Endlager-Begleitgremium ist entrüstet

Die Mitglieder erfuhren erst aus der Presse über Zeitverschiebung bei der Suche nach Lagerstätte für den Atommüll

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 4 Min.

Wissenschaftsbasiert, fair und transparent soll die Suche nach einem Endlager für den hoch radioaktiven Atommüll ablaufen, die Öffentlichkeit soll frühzeitig am Verfahren beteiligt werden – so schreibt es das Standortauswahlgesetz von 2017 fest. Zumindest gegen einige dieser Kriterien wurde nun verstoßen. Denn das Nationale Begleitgremium (NBG), das den Prozess vermittelnd begleiten soll, hat nach eigenem Bekunden erst aus der Presse erfahren, dass sich die Suche wohl um Jahrzehnte verzögern wird.

Trotz regelmäßiger Gespräche mit allen beteiligten Institutionen sei man in den Informationsfluss rund um die Verlängerung der Endlagersuche um mehrere Dekaden nicht eingebunden gewesen, beklagte sich das NBG. Dementsprechend groß sei die Entrüstung unter den Mitgliedern, stehe das Gremium doch für Transparenz und die Schaffung von Vertrauen in das Verfahren.

Durch Medienveröffentlichungen war kürzlich bekannt geworden, dass der Standort für das Endlager wohl frühestens zur Mitte dieses Jahrhunderts feststehen wird. Dagegen steht im Gesetz, dass die Festlegung des Standortes für das Jahr 2031 angestrebt wird. Noch im vorigen Dezember hatte die mit der Suche beauftragte Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) erklärt, dass sich an dieser Vorgabe nichts ändere. Am 10. November räumte die bundeseigene Gesellschaft dann erstmals ein, dass dieser Termin nicht zu halten ist. Die Auswertung geologischer Daten und auch die Entwicklung der nötigen Methoden verlangten mehr Zeit.

Die »Süddeutsche Zeitung« hatte zudem unter Berufung auf interne Unterlagen der BGE über zwei zeitliche Szenarien für die Auswahl eines Standortes berichtet. Im schnelleren Szenario könne bis 2046 feststehen, an welchem Ort der Atommüll gelagert werden soll.

Der frühere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU), der seit März 2020 im 18-köpfigen NBG sitzt, brachte die Kritik des Gremiums am Montag auf den Punkt: »Die Art und Weise, wie wir und die Öffentlichkeit von dieser Verzögerung erfahren haben, ist ein großes Problem«, sagte er. »Wie kann es sein, dass wir in einem ständigen Austausch mit der BGE und den anderen Akteuren stehen, aber solch eine wichtige Zeitverschiebung erst aus der Presse erfahren? Das ist ein Vertrauensbruch – das muss man ganz klar sagen und auch Tacheles reden.«

»Diese Zeitplanänderung war ein Paukenschlag«, so auch die Ko-Vorsitzende des Begleitgremiums, Miranda Schreurs. Sie werfe auch Fragen auf über die zukünftige Rolle des Gremiums und bestärke die Notwendigkeit der beiden Prinzipien des Standortauswahlgesetzes, nämlich Partizipation und Transparenz.

Die Auswirkungen der Verzögerung auf das Suchverfahren sind nach Ansicht des NBG erheblich. Sie reichen von der Konzeption der Öffentlichkeitsbeteiligung über finanzielle Aspekte bis zum Problem mit den Zwischenlagern. Gemeinden mit Zwischenlagern fragten sich, wie lange die Castoren wohl nun bei ihnen gelagert würden. Junge Menschen stellten sich die Frage, ob die finanziellen Mittel ausreichten, um diesen verlängerten Suchprozess und die Endlagerung zu bezahlen.

Dass die Verschiebung der Standortfindung um Jahrzehnte eine verlängerte Zwischenlagerung der radioaktiven Abfälle zur Folge hat, merkt auch die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg an. »Das wirft erhebliche Sicherheitsbedenken auf«, sagte BI-Sprecher Wolfgang Ehmke dem »nd«. Die Castor-Behälter, in denen der Atommüll aufbewahrt wird, und die Zwischenlager seien jeweils für 40 Jahre ausgelegt und genehmigt worden. Die zentralen Lagerstätten in Gorleben sowie im westfälischen Ahaus verfügten nur bis 2034 beziehungsweise 2036 über Betriebsgenehmigungen. »Wir sind«, so Ehmke, »höchst beunruhigt.«

In den 70er Jahren hatten die politischen Entscheidungsträger das niedersächsische Bergwerk Gorleben ohne Mitbestimmung der Bevölkerung als Endlager-Standort festgelegt und damit große Proteste ausgelöst. Die vor wenigen Jahren neu aufgelegte Suche soll nun nicht nur geowissenschaftliche Daten berücksichtigen, sondern eben auch transparent und fair ablaufen.

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