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Hobby-Ahnenforschung mit DNA
Kommerzielle Gentests halten nicht unbedingt, was sie versprechen, und offenbaren mitunter sensible Informationen
Bereits Millionen von Menschen haben etwas Neues über sich erfahren» – mit diesem Slogan bewirbt der Konzern Ancestry auf seiner deutschsprachigen Website seine Abstammungstests. Mit dem Weihnachtsangebot zum Preis von 59 Euro sollen Kund*innen ihre «Herkunft entdecken» sowie etwas über ihre Vorfahren erfahren können. Gleichzeitig lockt der US-amerikanische Konzern mit der Aussicht auf neue Familienmitglieder, die Kund*innen möglicherweise in der Datenbank finden. Inzwischen haben sich über 22 Millionen Menschen weltweit von derartigen Werbeversprechen davon überzeugen lassen, in ein Röhrchen zu spucken und ihr Erbgut in die USA an den Marktführer für Abstammungsgentests zu schicken. Weitere große Unternehmen auf dem Markt der kommerziellen Gentests sind die Firma 23 and me mit derzeit mehr als zwölf Millionen Kund*innen, gefolgt von My Heritage und Family Tree DNA.
Ob Gentests in den meisten Fällen tatsächlich helfen, «etwas Neues» über eigene «Wurzeln» oder die «ethnische Herkunft» zu erfahren, ist umstritten. Das individuelle Profil mit prozentgenauen Angaben, das Kund*innen zu ihrer vermeintlichen Zugehörigkeit zu bestimmten Nationalitäten, geografischen Regionen, religiösen oder ethnischen Gruppen erhalten, wirkt zwar wissenschaftlich akkurat. Doch die Algorithmen dahinter sind aufgrund von Geschäftsgeheimnissen nicht überprüfbar. Benutzer*innen können also nicht herausfinden, wie aussagekräftig ihr Ergebnis ist. Immer wieder wird von Fällen berichtet, in denen verschiedene Firmen unterschiedliche Ergebnisse liefern. Bei den regelmäßigen Updates der Algorithmen kann es Kund*innen auch passieren, dass sich ihre vermeintliche Herkunft plötzlich signifikant verändert.
Tatsächlich ist die Bestimmung einer «genetischen Herkunft» komplizierter, als es die simplen Slogans der Firmen suggerieren. Was heißt überhaupt «Herkunft»? Die Vermischung von Bezeichnungen für Nationalitäten, Geografie, Religionen und Kulturen ist der uneinheitlichen Praxis der populationsgenetischen Forschung geschuldet, auf deren Ergebnisse die Firmen zurückgreifen. In der Erforschung genetischer Unterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen versuchen Wissenschaftler*innen sogenannte Referenzpopulationen zu erstellen, deren Konstruktion jedoch umstritten ist. Denn die Forscher*innen nehmen DNA-Proben von Menschen, von denen sie eine besonders «reine» Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder eine besondere Verwurzelung an einem bestimmten Ort annehmen. Der Vergleich mit «idealen» Populationsgruppen hat zur Folge, dass es schwierig ist, Menschen, deren Familiengeschichte nicht ebenso geradlinig ist – und das ist bei den meisten Menschen der Fall – einer bestimmten Region zuzuordnen. Zudem kann keine der untersuchten Gruppen vollständig repräsentativ sein für Menschen in einer bestimmten Region, denn sie umfasst ja nur eine sehr begrenzte Anzahl Menschen und deren DNA-Merkmale. Hinzu kommt, dass Bevölkerungsgruppen in unterschiedlichen Regionen der Welt sehr unterschiedlich detailliert erfasst sind. Der Nahe Osten ist zum Beispiel populationsgenetisch kaum erforscht, DNA-Profile von Menschen aus dem Nahen Osten werden daher viel schlechter zugeordnet als von Menschen, deren Verwandte europäisch sind.
Obwohl die Wissenschaftlichkeit der Tests umstritten ist, beschreiben viele Kund*innen ihre Testergebnisse mit Begriffen wie «Beweis», «Fakten» und «Evidenz». Tatsächlich liefern Gentests eine Datenform, auf die Menschen ohne Expertise und Laborequipment keinen Zugriff haben, aber deren Wirkungsmacht unter anderem durch die mediale Berichterstattung über genetische Forschungserfolge sehr hoch erscheint. Es ist nicht verwunderlich, dass in den USA, wo die meisten Menschen eine familiäre Einwanderungsgeschichte haben, Abstammungstests boomen. Wie soziologische Untersuchungen herausgearbeitet haben, ist die Motivation weißer US-Amerikaner*innen oft anders als die von Afro-Amerikaner*innen, denen das Wissen über ihre familiäre Herkunft durch die Sklaverei geraubt wurde. Für sie kann ein Gentest die einzige Möglichkeit sein zu erfahren, aus welcher Region Afrikas die eigenen Vorfahren verschleppt wurden, während viele weiße Kund*innen sich erhoffen, konsequenzenlos ein bisschen Exotik in den eigenen Stammbaum zu bekommen. Viele wünschen sich insbesondere «Native American DNA» im Stammbaum zu finden – eine Hoffnung, die meistens enttäuscht wird.
Eine weitere Motivation für Gentests ist die Suche nach biologischen Verwandten, zu denen wegen anonymer Adoptionen oder Keimzellenspenden kein Kontakt besteht. Tatsächlich sind Gentests hervorragend geeignet, Halbgeschwister oder biologische Eltern in den Datenbanken der Firmen aufzuspüren. Nicht immer zu deren Freude – das Internet ist voller Erfahrungsberichte von Menschen, die durch Gentests von vertuschten Affären und heimlichen Adoptionen erfuhren. Die Chancen, dass der Gentest unter dem Weihnachtsbaum zum Drama wird, sind nicht gering: Nach populationsgenetischen Schätzungen stimmen bei ein bis zwei Prozent aller Menschen in westlichen Gesellschaften unwissentlich der soziale und biologische Vater nicht überein. Der Verein Spenderkinder schätzt zudem, dass es in Deutschland rund 100 000 Kinder gibt, die aus Samen- oder Eizellspenden entstanden sind und von denen der Großteil uninformiert ist. Für Menschen, die in der Vergangenheit Samen gespendet haben, bedeutet die Existenz von Gentests ein Ende der einst versprochenen Anonymität. Der Verein Spenderkinder hat auf seiner Website eine Anleitung veröffentlicht, wie Betroffene mittels Gentests auf Verwandtensuche gehen können. Blogs und Facebook-Gruppen helfen bei der Interpretation der Ergebnisse und erklären, wie nahe biologische Verwandte auffindbar sind, wenn die Datenbanken nur entfernte Cousinen als Treffer ausspucken. Während Gentests für die einen wertvolle Puzzlestücke der eigenen Identität liefern können, lösen sie bei anderen möglicherweise Identitätskrisen aus.
Nicht nur auf dieser Ebene machen sich Kund*innen verwundbar für einen empfindlichen Eingriff in die Privatsphäre. Wer seine Speichelprobe an ein Gentestunternehmen schickt, gibt ganz besondere Informationen über sich heraus. DNA-Daten sind unveränderbar und sie identifizieren Menschen eindeutig, sind also nicht wirksam anonymisierbar. Potenziell enthalten sie Informationen über Gesundheit, biologische Verwandtschaft und andere persönliche Eigenschaften. Das EU-Recht bewertet DNA-Daten daher als besonders schutzbedürftig.
In Deutschland sind medizinische Internet-Gentests nach dem 2010 beschlossenen Gendiagnostikgesetz (GenDG) nicht erlaubt. Das erklärt, warum Ancestry in den USA auch Gesundheitsanalysen durchführt, hierzulande Kund*innen aber nur Analysen von schwammigen «Veranlagungen» anbietet. Es ist Versicherungsunternehmen und Arbeitgebern nach dem GenDG verboten, Ergebnisse von Genanalysen zu verlangen oder solche Ergebnisse oder Daten entgegenzunehmen und zu verwenden. So soll die Benachteiligung von Menschen aufgrund genetischer Eigenschaften verhindert werden. Aber bestehende Gesetze können sich ändern und vorhandene DNA-Daten möglicherweise neue Einsatzmöglichkeiten bekommen.
Wer seine Daten einer US-amerikanischen Firma überlässt, kann sich sowieso nicht mehr auf deutsches oder europäisches Datenschutzrecht verlassen. Ancestry wurde 2020 mit allen Kund*innendaten an die auch im Immobiliensektor tätige Investmentfirma Blackstone verkauft. Diese versicherte, sie werde keinen Zugriff auf die Daten von Ancestry haben. Datenschutzexpert*innen sehen dieses Versprechen skeptisch. Schließlich ist es das Geschäftsmodell von Privatkapitalgesellschaften, Profit zu maximieren. Und die Idee hinter dem Sammeln von personalisierten Daten ist es, diese über verschiedene Geschäftsfelder hinweg zu verwenden.
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