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Bloß nicht vom Glauben abfallen

Die Insolvenz der Kryptobörse FTX stellt eine gesamte Branche auf die Bewährungsprobe

Der Handel mit Kryptowährungen wie Bitcoins lockt mit schnellen Gewinnen und unermesslichem Reichtum, birgt aber auch gewisse Risiken.
Der Handel mit Kryptowährungen wie Bitcoins lockt mit schnellen Gewinnen und unermesslichem Reichtum, birgt aber auch gewisse Risiken.

Lange Zeit schien für die Parallelwelt der Kryptowährungen nur eine Maxime zu gelten: höher, schneller, weiter. Nachdem mit Bitcoin vor 14 Jahren zum ersten Mal eine solche auf den Markt kam, hat sich deren Zahl auf über 9000 unterschiedliche digitale Währungen erhöht. Das Verlockende: Die von staatlichen Institutionen und Banken vollkommen unabhängigen Währungen werben mit dem Versprechen, Anleger*innen in kürzester Zeit unermessliche Reichtümer bescheren zu können. Wie genau das vonstatten gehen soll? Nebensächlich. Wichtig ist, den Glauben nicht zu verlieren. Mit der Insolvenz der einst zweitgrößten Kryptobörse FTX vor wenigen Wochen hat diese vermeintlich unendliche Erfolgsgeschichte jedoch einen gehörigen Knacks bekommen. In der Szene selber ist mittlerweile vom Bevorstehen eines langen Kryptowinters die Rede.

Aberglaube-Serie

Mit Silvester endet die Zeit zwischen den Jahren, es ist die Zeit der Wunder und des Aberglaubens. Da schlechte Zeiten Aberglauben nähren und die Zeiten vorerst wohl nicht besser werden, werfen wir in unserer Silvesterausgabe einen Blick auf den boomenden Markt für Esoterik und Heilkristalle, untersuchen die Verbindung von Aberglauben zu rechtem Gedankengut und lassen Theodor W. Adorno den Kapitalismus aus Horoskopen erklären.

Alle Texte unter: dasnd.de/aberglaube.

Was ist geschehen? Nachdem Mitte November bekannt wurde, dass in der Bilanz von FTX ein mehrere Milliarden US-Dollar großes Loch klaffte und eine Übernahme durch die größte Kryptobörse Binance scheitern würde, verkündete das Unternehmen seine Zahlungsunfähigkeit. Weltweit sollen etwa eine Million Menschen um ihre Einlagen geprellt worden sein. Berichten zufolge handelt es sich um eine Summe von zehn Milliarden Dollar. Neben kleinen Anleger*innen befanden sich unter den Investoren auch Schwergewichte wie der weltweit größte Vermögensverwalter Black Rock oder ein kanadischer Pensionsfonds für Lehrer*innen. Allein letzterer soll durch die Insolvenz 100 Millionen Dollar verloren haben.

Wechselkurse unterliegen extremen Schwankungen

Der Finanzexpertin Sandra Navidi zufolge verdeutlicht die FTX-Pleite einmal mehr, dass es sich beim Handel mit Kryptowährungen um nichts anderes als Betrug handelt. »Es hat keinen intrinsischen Wert, es ist kein Zahlungsmittel und auch kein Wertspeicher«, sagte sie dem Fernsehsender n-tv. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch der ehemalige Linke-Politiker und Autor Fabio De Masi. Über die größte Kryptowährung sagt er: »Bitcoin hat einen realen Wert von null. Der Wert von Bitcoin ist Glaube.«

Auch wenn es weltweit mehr als 160 verschiedene Währungen gibt, gehören weder Bitcoins, Etherum noch Binance Coin oder wie sie alle heißen, dazu. Mit El Salvador und der Zentralafrikanischen Republik haben bislang auch lediglich zwei Staaten Kryptowährungen als offizielles Zahlungsmittel eingeführt. Da diese jedoch durch keine Zentralbank gedeckt sind, die festgelegte Werte garantieren könnte, unterliegen die Wechselkurse teils extremen Schwankungen. Lag der erste Wechselkurs für Bitcoin im Jahr 2010 etwa noch bei 0,07 US-Dollar, erreichte er im vergangenen Jahr mit 68 000 Dollar seinen bisherigen Höchstkurs, bis er nun auf ein neues Jahrestief von unter 17 000 Dollar gefallen ist. Und das, obwohl es zum Gründungsmythos von Kryptowährungen gehört, eine garantiert inflationssichere Anlage zu sein. Auf Twitter kommentiert der Wirtschaftswissenschaftler Maurice Höfgen: »Wer vor einem Jahr Euros gegen Bitcoin getauscht hat, um sich gegen Inflation zu schützen, und sein Geld heute ausgeben muss, hat auf die zehn Prozent Kaufkraftverlust durch Inflation gleich noch schlappe 66 Prozent Kursverlust.«

Kryptowährungen stellen in gewissen Kreisen zwar ein beliebtes Mittel dar, um Zahlungswege zu verschleiern – in jüngsten Zeiten wohl auch, um Sanktionen zu umgehen – aber wirklich Geld lässt sich mit ihnen, wenn überhaupt nur durch riskante Wetten auf etwaige Kurssteigerungen verdienen. Genau das konnte man bei der Kryptobörse FTX tun, deren Wert sich zeitweise auf 32 Milliarden Dollar belief. Entscheidend für den Erfolg dürfte ebenfalls die professionelle Vermarktung gewesen sein. FTX gehörte nicht nur zu den größten Sponsoren im Bereich des E-Sports. Auch im analogen Pendant zierte das Logo des Unternehmens zahlreiche Sportstätten und Teams. Werbespots mit prominenter Besetzung wie dem Model Gisèle Bündchen oder dem Footballspieler Tom Brady trugen ebenso dazu bei, Vertrauen bei Anleger*innen zu wecken.

Storytelling als Geschäftsgrundlage

Die Bedeutung eines guten Storytellings für die erfolgreiche Vermarktung eines möglicherweise etwas zwielichtigen Produktes hatte dabei vor dem FTX-Gründer Sam Bankman-Fried bereits eine andere schillernde Figur der Szene erkannt. Vor gerade mal fünf Jahren sorgte der Fall der selbsternannten Krypto-Queen Ruja Ignatova für Aufsehen, zu deren pompösen Werbeveranstaltungen in Höchstzeiten bis zu 20 000 Menschen pilgerten. Mit ihrer Firma One Coin betrieb sie mehrere Jahre lang ein als Kryptowährung getarntes, illegales Schneeballsystem, durch das Anleger*innen auf der ganzen Welt mehr als vier Milliarden US-Dollar verloren. Während der 30-jährige FTX-Gründer mittlerweile auf den Bahamas inhaftiert ist, wo ihm unter anderem Betrug, Geldwäsche und die Irreführung von Anleger*innen vorgeworfen wird, konnte Ignatova sich rechtzeitig absetzen. Seit ihrem Abtauchen steht sie auf der Liste der zehn meistgesuchten Flüchtigen des amerikanischen FBI und wird mit internationalem Haftbefehl gesucht. Erst diesen Sommer setzte die Sicherheitsbehörde ein Kopfgeld in Höhe von 100 000 Dollar auf die 42-Jährige aus.

Und der Kryptowinter? Während die jüngsten Ereignisse unter Anleger*innen zu einiger Verunsicherung geführt und so manches weitere Unternehmen der Branche ins Wanken gebracht haben, sehen andere in der Krise bereits eine Chance. So kündigte die US-Investmentbank Goldman Sachs etwa an, die Übernahme einer ganzen Reihe von Kryptofirmen zu planen. In erster Linie aus Interesse an der dahinterstehenden Blockchain-Technologie, wie es heißt. Wenn also selbst hier noch nicht alle Hoffnung fahren gelassen wurde, dürfte auch in der Kryptobranche auf den Winter irgendwann der Frühling folgen. Einzige Voraussetzung: Man muss nur fest genug daran glauben.

Kryptowährungen: Bloß nicht vom Glauben abfallen
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