Als wäre es ein Computerspiel

Erinnerungen an »Gangsta’s Paradise«: Der Rapper Coolio ist tot

  • Ralf Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.

Erinnert sich noch jemand an »Gangsta’s Paradise«? Das war 1995 und der größte Hit von Coolio. Am vergangenen Mittwoch ist der Rapper, der bürgerlich Leon Ivey Jr. hieß, in Los Angeles an einem Herzinfarkt gestorben. Er wurde 59 Jahre alt. Seine Karriere war schon seit Jahren ins Stocken geraten. Sein letztes Studio-Album »From the Botton 2 the Top« erschien 2009; in den letzten Jahren verdiente er sein Geld mit »I Love The 90s«-Konzerten, Reality- und Kochshows.

Geboren in der Provinz von Pennsylvania, wuchs er in Compton, einem Vorort von Los Angeles, auf. Er arbeitete am Flughafen, bevor er Ende der 80er Jahre professioneller Rapper wurde. Als er dann beim Label Tommy Boy unterschrieb, landete er mit »Fantastic Voyage« seinen ersten Hit. Ein lyrischer Kassenschlager, der weltweit auf MTV lief. In meinem Jugendzimmer hampelte und tanzte ich dazu, imitierte die coolen Posen aus dem Video und stellte mir vor, wie ich im Cabrio an der US-amerikanischen Westküste rumfahre. Coolio brachte einem den berühmten American Dream näher, ohne dabei die zum Himmel schreienden Ungerechtigkeiten der US-Gesellschaft komplett unter den Teppich zu kehren.

»Gangsta’s Paradies« aus dem Soundtrack zum High-School-Drama »Dangerous Minds« war eine Adaption des Stevie-Wonder-Songs »Pastime Paradise« von 1976. Es wurde zur Hymne der Generation X. Auf den Fluren deutscher Schulen summten Mittelstandskids den legendären Refrain vor sich hin. Der Song über die beschissene Realität von Jugendlichen aus der US-Unterschicht wurde bruchstückhaft angeeignet und vor allem in Ostdeutschland adaptiert: »They say I gotta learn, but nobody’s here to teach me. / If they can’t understand it, how can they reach me« (Sie sagen, ich soll lernen, aber es ist niemand da, um mich zu unterrichten / Weil sie es nicht verstehen, mich zu erreichen).

Das Gefühl des pubertären Unverstandenseins traf im Osten auf die Schwierigkeiten, den Westen zu kapieren; eine neue Realität, in der nicht einmal die Erwachsenen wussten, was in der bunt blinkenden Verpackung eigentlich drin sein sollte. Coolio traf da irgendwie den richtigen Ton für jugendliche Autoritäts-Skeptiker, die glaubten, das im Refrain besungene »Gangsta’s Paradise« sei so etwas wie ein romantischer Gegenentwurf zum spießbürgerlichen Alltag.

Tatsächlich etablierte der US-Hip-Hop in den 90ern den Gangster als Role Model. In Deutschland spielten daraufhin Heranwachsende die ersten Stufen der Kleinkriminalität durch, als wären sie ein Level im Computerspiel. Während ihre Vorbilder in den USA danach strebten, dem kriminellen Sumpf schleunigst zu entfliehen, wollten nicht wenige ihrer Fans hierzulande aus Gründen der »Realness« ein Teil davon sein.

Doch Coolio fing irgendwann an, im Fernsehen zu kochen. Sein Interesse dafür sei bei ihm als Kind geweckt worden, als seine Mutter ihn nach einem misslungenen gegrillten Käsesandwich dazu gebracht habe, ihr in der Küche zu helfen. So steht es zumindest in seinem Kochbuch »Fünf-Sterne-Gerichte zum Ein-Sterne-Preis«. Das sollten Speisen für alle sein, nicht nur für die »Starched-stiff Elite«, die sich teure Restaurantbesuche leisten konnte, vorangetrieben von seiner Liebe zur Würze des Balsamico-Essigs.

Vom Star zum C-Promi: Coolios letzter großer Auftritt fand auf der politischen Bühne statt: Ende 2017 verkündete der Musiker seine Kandidatur als »Running Mate« (Stellvertreter) für Cherie DeVille, als der Pornostar an den Vorwahlen der Demokratischen Partei für die Präsidentschaftswahlen 2020 teilnehmen wollte – mit dem doppeldeutigen Slogan »Make America fucking awesome«. Die Idee, etwas Sexappeal in die Politik zubringen, scheiterte grandios. 1997 hatte Coolio in seinem Song »C U When You Get There« sich gefragt: »Interessiert es wirklich jemanden, ob ich jemals sterbe?«, und prophezeit, dass zu seiner Beerdigung keine Freunde kommen würden. Das ist hoffentlich nicht der Fall. In den sozialen Medien zumindest kondolierten viele Musikerkollegen. Der möglicherweise beste Basketballer aller Zeiten, LeBron James, schrieb: »Gangsta’s Paradise« sei genau der Platz, wo sich Coolio jetzt befinde.

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