Identifikationsfigur

Linker Studenten-Rap ist schlimm, Disarstars »Faschos ins Lager«-Pose aber noch mehr

  • Jessica Ramczik
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor einigen Jahren kursierte ein Sticker mit der Aufschrift »Nazis blockieren, wo immer sie appearen«, dazu ein Bild des österreichischen Rappers Money Boy. Ich für meinen Teil war an dieser Stelle vollends zufrieden. Mehr linkes Identitätsangebot in der Verbindung von Rap und Politik hätte es in meinen Augen nicht gebraucht. Aber nein, linker Deutsch-Rap wollte mehr sein. Das Ergebnis? Meist nur kommerzkritischer Polit-Rap.

Vor einigen Jahren wurde dieser noch Rucksack-Rap genannt und ließ sich damit leicht belächeln. Zu sehr mittel- und oberschichtgeprägt sei das Subgenre, zu wenig Street Credibility habe es. Mehr als moralisierende Zeigefinger auf kapitalistische Verhältnisse und neonazistische Tendenzen war oft nicht drin. Und so wurde linker Rap dort, wo Hip-Hop richtig groß ist, in migrantischen Kreisen, auch immer ein wenig belächelt. Künstler wie die Antilopengang, Pöbel MC und Waving the Guns verließen eigentlich nie wirklich ihr akademisches Millieu. Zecken-Rap wird immer nach Studi-WG und Plenum riechen.

Bei einem schien das anders: Disarstar, »dessen kritische Texte nicht nur den Zahn der Zeit treffen, sondern auch in Migrant*innenkreisen anerkannt werden. So war Disarstar, als einziger weißer Rapper, Feature auf dem Benefiz-Song ›Bist du wach?‹ von Azzi Memo«, schrieb das Hip-Hop-Magazin »MZEE«. Mehr noch, Disarstar bezeichnet sich selbst als Antifaschist, Antikapitalist und schien so viel zu bieten zu haben: Mit 15 von zu Hause ausgezogen, dann Drogenkarriere und Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung.

Endlich ein deutscher Rapper ohne Pädagog*innenelternhaus, endlich einer, dem man die »Straße« abkaufte. Ein Rapper mit Klassenstandpunkt, dessen Texte schließlich politischer wurden, die eine persönliche Entwicklung erkennen ließen und glaubhaft vermittelten, dass es um mehr geht als Sozialromantik oder intellektualisierte Kritik an Verhältnissen, die ihn selbst gar nicht betreffen. Sogar ein nennenswertes Maß der Fähigkeit zur Selbstkritik traute man Disarstar zu, als er sich von den eigenen antisemitischen Lyrics distanzierte.

Es hätte alles so gut werden können. Linker Rap als Schnittstelle zwischen dem ursprünglichen »Straßen-Rap« migrantischer Communitys und weißen Akademiker*innenkids, der damit etwas leistet, was eben nur wenigen Rappern bislang gelungen ist: links sein, ohne dabei nach Deutsch-Leistungskurs zu klingen. Dass es ohne Entgleisung nicht geht, zeigte sich jedoch kürzlich bei einem Konzert im Leipziger »Conne Island«. Disarstar und seine Fans, viele davon vermummt, wedelten mit Bengalos und posierten mit einer beschrifteten Tapete »Faschos ins Lager«.

Bei genauerem Blick sind solch autoritäre Sehnsüchte keine Seltenheit in Disarstars Œuvre: ein bisschen personalisierte Kapitalismuskritik hier, ein bisschen Lagerrhetorik, Revolutionskitsch und RAF-Reminiszenzen dort. Das scheint seinen Fans und Teilen der linken Szene nichts auszumachen, war das Konzert im »Conne Island« doch ausverkauft, trotz Augenfälligkeit von Machismo und identitärem Gehabe. Was bleibt, ist die Frage: Nach wie viel regressiver Selbstbespaßung ist endlich Kommunismus? Kommt die Revolution nach dem dritten Mob-Foto mit Bengalo? Jessica Ramczik

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