Mehr als ein Fall Netrebko

Karlen Vesper freut sich über widerspenstige Künstler

Es gibt derzeit wohl kein Wort, das inflationärer gebraucht – missbraucht – wird wie Kunstfreiheit. Mantraartig beteuert die Politik, dies hohe Gut zu achten, und verstößt immer wieder dagegen, mit Tadel, Bevormundung oder Drohung, wie jüngst gegen die documenta. Beschämender indes, dass selbst Kulturträger und Kunstschaffende (im vorauseilenden Gehorsam?) die Freiheit der Kunst beschneiden. Indem sie russische Kollegen ausladen, in Kollektivhaft nehmen. Etwa Anna Netrebko, obwohl die Sopranistin russischer und österreichischer Staatsangehörigkeit nicht Putins Partei angehört, dessen Krieg nicht befürwortet, mittlerweile in der eigenen Heimat Auftrittsverbot hat. Respekt: Monaco, Paris, Mailand stimmten nicht in den hysterischen Ausgrenzungschor ein.

Respekt verdient auch der Intendant des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden, der sich nicht dem Druck der Landespolitik beugt, an der Einladung Netrebkos zu einem Friedensfestival im Mai festhält, auf dem auch ukrainische Künstler auftreten werden. Frieden ist nur gemeinsam zu haben. Ergo eine löbliche und logische Entscheidung von Uwe Eric Laufenberg, der sich allerdings gegen die ihn bedrängende, ihn gängelnde lokale Ausgrenzungsfraktion auch auf die Kunstfreiheit beruft. Dabei geht es um weit mehr als diese. Es geht um zivilen Umgang miteinander und zivilen Ungehorsam gegen politischen Doktrinismus.

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