Ohne Rücksicht aufs Publikum

Diamanda Galás einzigartige Stimme kann das Leid eines Krieges vertonen.

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.
So avantgarde wie man nur sein kann: Diamanda Galás.
So avantgarde wie man nur sein kann: Diamanda Galás.

All diese Gewalt. Auf »Broken Gargoyles« rezitiert, wimmert und schreit Diamanda Galás zu Ehren der Verstümmelten und Toten des Ersten Weltkriegs. Das Quälende dieser Musik soll ihrem Gegenstand offenbar klanglich entsprechen: zwei lange Tracks (»Broken Gargoyles I. Mutilatus«, »Broken Gargoyles II. Abiectio«), jeweils um die 20 Minuten, in denen Dröhnen, Schaben, Donnerklavier und viele andere unangenehme Geräusche der wirklich unvergleichbaren Stimme von Diamanda Galás eine Bühne bereiten. Und auf der verausgabt sich die Sängerin dann wieder exzessiv und ohne Rücksicht auf Hörerin und Hörer und auch auf sich selbst.

Plattenbau
Die CD der Woche. Weitere Texte unter: dasND.de/plattenbau

Auf Deutsch, mit starkem Akzent, werden Gedichte von Georg Heym vorgetragen. »Die bleiche Leinwand in den vielen Betten / Verschwimmt in kahler Wand im Krankensaal / Die Krankheiten alle, dünne Marionetten / Spazieren in den Gängen. Eine Zahl / Hat jeder Kranke. Und mit weißer Kreide / Sind seine Qualen sauber aufnotiert«.

Wenn Galás, oder besser: Wenn die Galás das Wort »Eingeweide« mit allergrößtem Pathos auskotzt, spürt man, es kommt von Herzen. Galás’ Vertonung von vier Georg-Heym-Gedichten reicht über den historischen Bezug hinaus. Die Weltkriegstoten werden mittels Terrormusik und Stimmakrobatik als Metaphern für das Weltelend, die gequälten Körper besungen, aber auch die Schönheit des Abjekten. Damit schließt »Broken Gargoyles« an eines der großen Themen der Musik von Diamanda Galás an: die Toten und die Kranken, die von der Gesellschaft ausgestoßen werden, die für ihre Situation im Wesentlichen verantwortlich ist.

Die in der zweiten Hälfte der 80er Jahre erschienene »Masque of the Red Death-Trilogie« vertonte Leiden und Sterben der Aids-Toten. Musikalisch und konzeptuell knüpft »Broken Gargoyles« ans Frühwerk an, also an die ersten beiden Alben, »The Litanies of Satan« und »Diamanda Galas«: zwei lange Tracks mit atonalem Industrial, der aber nur eine Art musikalischer Raum zur Entfaltung der Vier-Oktaven-Stimme ist.

Das eigentlich Befremdliche an dieser Musik jedoch kommt nicht aus ihrem mit heiligem Ernst vorgetragenen Leidenspathos, sondern aus ihrem Camp-Potenzial. Das Theatralische von Diamanda Galás’ Performance ist derart theatralisch, dass man Übertreibung und Selbstironie vermutet, wo wahrscheinlich gar nichts Derartiges zu finden ist. Das »Dämonische« dieser Stimme (Flüstern, Schreien, Krächzen) ist, gerade in all ihrer Virtuosität, möglicherweise wirklich so todernst gemeint, wie es klingt. Und der Verdacht, das müsse doch bewusst übersteigert, übertrieben und vielleicht auch nicht ganz frei von Humor gedacht sein, geht vielleicht tatsächlich in die Irre. Aber unfreiwillig komisch ist das Ganze eben auch nicht.

Wahrscheinlich kann man auf »Broken Gargoyles« einfach nachhören, wie es klingt, wenn eine Künstler*in die ganz großen Gefühle, Gesten und Klagen nicht mehr irgendwie bricht, ironisiert oder sonstwie absichert. Sondern zelebriert. In dieser Hinsicht ist die Klangkunst von Diamanda Galás nahe an der Musik von Michael Gira und den Swans gebaut. Auch in dem Sinne, dass hier der ganze Exzess von sehr strengen und klaren konzeptuellen Vorstellungen zusammengehalten wird. Diamanda Galás mag die Rolle der dunklen Diva und Schutzherrin der Leprösen und Verstümmelten perfektioniert haben – als Performance. Gemeint ist das alles aber wirklich so, wie es klingt: eins zu eins.

Diamanda Galás: »Broken Gargoyles« (Intravenal Sound Operations/Indigo)

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