• Politik
  • Freiheitsrechte in den USA

Den Richtern einen Schritt voraus

Der US-Senat will die Ehe für alle schützen und verabschiedete ein entsprechendes Gesetz

  • Johanna Soll
  • Lesedauer: 3 Min.

Die USA haben einen großen Schritt in Richtung des Schutzes der gleichgeschlechtlichen Ehe gemacht. Der US-Senat hat vergangenen Dienstag für das »Respekt-vor-der-Ehe-Gesetz« gestimmt, das nicht nur die Heirat von homosexuellen Paaren, sondern auch die Ehe zwischen Menschen verschiedener Ethnien schützt. 61 Senator*innen stimmten dafür, 36 dagegen. Von den Ja-Stimmen kamen zwölf von Republikanern, wodurch die benötigte Mehrheit von 60 Stimmen übertroffen wurde. Die Republikaner haben 50 Senatssitze inne, genau so viele wie die Demokraten.

Auslöser der Gesetzesinitiative des Kongresses war das Anti-Abtreibungsurteil des US-Supreme Courts, das im Sommer landesweit und international für Entsetzen sorgte. Das mehrheitlich mit ultrarechten Richter*innen besetzte Gericht hatte ein seit 1973 bestehendes Grundsatzurteil aufgehoben, das letztlich im ganzen Land Schwangerschaftsabbrüche legalisierte. Damit ist wieder den einzelnen Bundesstaaten die Entscheidung über das Recht auf Abtreibung überlassen. Die Folge: 26 republikanisch regierte Staaten erließen daraufhin Verschärfungen bis hin zum Komplettverbot von Abtreibungen – gegen den mehrheitlichen Willen der US-Bevölkerung.

Zusätzlich zu dem Urteil schrieb Clarence Thomas, der Verfassungsrichter, der am weitesten rechts steht, ein zustimmendes Votum. Darüber hinaus sollten nach seiner Auffassung weitere Entscheidungen, die auf das Recht auf Privatsphäre gestützt sind, vom Supreme Court einer Revision unterzogen werden. Darunter ist auch jene im Fall »Obergefell vs. Hodges« von 2015, auf der das Recht auf die Ehe für alle beruht. In seiner ständigen Rechtsprechung seit fast 100 Jahren leitet der Oberste Gerichtshof das Recht auf Privatsphäre aus dem 14. Verfassungszusatz ab, da es nicht ausdrücklich in der Verfassung geregelt ist. Danach dürfen sich Bundesstaaten nicht in private Angelegenheiten der Bürger*innen einmischen. Thomas sieht das wie auch andere rechte US-Jurist*innen anders.

Spätestens seit dem Votum von Thomas ist klar, dass das Verfassungsgericht es auch auf weitere, für selbstverständlich gehaltene Freiheitsrechte abgesehen hat. Der religiösen Rechten in den USA ist die Homo-Ehe schon lange ein Dorn im Auge. Deshalb wollten die Demokraten die Ehe für alle per Gesetz schützen. Allerdings hat ihr Entwurf einen Haken: Er schützt zwar die Ehe für alle, gewährt aber keinen Rechtsanspruch auf eine entsprechende Eheschließung. Sollte der Supreme Court das Grundsatzurteil Obergefell v. Hodges kippen, steht es den Bundesstaaten frei, neue Eheschließungen gleichgeschlechtlicher Paare zu verbieten. Sie müssen dann lediglich bestehende Ehen und solche anerkennen, die in anderen Bundesstaaten geschlossen werden.

Überdies haben die Republikaner im Senat durchgesetzt, dass religiöse Einrichtungen keine Waren oder Dienstleistungen für gleichgeschlechtliche Hochzeitsfeiern bereitstellen müssen. Sie müssen nicht um ihre Steuerbefreiung und andere Vorteile fürchten, wenn sie entsprechende Aufträge ablehnen. Damit könnte der Homo-Ehe ein ähnliches Schicksal drohen wie dem Abtreibungsrecht: ein rechtlicher Flickenteppich. Ungewollt Schwangere wie auch homosexuelle Paare müssen dadurch außerhalb ihres Heimatbundesstaates nach Möglichkeiten suchen, was mehr Aufwand und Kosten verursacht.

Der »Respect for Marriage Act« muss noch das Repräsentantenhaus passieren, was allerdings als gesichert gilt. Die Demokraten haben keine Zeit zu verlieren, weil sie bei den Midterm-Wahlen die Mehrheit in der Kongresskammer verloren haben und dort ab Anfang nächsten Jahres die Republikaner das Sagen haben. Eigentlich wollten die Demokraten bereits vor den Wahlen Anfang November über das wichtige Gesetz abstimmen, doch die Republikaner haben dies verschoben, weil sie ihre rechte Wählerbasis nicht verstimmen wollten. Die Senatorin, die den überparteilichen Kompromiss aushandelte, war die Demokratin Tammy Baldwin aus Wisconsin, das erste offen homosexuelle Mitglied des Senats.

Mehr als 70 Prozent der US-Bevölkerung befürworten mittlerweile die gleichgeschlechtliche Ehe, darunter 55 Prozent der republikanischen Wählerschaft. Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung. Denn 2008 war auch der damalige Präsidentschaftskandidat Barack Obama noch gegen die Homo-Ehe. Erst 2012 vor seiner Wiederwahl änderte er seine Position.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal