegen für die DDR-Presse unter dem Namen Johannes Karikaturen gezeichnet. Wer war der Mann, um den sich viele Geheimnisse rankten?

Am 16. Mai vor 100 Jahren kam er in einer Glasmacherfamilie in Böhmen zur Welt und bekam seine Ausbildung in Steinschönau und Wien, ehe er in den Krieg ziehen musste. Deutschstämmige Einwohner mussten nach dem Krieg das Sudetenland verlassen, und die Hegenbarths verschlug es schließlich nach Ilmenau, Thüringen. Sohn Johannes konnte in Leipzig Kunst studieren. Max Schwimmer entdeckte das besondere Talent seines Studenten für Karikaturen, und Großonkel Josef Hegenbarth, ein namhafter Grafiker und Illustrator, vermittelte ihm Aufträge in Berlin, wo er ab 1951 wohnte. Er arbeitete unter anderem für die »Neue Berliner Illustrierte« (»NBI«), gestaltete den Schriftzug der »Wochenpost«, entwarf den Titel für »Das Magazin« und wurde unentbehrlicher Mitarbeiter im »Frischen Wind«, dem Vorgängerblatt der Satirezeitschrift »Eulenspiegel«. Doch er wollte sich weiterentwickeln.

Als er 1955 dem Verlag Neues Leben die Konzeption für die Zeitschrift »Mosaik« unterbreitete, stieß er auf großes Interesse, weil man der westlichen Comic-Flut etwas aus dem Osten entgegensetzen wollte – ohne Sprechblasen, wie Hegens vorschlug. Anfangs erschien die neue Zeitschrift vierteljährlich, ab Sommer 1957 monatlich zum Preis von 60 Pfennigen. Schnell wurden die koboldartigen Wesen Dig, Dag und Digedag zu Publikumslieblingen mit ihren Zeitreisen und Abenteuern unter Piraten, im Zirkus, im alten Rom, im All, unter Erfindern verschiedener Epochen und bald mit Ritter Runkel von Rübenstein im Mittelalter, ehe es zum Schluss in den Orient ging. Die fantasievollen Geschichten, die immer einen realen Kern hatten, die originellen Figuren und nicht zuletzt der durchgängige Farbdruck (wenn auch auf schlechtem Papier) begeisterten die Leser, deren Kreis ständig wuchs.

Hannes Hegen konnte die Arbeit nicht allein bewältigen. Er hatte ein »Mosaik«-Kollektiv von Künstlern um sich geschart, und einer davon, Lothar Dräger (1927–2016), erwies sich auch als ebenso fantasievoller wie historisch gebildeter Autor. Ihm fiel eine Schlüsselstellung zu, als sich Hannes Hegen Mitte der 70er Jahre mit dem Verlag überwarf.

Als er 1955 dem Verlag Neues Leben die Konzeption für die Zeitschrift »Mosaik« unterbreitete, stieß er auf großes Interesse, weil man der westlichen Comic-Flut etwas aus dem Osten entgegensetzen wollte.

Hegen hatte in den 50er Jahren schlechte Erfahrungen gemacht, als er für den staatlichen Altstoffhandel das Rumpelmännchen als Maskottchen entwarf. Weil er sich die Figur nicht hatte schützen lassen, konnten andere Zeichner damit weiterarbeiten, als Hegen mit dem »Mosaik« zu viel Arbeit hatte. Die Rechte der Digedags lagen aber bei ihm. So musste der Verlag, der das »Mosaik« weiterbetreiben wollte, Ersatz finden. Autor Lothar Dräger und Zeichnerin Lona Rietschel entwickelten die Abrafaxe: Gnome, die den Digedags nicht unähnlich waren. Hegen klagte auf Plagiat, aber es kam schließlich zu einem Vergleich.

In Buchform erschienen alte Abenteuer der Digedags nun neu, und Hegen zeichnete zusätzliche Bilder. Auch viele andere Zeichnungen entstanden, beispielsweise, wenn er seine Frau Edith Hegenbarth, die fürs »Mosaik« Figurinen entwickelt hatte, nun bei ihrer Arbeit als Kostümbildnerin bei Theater und Film begleitete.

Seit den 90er Jahren erschienen im Tessloff-Verlag Abenteuer der Digedags in gut gestalteten Reprint-Mappen. 1995 brachte Regisseur Peter Wohlfeil einen kurzen Zeichentrickfilm mit den Digedags und Ritter Runkel heraus, und der bis dato eher menschenscheue Hegen und seine Frau traten bei der Premiere im Potsdamer Filmmuseum vor ihr jubelndes Publikum. Leider blieb es bei diesem einen Film.

Nachdem Edith Hegenbarth 2008 verstorben war, fand Hannes Hegen im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig begeisterte Mitarbeiter, um sein Lebenswerk zu sichern. Eine erste »Mosaik«-Ausstellung konnte der betagte Zeichner 2012 dort noch in Augenschein nehmen. 2014 starb er fast 90-jährig.

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Sein 100. Geburtstag wird nun auf vielfältige Weise begangen. Der Autor Harry Rolf Herrling hat eine dicke Doppelbiografie über Josef Hegenbarth und Hannes Hegen geschrieben, Fan-Zeitschriften, wie »Mosa-icke« ehren Hannes Hegen mit Sonderschriften, und als Clou erscheint am 100. Geburtstag tatsächlich ein neues Mosaik mit den Digedags.

In Hannes Hegens Nachlass fanden sich Manuskripte, die die Erfinder-Serie fortsetzen sollten, die 1964 mit Heft 89 abrupt abgebrochen wurde. Dem Verlag schien die Serie um den U-Boot-Erfinder Wilhelm Bauer zu klamaukig. Der jetzige Mosaik-Verlag mit dem Beinamen »Steinchen für Steinchen« hat nun die langjährigen »Mosaik«-Zeichner Ulf S. Graupner und Steffen Jähde reaktiviert. Sie haben Heft 90 »Das Duell an der Newa« ganz im Stil des »Mosaik«-Kollektivs umgesetzt, und auch das Druckpapier erinnert an alte Zeiten. Der Stil von Lothar Dräger ist an seinen Versen wiederzuerkennen: »Einmal König sein will jeder/ sei’s auch nur als Wassergott./ Beifall heischt man, aber weder/ Pfiffe oder lauten Spott.« Nur der Originalpreis aus Hegens Zeiten von 60 Pfennigen wird für dieses Sammlerstück mit 15 Euro doch deutlich übertroffen!

Harry Rolf Herrling: Hannes Hegen und Josef Hegenbarth. Comic Legende und Meister der Illustration. Mosamax, 624 S., geb., 59 €.
Das Duell an der Newa. Mosaik-Verlag Steinchen für Steinchen, 24 S., br., 15 €.

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