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Labour auf dem Vormarsch

Die Krise der Tories spielt den britischen Sozialdemokraten in die Hände

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 4 Min.

Wird Keir Starmer zum neuen Tony Blair? Wie einst Mitte der 90er Jahre ist die Labour-Partei in Großbritannien auf dem Vormarsch, sie liegt in Umfragen mit einem Vorsprung von 17 Prozentpunkten meilenweit vor den Tories. Derweil gibt die Tory-Partei eine zunehmend unglückliche Figur ab. Premierministerin Liz Truss kämpft gegen eine wachsende interne Opposition an und ihre Wirtschaftspolitik stößt die Finanzmärkte vor den Kopf. Während Brexit-Britannien von einer Krise zur nächsten hinkt, präsentiert sich Labour mit zunehmendem Selbstbewusstsein als künftige Regierungspartei, wenn auch die nächsten Wahlen erst 2024 sein dürften.

Begleitet von tosendem Applaus schritt Keir Starmer am Dienstagnachmittag ans Rednerpult im Konferenzzentrum von Liverpool, wo die Partei ihre Jahreskonferenz abhält. Der Parteichef stellte eine Liste von Plänen vor, um das Land auf Vordermann zu bringen: Massive Investitionen in grüne Energie, mehr Unterstützung für den kriselnden Gesundheitsdienst NHS, zusätzliche Hilfe für Leute, die eine Eigentumswohnung erwerben wollen, höhere Löhne für alle. Aber er warnte auch vor überzogenen Erwartungen, indem er sich zur fiskalpolitischen Verantwortung verpflichtete: Manche Pläne würden nicht so schnell umgesetzt werden können wie gewünscht. »Wir werden nur Kredit für Investitionen aufnehmen, wenn es im langfristigen Interesse des Landes liegt«, sagte Starmer.

Er knüpfte an eine politische Strategie an, die er seit seinem Antritt im Frühling 2020 verfolgt: als gemäßigter Labour-Chef aufzutreten und möglichst auf Distanz zu seinem linken Vorgänger Jeremy Corbyn zu gehen. Symbolisch für diese Reise in die politische Mitte war auch, dass die Delegierten bei der Parteikonferenz die Nationalhymne »God Save the King« anstimmten – zum ersten Mal überhaupt. »Wir sind eine Partei des Zentrums«, sagte Starmer in seiner Rede. Die Labour-Partei sei nunmehr der »politische Flügel der britischen Bevölkerung« – es ist ein Slogan, den er sich direkt bei Tony Blair abgeschaut hat. Auch andere führende Parteimitglieder berufen sich auf den ehemaligen Chef, der von 1997 bis 2007 Premierminister war und drei Wahlen gewann. Labour »kommt zurück, um die Arbeit zu Ende zu bringen«, sagte Schattenministerin Lisa Nandy.

Allerdings zeigt ein Blick auf das Parteiprogramm, dass das Erbe der Corbyn-Jahre weiterhin fortlebt. Labour hat sich beispielsweise verpflichtet, das privatisierte Bahnsystem erneut zu verstaatlichen und einen Staatsfonds für neue Industrieprojekte einzurichten. Beide Vorschläge hatte die Partei in ähnlicher Form unter Corbyn ausgearbeitet, sie kommen bei der Öffentlichkeit sehr gut an. Auch versprach Starmer am Dienstag, einen staatlichen Energiekonzern aufzubauen – sehr zur Begeisterung der Delegierten.

Dass Labour derzeit bei den Wähler*innen hoch im Kurs steht, verdankt sich auch der Tatsache, dass sich die Tories selbst in eine tiefe Krise manövriert haben. Die wirtschaftspolitische Strategie, die Schatzkanzler Kwasi Kwarteng am vergangenen Freitag vorstellte, hat bei Ökonomen Kopfschütteln und bei der Öffentlichkeit Empörung ausgelöst. Sein Wachstumsplan beschränkt sich im Prinzip auf Steuersenkungen für Großverdiener und Konzerne.

Besonders bedenklich für die Tories ist, dass Kwartengs Haushaltsplan das Vertrauen in die britische Wirtschaft überhaupt nicht gestärkt hat: Stattdessen hat seine Ankündigung die internationalen Finanzmärkte in große Turbulenzen gestürzt, das Pfund ist im Vergleich zum Dollar auf den tiefsten Wert seit den 1980er Jahren gesunken.

Es sei schwer zu übertreiben, »wie schlecht Kwartengs Ankündigung bei den Finanzmärkten angekommen ist«, schreibt die »Financial Times«. Großbritannien, schon seit Jahren als »kranker Mann Europas« bekannt, scheint auf einmal auf der Intensivstation gelandet zu sein.

Auch ist offensichtlich, dass Truss und Kwarteng mit ihrer neoliberalen Politik völlig an den Briten vorbeiregieren. Die angekündigte Steuersenkung für Großverdiener wird von 72 Prozent der Öffentlichkeit zurückgewiesen, darunter satte 69 Prozent der Tory-Wähler. Die am Freitag präsentierte Wirtschaftsstrategie »sieht zunehmend wie ein schwerer, unerzwungener Fehler aus«, schreibt der britische Finanzjournalist Robert Peston.

So kann sich die Opposition plötzlich als wirtschaftspolitisch verantwortungsvollere Partei präsentieren – bislang war dies stets die Schwäche der Labour-Partei. Zum Schluss seines Auftritts am Dienstag bekräftigte Starmer: »Dies ist ein Labour-Moment« – genau wie es bereits 1997 gewesen sei. »Wir schaffen das.«

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