Wasser, Watt und Weite

Amrum ist auch außerhalb der Badesaison einen Besuch wert

  • Manfred Lädtke
  • Lesedauer: 4 Min.
Im Winter hat man Amrun fast für sich allein. Foto: Lädtke
Im Winter hat man Amrun fast für sich allein. Foto: Lädtke

Am Himmel treibt der Wind zerrissene Wolken, formt wunderliche Formationen und pustet sie wieder auseinander. Fantasien gehen auf große Fahrt. Wer jenseits der Badesaison nach Amrum kommt, mummelt sich mit Jacke, Schal und Mütze ein und trotzt auch einer steifen Brise.

Infos
  • Amrum (»am rem« = sandiger Rand) liegt im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Mit ihrer Ausdehnung von 15 mal 2,5 Kilometern ist die Nordsee­insel leicht zu erkunden. www.amrum.de

    Noch liegt die Insel wie erstarrt im Meer und eisige Winde fegen über das Land. Doch bald schon erwacht die kleine nordfriesische Insel aus ihrem Winterschlaf. Bevor beim traditionellen »Biaken« Frühlingsfeuer die nahende Feriensaison begrüßt wird, sind Wanderwege durch Dünen, Dörfer und am Meer oft fast menschenleer. Auszeit Ahoi!

    Endstation ist immer das Seebad Wittdün (»Weiße Düne«) mit dem Fähranleger am südlichen Ende der Insel. Hingucker ist hier jedoch weniger die missglückte Architektur des Versorgungszentrums, sondern die weitläufige Promenade. »Wandelbahn« nennen Amrumer den Laufsteg, der den Blick auf den sogenannten »Kniepsand« und die offene Nordsee freigibt. Der feine Sand bedeckt ein Drittel der Inselfläche und war vor 150 Jahren dem Festland nur als Sandbank vorgelagert – gehörte also offiziell noch gar nicht zu Amrum. Wie viele Schiffe unter dem Sand verborgen liegen, weiß niemand ganz genau.

    Von der Promenade führen Treppen hinunter. In null Komma nichts hat man Sand unter den Füßen. Wie eine Sichel zieht sich der Kniep 15 Kilometer lang und 1,5 Kilometer breit hinauf bis zur Nordspitze. Durch die ständig wandernden Sandmassen haben sich seit dem Mittelalter mächtige Dünenfelder mit Gras aufgetürmt. Aber bloß nicht in die Büsche schlagen! »Unsere empfindlichen Weißdünen sind Bollwerke gegen die heranstürmende Nordsee«, erklärt eine Rangerin. Anders als die Vordünen werden sie vom Meer nicht mehr überflutet. So kann der Strandhafer mit seinem kräftigen Wurzelwerk die Sandhügel zusammenhalten.

    Ein plötzlicher Nordwest fegt über die mystische Leere. Die Mütze tiefer im Gesicht geht es von der Brandungsseite weiter auf Bohlenwegen durch das sensible Ökosystem. Bis zu 30 Meter hohe Sandberge flankieren den Weg an die Ostküste. In dem geschützten Hinterland liegt Amrums schönstes Dörfchen: Nebel. Das jüngste Inseldorf mit reetgedeckten ehemaligen Kapitäns- und Walfängerhäuschen ist das Schmuckkästchen auf Amrum. Noch liegt Nebel wie ausgestorben. Eine heimelige Teestube oder ein Restaurant sind aber bestimmt geöffnet.

    Ob es zu dieser Jahreszeit hier etwas zu sehen gibt? »Ja, watt meents du denn …?«, antwortet die Wirtin fast ein wenig beleidigt. »Zum Beispiel die erzählenden Grabsteine bi de Kaak«, zeigt sie hinüber zur Kirche St. Clemens. Nirgendwo in Deutschland gebe es so viele »aussagekräftige« Grabplatten wie auf dem Vorhof dieser Kirche, weiß Lars Rickerts von der Amrum Touristik.

    Von Wohlstand, Ehre und Abenteuern, versunkenen Schiffen und dramatischen Lebensläufen berichten die mit barocken Schnörkeln und Allegorien gemeißelten Geschichtsbücher aus Stein. »Der Gedenkstein hier ist für Hark Olufs und spinnt kein Seemannsgarn«, versichert Rickerts: Als Schiffsjunge wurde Hark 1724 von algerischen Piraten gefangen und als Sklave verkauft. Der Nordfriese konvertierte zum Islam, stieg zum Schatzmeister und Heereskommandeur seines Herrschers auf und kehrte 1736 als wohlhabender Mann nach Amrum zurück. Zur See fuhr er nie wieder. Abseits der Kirche, auf dem Friedhof der Namenlosen, liegen die Unbekannten. Verlorene, von der Brandung verschluckte, unbekannte Seelen, die das Meer in stürmischen Nächten an Land warf.

    Wenn früher Bierfässer rollten oder die Buddel mit Rum kreiste, prahlten Seemänner im Dorfkrug auch schon mal mit leibhaftig gesehenen Seejungfrauen. Bei einem Spaziergang durch Nebels Gassen taucht plötzlich eine Schönheit auf. Nicht aus dem Meer, sondern als lebensgroße Holzskulptur im Garten von Tanja Wegner-Weiseth. Mit wallenden schwarzen Locken und von üppiger Weiblichkeit. »Geburtshelfer« sei ein zwei Meter hoher Baum gewesen, erinnert sich die Frau: »Als der gefällt wurde, habe ich mich entschieden, den Stamm in ein Fischweib zu verwandeln.«

    In der Speisekammer im nahen Watt bedienen sich Bachstelzen, Austernfischer und Säbelschnäbler. Über den Salzwiesen hängt ein milchiges Grau. Heute zerschlägt sich die Hoffnung, von dem knapp vier Kilometer entfernten Leuchtturm – nach schweißtreibenden 295 Stufen Aufstieg – die Insel aus der Vogelperspektive zu betrachten. Dann lieber mit dem Fahrrad weiter nach Norddorf strampeln und dort auf bessere Sicht hoffen. Der Aussichtspunkt auf der Strandbrücke bietet ja auch einen Panoramablick aus höherer Warte über Deiche und Dünengürtel bis zur Sylter Südspitze.

    Wenn sich der Tag verabschiedet, wird es Zeit, die Speisekarte in der warmen Stube einer Inselgaststätte zu studieren. Wer diesmal Fisch und Krabben umschiffen möchte, nimmt kulinarisch Kurs auf gebackene »Futjes« (Pfannenkuchen) oder »stuuwet buanen«. Die gestopften Bohnen kommen mit Kartoffeln und Frikadellen auf den Tisch. Dazu ein aus Rum und Kakao gemixtes Gläschen »Tote Tante«. Zum Wohl!

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