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Reif für die Insel

Kritisches Wohlfühlkino: Der nur zur Hälfte nicht banale Cannes-Gewinnerfilm »Triangle of Sadness«

  • Stefan Gärtner
  • Lesedauer: 5 Min.
Östlund ist ausgezeichnetes Bescheidwisserkino gelungen. Am Ende herrscht Einigkeit über unsere moralischen Standards.
Östlund ist ausgezeichnetes Bescheidwisserkino gelungen. Am Ende herrscht Einigkeit über unsere moralischen Standards.

Der Schwede Ruben Östlund ist der Regisseur der Stunde; er hat die Goldene Palme von Cannes bereits zum zweiten Mal gewonnen, was bislang keinen zwei Handvoll Kollegen geglückt ist. »Triangle of Sadness« ist aber über lange Strecken ein blöder Film, und zwar derart blöd, dass es eigentlich nicht wahr sein kann und die Frage sich aufdrängt, ob die Satire, die hier in primitiver Outriertheit vorliegt, nicht eher eine Meta-Satire sei, also eine Satire auf solcherlei Satiren, welche den Kapitalismus bis aufs Blut bloßstellen und das Publikum von Pressevorführungen, wie es eine Zeugin in Berlin gehört haben will, zu brüllendem Gelächter hinreißen.

Und zwar vermutlich darüber, dass, stellen wir uns einmal ganz dumm, wir den Kapitalismus als Yacht imaginieren: An Deck die Reichen, die sich von denen bedienen lassen, die hoffen, dass etwas für sie abfällt, und unter Deck die ganz Armen, die den Laden am Laufen halten, und an der Reling stehen die mit den Maschinenpistolen und passen auf, dass die Armen die Reichen nicht über Bord schmeißen. Die Reichen sind dabei furchtbar dekadent und sehr dumm, und wenn der russische Düngemittelkönig ausruft: »Ich verkaufe Scheiße!«, dann ist er nicht selbstironisch, sondern sagt die Wahrheit, ja sogar eine Wahrheit schlechthin.

Am Tisch von Yaya und Carl, beide Models und als Influencer dabei, sitzt ein reizendes älteres englisches Ehepaar, das sein Geld, sagt der Mann, mit Präzisionsinstrumenten verdient, von der Art, wie sie die Demokratie benötige, und es ist natürlich sofort klar, dass es sich um Waffen handelt. Carl bleibt der Mund offen, und das kann man verstehen. Dann zieht ein Sturm auf, das Schiff gerät, aber ja doch, in Schieflage, und die Reichen liegen in ihrem erbrochenen Kaviar, während Woody Harrelson als exzentrisch-marxistischer Kapitän es immer schon gewusst hat. Dann kommen die Piraten, und es ist gottlob Ruhe, vorausgesetzt, das brüllende Gelächter hat sich gelegt.

Yaya, Carl und ein paar weitere Passagiere stranden auf einer Insel, und die einzige, die weiß, wie man ein Feuer macht und Fische fängt, ist – wir sagen nicht: ausgerechnet – die indonesische Klofrau Abigail. Jetzt kehren sich die Machtverhältnisse um, und aus der dummen Satire wird ein gar nicht so dummes Lehrstück. Ein Lehrstück hält uns nämlich nicht den Spiegel vor, sondern eine Frage, und das ist dann noch etwas anderes, wenn die Frage banal ist: Was wäre, wenn die herrschen würden, die die Arbeit tun? Was wäre, wenn es die Frauen wären und sich die zwischengeschlechtlichen Abhängigkeiten umdrehten, sich nämlich Männer auf die Besetzungscouch zu legen hätten?

Der Auftakt des Films zeigt Carl und Yaya, wie sie sich im Restaurant um die Rechnung streiten, die Yaya, obwohl sie viel mehr verdient als Carl, wie selbstverständlich für Carl liegenlässt, und das ist nicht nur sehr hübsch und loriotesk inszeniert, sondern bebildert eine so gute Frage wie die, wie und warum Macht, Geld und Geschlecht immer noch zusammenhängen. Der erste Teil von »Triangle of Sadness« – so nennt ein Modemensch das unerwünschte Ensemble aus Sorgenfalten über der Nasenwurzel, und was Östlund darunter versteht, lässt sich denken – bereitet den dritten so gründlich vor, dass die als Farce ausgespielte Farce auf der Yacht erst recht wie ein sagenhafter Kunstfehler wirkt.

Das ist Bescheidwisserkino, das sich lediglich der Einigkeit über die eigenen ästhetischen und moralischen Standards versichert und die Solidarität mit denen unter Deck wie eine dieser Gesten wirken lässt, deren Größe mit dem Bewusstsein ihrer Folgenlosigkeit recht positiv korreliert. Da könnte man direkt noch mal überprüfen, ob das Lexikon des internationalen Films recht hat, das Pasolinis »120 Tage von Sodom« bescheinigt, »jenseits spekulativer Intentionen und ästhetischer Gefälligkeit« ein »Kommentar zur hedonistischen Konsumgesellschaft der Nachkriegszeit« zu sein, »die von Pasolini als apokalyptische Verfallsepoche begriffen wird«. An der Apokalypse weidet sich Östlunds Triptychon auf seiner Mitteltafel auch, sorgt aber mittels ästhetischer Gefälligkeit dafür, dass unsere konsumistische Verfallsepoche als Popkultur durchgeht. Schon sein erster Palmengewinner »The Square« ließ ja den Verdacht zu, Gesellschaftssatire sei, wenn die Gesellschaft sich an ihren Zerrbildern weidet.

»Triangle of Sadness« neigt im ganzen zur eitlen Überbetonung und wird auch darüber zum kritischen Wohlfühlkino: Wenn Carl und Yaya sich im Taxi streiten, dann muss der Heckscheibenwischer rhythmisch dazwischenquietschen, und wenn sie sich auf dem Sonnendeck streiten, dann muss eine Fliege über die Tonspur brummen, und wer derlei lustig oder gar bedeutsam findet, hat scheint’s nichts dagegen, für beschränkt gehalten zu werden. Und wenn Carl im teuren Hotel ewig nach dem richtigen Wandschalter für die Stehlampe sucht, dann ist derlei nicht das Problem unserer Klofrauen, sondern der reisegestressten Kulturbeauftragten, die sich brüllend freuen, wenn auch einmal ihre Probleme ins Kino finden.

Nach zweieinhalb Stunden hat »Triangle of Sadness« aber doch eine gute, weil dämonische, ganz konsequente Pointe, an die man sich noch erinnern kann, wenn die vielen schlechten Einfälle füglich vergessen sind. Über die intellektuelle Qualität auch nur halbwegs massentauglicher Kapitalismuskritik sollte man sich aber trotzdem keine Illusionen machen. Und nicht persönlich im Kino und dem Einverständnis des kritischen Milieus ausgesetzt gewesen zu sein, hat immerhin ein Restvergnügen gewährleistet.

»Triangle of Sadness«: Schweden, Großbritannien, USA, Frankreich 2022. Regie und Drehbuch: Ruben Östlund. Mit: Harris Dickinson, Charlbi Dean Kriek, Woody Harrelson. 147 Minuten. Start: 13.10.

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