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Moskau in Reichweite
Jüngste ukrainische Drohnenangriffe beunruhigen vor allem die USA
Rebekah Koffler ist gerade eine von US-Medien umworbene Gesprächspartnerin, denn sie weiß, wie der Kreml tickt. Geboren in der Sowjetunion, studierte Koffler in Moskau, kam dann in die USA. Dort fing sie die DIA ein, der Geheimdienst des US-Verteidigungsministeriums; auch der National Clandestine Service der CIA nutzte die Fähigkeiten der Analystin. Mitte der Woche erklärte Koffler bei Fox-News, der gesunde Menschenverstand lege nahe, dass Washington sich umgehend um eine friedliche Lösung des Ukraine-Konflikts bemühen sollte. Denn man solle keinen Konflikt anheizen, den man nicht gewinnen könne. Zudem schwinde die Unterstützung der Steuerzahler für die umfangreiche Ukraine-Hilfe. Ähnlich äußerte sich der oberste US-Militärchef, General Mark Milley.
Während mancher im Weißen Haus noch vom Sturz des russischen Präsidenten träumt, formulierte US-Außenminister Antony Blinken zum Wochenanfang bescheidenere Ziele: Russland solle sich auf die vor dem Angriff am 24. Februar gehaltene Linie zurückziehen. So blieben große Teile des Donbass und die bereits 2014 annektierte Halbinsel Krim Putins Beute – inakzeptabel für die ukrainische Regierung. Präsident Wolodymyr Selenskyj will die vollständige Befreiung aller von Russland eroberten und annektierten Gebiete. Zwar hat er das Völkerrecht auf seiner Seite, doch ohne Unterstützung der USA und der Nato ist es zahnlos.
Seit Monaten stehen ATACMS-Raketen ganz oben auf der Wunschliste des ukrainischen Militärs. Die könnten von den aus den USA gelieferten Himars-Systemen verschossen werden und haben eine Reichweite von 300 Kilometern – die bisher erhaltenen Raketen fliegen 70 Kilometer weit. Sie könnten also strategische Ziele tief im russischen Hinterland zerstören. Genau deshalb erfüllen die USA die Lieferwünsche nicht. Man will alles vermeiden, was den Westen noch stärker in den Krieg hineinziehen könnte. US-Experten behaupten sogar, dass die Software der bereits gelieferten Himars-Raketen eine Art Geofencing-Software beinhaltet, die keine Zielkoordinaten in Russland akzeptiert. Dementiert hat Pentagon-Sprecher General Patrick Ryder solche Gerüchte nicht. Nato-Staaten wie Deutschland und Großbritannien, die vergleichbare Werfersysteme geliefert haben, verfügen nicht über ATACMS-Munition.
Dagegen seien die USA nach langem Zögern offenbar bereit, Kiew das Patriot-Luftabwehrsystem zur Verfügung zu stellen, berichtete am Donnerstag die Nachrichtenagentur AFP. Das bodengestützte Patriot-System ist mobil, die Abschussrampen können auf LKW montiert werden und mit ihren Lenkflugkörpern Flugzeuge, Raketen und Marschflugkörper in der Luft zerstören. Russland hat die USA vor der Lieferung des Patriot-Flugabwehrsystems an die Ukraine gewarnt. Wie andere schwere Waffen auch würden diese für die russischen Streitkräfte zu »rechtmäßigen vorrangigen Zielen«, sagte die Sprecherin des Außenministeriums in Moskau, Maria Sacharowa, am Donnerstag und reagierte damit auf entsprechende Berichte in US-Medien.
Seitens der ukrainischen Regierung soll es ein Versprechen geben, dass sie keine von den USA bereitgestellten Waffen nutzt, um russisches Territorium anzugreifen. Diese Vermutung wurde vor knapp einer Woche vom ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba im ARD-Interview bestätigt. Umso verwunderlicher ist, dass es der ukrainischen Armee unlängst dennoch gelang, spektakuläre Treffer tief im russischen Hinterland zu erzielen. Die russischen Luftwaffenbasen Engels-2 in der Provinz Saratow und Djagiljewo in der Provinz Rjasan meldeten Drohnentreffer. Dabei wurden auch strategische Bomber, optimiert für den Transport von Atomwaffen, der russischen Luft- und Raumfahrtkräfte beschädigt.
Die Ukraine hat die Verantwortung für die – rechtlich durchaus legalen – Angriffe nur indirekt übernommen. Außenminister Kuleba bestätigte nur, dass von den getroffenen russischen Flugplätzen genau die Langstreckenbomber starten, »die die Raketen gegen das Energiesystem der Ukraine abfeuern und Ukrainer umbringen«. US-Kollege Blinken versicherte umgehend, die USA hätten Kiew zu diesen Angriffen weder ermutigt noch sei man daran beteiligt gewesen. Moskau glaubt das. Dort geht man davon aus, dass Kiews Militär modifizierte Tu-141-Aufklärungsdrohnen aus der Sowjetzeit genutzt hat. Mit einem Sprengkopf versehen haben sie eine Reichweite von etwa 1000 Kilometern.
Die Entfernung von der aktuellen Frontlinie bis Moskau beträgt rund 700 Kilometer. Man werde, so erklärte der Sekretär des ukrainischen Sicherheits- und Verteidigungsrates, Alexei Danilov, den Feind schlagen, beginnend an den Grenzen des eigenen Territoriums bis hin nach Wladiwostok. Jenseits der Propaganda bleibt, dass Kiew mit seinen Langstreckenwaffen Unsicherheit im bislang sicheren russischen Hinterland schaffen und Moskau zum Überdenken seiner Kriegsführung zwingen kann.
Gerüchte über neue, von der Ukraine entwickelte unbemannte Luftfahrzeuge gibt es seit Monaten. Kiews Verteidigungsminister Oleksiy Reznikow bestätigte vor einigen Tagen, dass sieben Erprobungsmuster bereitstünden, die »die digitale Transformation der ukrainischen Armee (…) erheblich beschleunigen«. Reznikow kann damit weder die D80 »Discovery« noch die E300 »Enterprise« von Aerodrone gemeint haben. Beides sind ursprünglich für die Agrarindustrie entwickelte pilotenlose Propellerkisten. Wirklich innovativ dagegen scheint die »Sokil-300«. Bereits Anfang November bestätigte ein Vertreter des Rüstungsbetriebs Ukroboronprom, dass man eine solche Maschine mit einem 75 Kilogramm schweren Sprengkopf getestet habe. Noch vor Jahresende sei sie einsatzbereit. Auch von einer im Antonow-Konstruktionsbüro entwickelten Angriffsdrohne namens AN-BK-1 »Horlytsa« ist zu lesen. Ein vom Konstruktionsbüro Luch entwickelter Flugkörper soll bis zu 3300 Kilometer weit fliegen.
Kein Zweifel, die Ukraine verfügt über das Know-how zum Drohnenbau, doch die Produktionskapazität ist durch den Krieg beeinträchtigt. Zudem kann man solche Waffen nur dezentralisiert produzieren, jede herkömmliche Montagelinie wäre eine Einladung an russische Drohnenpiloten, die bislang gnadenlos und von keiner Seite gebremst die Infrastruktur der Ukraine angreifen.
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