Schlecht beraten ins Asylverfahren

Der Übergang zur unabhängigen Beratung Asylsuchender stockt. Die Einzelfallberatung des Bamf wurde 2022 wenig genutzt

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 3 Min.
Vom Bamf erhalten Asylsuchende keine individuelle Rechtsberatung über ihren Antrag.
Vom Bamf erhalten Asylsuchende keine individuelle Rechtsberatung über ihren Antrag.

Wer in Deutschland ein Asylverfahren durchläuft, hat einen Anspruch auf Beratung in einer bekannten Sprache. Anfang Januar trat das Gesetz zur Beschleunigung der Asylklageverfahren in Kraft. Verbunden damit sollte eine behördenunabhängige Asylverfahrensberatung eingeführt werden. In der Vergangenheit hatten Flüchtlingsorganisationen kritisiert, dass mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) die gleiche Behörde Asylsuchende berät, die später über die Asylanträge entscheidet. Zwar konnten auch zuvor schon Einzelberatungen durch Wohlfahrtsverbände in Anspruch genommen werden, dies war aber nicht flächendeckend gewährleistet. Gruppenberatungen zu generellen Informationen wurden allein durch das Bamf vorgenommen.

Die individuellen Beratungen wurden kaum wahrgenommen: Bei rund 200 000 Asylerstanträgen hat das Bamf im vergangenen Jahr rund 3000 Einzelfallberatungen durchgeführt. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Nachfrage der Linken-Abgeordneten Clara Bünger hervor, die »nd« vorliegt. Zum Vergleich: Allein die Awo in Berlin-Mitte hat im gleichen Zeitraum rund 3300 Asylverfahrensberatungen durchgeführt.

»Die Beratungspraxis zeigt, dass es für Schutzsuchende wichtig ist, Information und Beratung nicht allein von Behörden zu erhalten, da viele Menschen im Herkunftsstaat negative Erfahrungen mit staatlichen Stellen machen mussten«, sagt Andrea Haefner, Projektleiterin der Asylrechtsberatung vom AWO Kreisverband Berlin-Mitte im Gespräch mit »nd«.

Doch die Umsetzung dieses Vorhabens, mit der ursprünglich bereits im Juli vergangenen Jahres gerechnet worden war, stockt. Grund sind Unstimmigkeiten über die Förderbedingungen zwischen Bundesinnenministerium (BMI) und Wohlfahrtsverbänden: »Nach derzeitigen Entwürfen der Förderrichtlinie des BMI würden die Träger auf hohen Kosten sitzen bleiben. Unter diesen Bedingungen ist es unwahrscheinlich, dass ausreichend Träger in das Programm einsteigen, um die Beratung flächendeckend umzusetzen«, erklärt Haefner.

Im Dezember hat Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Informationen erhalten, dass die Beratungsstellen des Bamf an einigen Standorten schon jetzt ihre Arbeit reduziert oder eingestellt hätten. Auf ihre Nachfrage hin heißt es in eingangs genannter Antwort des Innenministeriums, es habe keine Anweisung zur Reduzierung oder Einstellung der Asylverfahrensberatung gegeben. Es sei aber »nicht auszuschließen, dass aufgrund fehlender Nachfrage an einzelnen Standorten keine individuellen Beratungsgespräche stattgefunden« hätten. Für Bünger kommt dies einem Eingeständnis der Erfolglosigkeit des staatlichen Beratungsangebots gleich. Sie fordert eine schnelle und umfassende Finanzierung eines flächendeckenden Aufbaus unabhängiger Beratungsstrukturen durch den Bund: »Schutzsuchende sind auf eine kompetente und unabhängige Asylberatung existenziell angewiesen, nicht selten geht es um Leben und Tod. Die hohe Fehlerquote beim BAMF zeigt, wie wichtig eine frühzeitige Beratung Asylsuchender ist, damit solche Fehlentscheidungen bestenfalls erst gar nicht getroffen werden«, so Bünger.

Vom Bamf werden Asylsuchende zwar über ihre Rechte und Pflichten, das Asylverfahren und mögliche Ansprechpartner*innen informiert, sie erhalten aber keine individuelle Rechtsberatung. »Anwaltliche Unterstützung bleibt vielen geflüchteten Menschen aus finanziellen Gründen verschlossen. Eine kostenlose Rechtsberatung durch unabhängige Träger ist daher sehr wichtig«, erklärt Haefner. Dies soll durch die geplante Asylverfahrensberatung der Wohlfahrtsverbände geleistet werden. Das neue Gesetz schreibt aber keinen Rechtsanspruch darauf fest. Außerdem wird sich wohl nichts daran ändern, dass die kurzen Fristen oft keine Einzelfallberatung zulassen.

Clara Bünger warnt davor, dass es durch die verzögerte Umsetzung des Gesetzes zur Asylverfahrensberatung nun an einzelnen Standorten gar kein Beratungsangebot geben könnte, weder durch das Bamf noch durch unabhängige Träger. Wie die Bundesregierung dies verhindern will, ist der Antwort des Innenministeriums nicht zu entnehmen.

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