Die Lösung liegt im Bestand

Nicht nur, um das Klima zu schützen, müssen Abrisse verhindert werden

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Mittwochabend kocht die Stimmung im Kiezraum auf dem Dragonerareal kurz hoch. Die Klimabewegung sei heute schwächer aufgestellt als in den vergangenen Jahren – in dieser Situation helfe es nicht, ihr immer neue Kämpfe aufzuzeigen, bei denen sie sich einbringen kann. „Dass etwas klimapolitische Relevanz hat, heißt noch lange nichts», sagt der Aktivist Tadzio Müller mit Blick auf die begrenzten Ressourcen.

Er ist eingeladen zu einer Veranstaltung organisiert von der Initiative, die um das von Obdachlosen besetzte Haus in der Habersaathstraße kämpft. Der Bezirk Mitte hat den Abriss des erst 1984 errichteten Gebäudes genehmigt, der Eigentümer will hier einen Neubau hinsetzen. Ein einleuchtendes Beispiel dafür, warum Abrisse Klima- und Mietenbewegung gleichermaßen stören sollten. So stecken in einem Gebäude Unmengen an bereits verausgabter sogenannter „Grauer Energie». Gleichzeitig ist klar: Wenn ältere Gebäude abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden, geht auch günstigerer Wohnraum verloren. 

Bei der Veranstaltung berichtet Khai Phung von der Initiative Watch Indonesia, welche Naturzerstörung durch den Sandabbau in Südostasien angerichtet wird, dass für jede Tonne Zement 600 Kilogramm CO2 ausgestoßen werden und sich das auch nicht wesentlich verringern lässt, weil der Großteil der Emissionen auf die chemische Reaktion im Herstellungsprozess entfällt. „Wir Architekten haben eine gesellschaftspolitische Aufgabe», sagt deshalb auch Theresa Keilhacker, Präsidentin der Architektenkammer Berlin. Sie verweist auf die noch immer von Bausenator Andreas Geisel (SPD) aufgeschobene Novellierung der Berliner Bauordnung, mit der unter anderem eine Kreislaufwirtschaft von Bauabfällen neu geregelt werden soll. Keilhacker ist auch Mitunterzeichnerin eines offenen Briefs, der von Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) ein Abrissmoratorium einfordert. „Die 400 000 neuen Wohnungen, die der Bund pro Jahr vorgibt, wären eine Klimakatastrophe», sagt sie. 

Der Stadtsoziologe Andrej Holm kann sich erklären, wie es diese Zahl in den Koalitionsvertrag auf Bundesebene geschafft hat. Bauwirtschaft und Immobilienlobby würden, weil sie mit jedem Neubau viel Geld verdienen, lautstark erklären, wie energieeffizient Neubauten sind, dabei aber die graue Energie unterschlagen. „Bauen, bauen, bauen: Das ist die einzige Lösung, die im Wohnungssektor präsentiert wird, sowohl was die Mieten als auch das Klima betrifft», sagt er. 

„Mieten- und Klimabewegung sind sich einig: Die beste Lösung liegt im Bestand», so Holm weiter. Mantraartig betont die Mietenbewegung seit langem, dass Neubau allein keine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt bringt. Auch klimapolitisch brauche es den Fokus auf Bestand, meint Holm. Um die Klimaziele zu erreichen, seien mehr energetische Sanierungen nötig. „Diese sind der Grund, warum Klima- und Mietenbewegung historisch nichts miteinander zu tun haben», so Tadzio Müller. Denn energetische Sanierungen kosten viel Geld. Durch die Modernisierungsumlage können acht Prozent der Kosten jährlich auf die Mieter umgelegt werden – ein Treiber für Mietsteigerungen und ein Grund, warum sich die Klimabewegung von diesem Thema bisher ferngehalten hat. 

Dass Mieter die Kosten von energetischen Sanierungen allein tragen, ist aber eine politische Entscheidung. Hier zu einem Umdenken beizutragen, könnte ein gemeinsamer Kampf von Mieten- und Klimabewegung sein, heißt es auf der Veranstaltung. Eine weitere Idee hat Tadzio Müller: „Die Aktivisten der ›Letzten Generation‹ könnten sich auch vor den Häusern derjenigen ankleben, die zwangsgeräumt werden sollen.»

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