»So weit waren wir noch nie«

Die Arbeitsbedingungen für studentische Beschäftigte sind prekär. Die Kampagne TVStud kämpft für einen bundesweiten Tarifvertrag

Selbstausbeutung gehört zum System der Universität. Ein Tarifvertrag für studentische Beschäftigte könnte dem etwas entgegensetzen.
Selbstausbeutung gehört zum System der Universität. Ein Tarifvertrag für studentische Beschäftigte könnte dem etwas entgegensetzen.

Die prekären Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft sind spätestens mit der Kampagne #IchBinHanna und dem gleichnamigen Buch im Suhrkamp Verlag in die öffentliche Wahrnehmung gerückt. Welche Rolle haben die studentischen Beschäftigten im Universitätsbetrieb?

»Jung, akademisch, prekär.«

Nachdem die Kampagne TVStud bereits 2021 die Gesprächszusage der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) erwirkt hatte, sollte eine umfangreiche Bestandsaufnahme die Grundlage zur Verhandlung bilden. Ver.di, GEW und das Bremer Institut Arbeit und Wissenschaft (IAW) haben diese Studie nun selbständig durchgeführt. Am Freitag, den 20. Januar 2023, wurden die Ergebnisse der Umfrage unter mehr als 11 000 studentischen Beschäftigen zu ihren Arbeitsbedingungen vorgestellt.

Die studentischen Beschäftigten fallen in eine Art Sonderzone. Der Staat hat hier seine Doppelrolle als Gesetzgeber und Arbeitgeber an den Hochschulen genutzt, um Ausnahmeregelungen von ansonsten geltenden Arbeitnehmerrechten zu schaffen: Für die studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräfte sowie Tutor*innen gibt es keinen Lohn nach Tarifvertrag und an vielen Orten unmittelbar oder mittelbar keine gesetzlichen Mitbestimmungsrechte. Und letztlich wurden durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz die Bedingungen geschaffen, auch Studierende flexibel, also mit sehr kurzen Vertragslaufzeiten, an Hochschulen einzusetzen.

Wie viele studentische Beschäftigte es in Deutschland gibt, dazu fehlen aber leider die genauen Daten. Das ist bereits Teil des Problems, denn daran zeigt sich, wie unsichtbar deren Arbeit ist. Das Statistische Bundesamt gibt an, dass ungefähr 136 000 Studierende an den Hochschulen beschäftigt sind. Es gibt aber auch andere Datenlagen, die darauf hindeuten, dass diese Zahlen den Umfang deutlich unterschätzen und dass eher von bis zu 400 000 studentischen Beschäftigten ausgegangen werden müsste. Vor dem Hintergrund solcher Zahlen ist die These durchaus plausibel, dass die studentischen Beschäftigten das Rückgrat des Wissenschaftsbetriebs darstellen. Man stelle sich nur vor, wie die Universität überhaupt funktionieren solle, wenn so viele Leute wegfallen würden.

Im Kontext von #IchBinHanna hat dieser Zusammenhang bisher kaum Beachtung gefunden. Dabei ist der Moment, wo die prekären Arbeitsbedingungen anfangen, bereits die Tätigkeit als studentische Beschäftigte. Rund drei Viertel der Doktorand*innen haben vor ihrer Promotion als studentische oder wissenschaftliche Hilfskraft gearbeitet. Diese Beschäftigungen sind mehr oder weniger die Tür in den akademischen Mittelbau und dabei nicht minder prekärer als jene, die unter #IchBinHanna angeprangert werden. Hier beginnt quasi die Vorbereitung auf die Prekarität einer akademischen Laufbahn.

Wie sehen denn die Arbeitsbedingungen studentischer Beschäftigter aus und was wird daran kritisiert?

Um genau das festzustellen, haben wir im Rahmen der Kampagne für einen bundesweiten Tarifvertrag für studentische Beschäftigte (TVStud) eine Studie durchgeführt, die am 20. Januar öffentlich vorgestellt wurde. Grundsätzlich kritisieren wir als TVStud-Bewegung vor allem die Nichteinhaltung von grundlegenden Arbeitnehmer*innenrechten wie etwa die Regelung von Urlaub oder die Frage von Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall. Das sind jedoch nur die Symptome. So wird beispielsweise von Arbeitgeberseite argumentiert, das sei alles eine Frage der Arbeitskultur an den Universitäten. Aber wir sagen eher, nein, wir müssen auf die materiellen Bedingungen schauen, in denen sich die »Kultur« ausbildet. Und diese Rahmenbedingungen der Arbeitsverhältnisse zeichnen sich vor allem durch fehlende Regulierung aus, was etwa die Möglichkeit schafft, so viele Verträge mit kurzer Laufzeit abzuschließen, wie es vom Arbeitgeber gewünscht ist. Der Großteil der studentisch Beschäftigten erhält Arbeitsverträge mit einer Laufzeit von gerade einmal sechs Monaten und befindet sich in Kettenbefristungen. Dazu kommen die Ausnahmen vom Personalvertretungsgesetz, sodass studentisch Beschäftigte teilweise in einer mitbestimmungsfreien Zone arbeiten.

Was für Konsequenzen hat das für den Arbeitsalltag?

Es bedeutet vor allem eine besonders große Machtasymmetrie. Diese wird noch einmal dadurch erschwert, dass die Vorgesetzten Professor*innen sind. Damit haben sie innerhalb des Universitätssystems eine spezielle Machtposition inne. Für die Beschäftigten bedeutet das oft, dass ihre Vorgesetzten auch ihre universitären Leistungen benoten und sie sich bei ihnen eventuell mal um eine Promotion bewerben. Sprich, es gibt eine mehrfache Abhängigkeitsstruktur und sehr viel Macht, die in kaum einer Weise rechtlich eingehegt wird.

All das erschwert natürlich fundamental die gewerkschaftliche Selbstorganisierung und damit die Möglichkeit, an den Bedingungen etwas zu ändern. Leute haben berechtigte Angst, dass ihr Arbeitsvertrag in wenigen Monaten nicht verlängert wird, wenn sie in einen Arbeitskampf treten. Oder davor, den Mund aufzumachen und zu sagen: »Chef, ich habe einen Anspruch auf Urlaub«. Oder: »Nein, ich leiste keine unbezahlte Mehrarbeit«. Genau deshalb ist das Ziel der TVStud-Kampagne, die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass diese Machtasymmetrie ausgeglichen oder zumindest ein Stück weit kompensiert wird, um so die Selbstverteidigung der Beschäftigten zu ermöglichen.

Trotz dieser besonderen Schwierigkeit der Organisierung habt ihr eine sehr erfolgreiche Kampagne auf die Beine gestellt. Wie hat sich die TVStud-Bewegung entwickelt und was ist der Stand eurer Arbeit?

Das schillernde Vorbild der Kampagne ist der 1980 gewonnene Tarifvertrag für studentische Hilfskräfte und Tutor*innen in Berlin. Der Vertrag wurde zwar 1986 erneuert, ist dann aber jahrelang nicht angepackt worden. 2018 ist es den Kolleg*innen in Berlin gelungen, mit einem sehr beeindruckenden Arbeitskampf den Tarifvertrag neu aufzulegen und zu verbessern. Dafür waren damals teilweise 1500 Leute auf der Straße. Das Problem ist: man kann Berlin nicht auf andere Bundesländer übertragen. Das hat vor allem damit zu tun, dass es in Berlin den Tarifvertrag schon so lange gibt und gleichzeitig die Vertragsgestaltung durch Mindestvertragslaufzeiten von 24 Monaten reguliert wird. So sind auch die Bedingungen zur gewerkschaftlichen Selbstorganisation entsprechend anders.

Nichtsdestotrotz haben sich im Zuge des Arbeitskampfs 2018 auch in anderen Bundesländern vereinzelt TVStud-Initiativen gegründet und haben mit gezielter Kampagnenarbeit angefangen. Und zwar nach dem Prinzip des Organizing, das heißt mit dem strukturierten Vorgehen, Leute zu gewinnen und einzelne Fachbereiche zu erschließen. 2021, noch vor der Tarifrunde der Länder, mündete das in die Kampagne »Keine Ausnahme«. Vor allem in den Städten Göttingen, Bremen, Kiel und Hamburg war das Organizing erfolgreich und es haben zum ersten Mal in größerer Zahl auch studentische Beschäftigte gestreikt. Der Erfolg dieser Bewegung war zwar noch nicht die Tarifierung, aber zumindest ein erster Schritt in diese Richtung, nämlich dass es eine Art Bestandsaufnahme über die Arbeitsbedingungen studentisch Beschäftigter geben soll.

Das ist die Studie, die nun vorgestellt wurde?

Ja und nein. Die Bestandsaufnahme zu den Arbeitsbedingungen sollte aus unserer Sicht die Tarifierung vorbereiten, Vorbehalte aus dem Weg räumen und Änderung der Rahmenbedingungen in Aussicht stellen. Die Arbeitgeber haben aber seit der Tarifrunde nichts für eine solche Bestandsaufnahme getan. Das Gute war, dass sich die TVStud-Bewegung nicht darauf verlassen, dass die Arbeitgeber von sich aus anfangen, die Datenlage zu den Arbeitsbedingungen zu erheben. Daher wurde im letzten Jahr eine Studie zusammen mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW und dem Institut Arbeit und Wissenschaft IAW der Uni Bremen durchgeführt. Dafür wurden über 11 000 studentische Beschäftigte befragt – das ist die größte Studie, die es je in diesem Feld gab. Diese Studie wurde nun kurz vor dem Beginn der Gespräche zwischen den Gewerkschaften und dem Arbeitgeberverband der Länder vorgestellt. Wir wollen damit zeigen, dass wir unsere Hausaufgaben gemacht haben und nun die Arbeitgeber am Zug sind.

Was sieht die Strategie noch vor?

Ende Februar wird es die bundesweite Konferenz »Jetzt oder Nie!« zur Vorbereitung einer bundesdeutschen Streikbewegung geben. Dazu ruft ein breites Bündnis von Unterstützer*innen auf und TVStud-Aktive können sich inhaltlich austauschen, sowohl über den Inhalt der Studie wie auch über gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Das Ziel der Konferenz wird neben der Vernetzung auch sein, dass sich die Aktiven im Organizing qualifizieren, um dann in diesem Jahr in möglichst vielen Städten streikfähige Strukturen aufzubauen. Denn ab Oktober dieses Jahres beginnt die Tarifrunde der Länder. Und da müssen wir Druck machen und Protest auf die Straße tragen. Denn wir dürfen uns keine Illusionen machen: nur weil wir gute wissenschaftliche Arbeit geleistet und die Daten zu den prekären Umständen geliefert haben, wird das nicht automatisch zur Einsicht der Arbeitgeber führen, dass es bessere Arbeitsbedingungen braucht.

Wie schätzt ihr denn die Aussicht in der Verhandlung ein? Ist ein bundesweiter Tarifvertrag realistisch?

Wenn man bedenkt, dass dieses Thema seit den 1980er Jahren an den Hochschulen verhandelt wird, muss man einfach realistisch sagen: seit 40 Jahren ist es nicht gelungen, eine Tarifierung der studentisch Beschäftigten auch nur auf ein weiteres Bundesland auszuweiten. Aber andersherum: Wir sind als Bewegung an einem Punkt, an dem waren studentisch Beschäftigte noch nie. In zehn Bundesländern gibt es mittlerweile Koalitionsverträge mit der Absichtserklärung zu einem Tarifvertrag oder zumindest zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Das ist die erste Bedingung, die sich verändert hat.

Die zweite Bedingung ist, dass der Vorsitz des Arbeitgeberverbandes gewechselt hat. Den hat jetzt nicht mehr die CDU inne, sondern es ist jetzt Andreas Dressel, Hamburger Finanzsenator von der SPD. Und erst in der vergangenen Woche wurde in der Hamburger Bürgerschaft ein Antrag von SPD und Grünen zur Verbesserung studentischer Arbeitsbedingungen eingebracht, in dem Andreas Dressel auch damit beauftragt wird, sich für die bundesweite Tarifierung und Mindestvertragslaufzeiten von zwölf Monaten einzusetzen. Innerhalb des Arbeitgeberlagers hat sich also aufgrund unserer Kampagne etwas fundamental verändert.

Und die letzte Bedingung ist, dass sich aktuell in Berlin eine neue TVStud-Bewegung formiert, die angesichts der sozialen Lage von Studierenden auf die Unangemessenheit eines Stundenlohns von 13 Euro hinweist. Wenn es uns jetzt als bundesweiter Bewegung gelingt, das alles in eine gelungene Choreografie zu bringen, dann muss man sagen: Es gibt die Aussicht auf einen Tarifvertrag und so weit waren wir eigentlich noch nie. Nun haben es die studentischen Beschäftigten ein Stück weit selbst in der Hand, ob sie die Chance ergreifen oder nicht.

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