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Von Burg Teck bis Tropical Island: Die braunen Autobahn-Schilder

An 3400 Stellen weisen braune Schilder auf Sehenswürdigkeiten an der Autobahn hin. Doch die »Touristischen Unterrichtungstafeln« werden zu teuer

  • Hans-Werner Rodrian
  • Lesedauer: 6 Min.
Irgendwo hier ist das Ruhrgebiet: Touristische Unterrichtungstafel an der Autobahn A52
Irgendwo hier ist das Ruhrgebiet: Touristische Unterrichtungstafel an der Autobahn A52

Das wäre doch mal eine Frage für »Wer wird Millionär?«: Wo wurde die erste braun-weiße Autobahntafel aufgestellt? Für alle, die vielleicht mal Telefonjoker spielen müssen, hier die Antwort: Es handelt sich um einen Hinweis auf Burg Teck in der Nähe von Stuttgart. Das ist 42 Jahre her, 1983 wurde die Tafel aufgestellt. Es war ein Verkehrsingenieur vom ADAC, Thomas Hessling, der die Sache angeschoben hatte. Ihm war aufgefallen, dass es touristische Hinweisschilder an der Autobahn damals bereits in Spanien und Frankreich gab. Warum dann nicht auch in Deutschland?

Gemeinsam mit der Bundesanstalt für Straßenwesen entwickelte Hessling die Idee und Richtlinien. Ziel war, so erzählt er im Jahr 2014 der »ADAC-Motorwelt«, »das oftmals stupide und anstrengende Fahren auf der Autobahn aufzulockern. Stichwort: Heimatkunde im Vorüberfahren«. Damit die automobile Heimatkunde auch ihre Regeln hatte, wurde die Straßenverkehrsordnung alsbald um eine einschlägige Vorschrift ergänzt. Unter dem Zeichen 386.3 sind seither »Touristische Unterrichtungstafeln (TUT)« geführt. Sie sollten drei mal zwei Meter groß sein und Weiß auf Braun, um sich klar von klassischen Verkehrszeichen abzusetzen.

Vom Schilderneid zum Wildwuchs

Ursprünglich galten noch weitere strenge Regeln: Es musste sich um touristische Attraktionen handeln, und sie mussten sich »in unmittelbarer Nähe« zur Autobahn befinden. Außerdem durfte so eine braune Tafel nur »maximal alle 20 Kilometer« aufgestellt werden, um die Autofahrer nicht zu sehr abzulenken. Das allerdings führte bald zum Schilderneid; Bürgermeister beschwerten sich und fragten, warum der Kirchturm des Nachbarorts berücksichtigt wird und nicht der ihre. Laut den aktuellen »Richtlinien für die touristische Beschilderung« sind jetzt »in der Regel« zwei Unterrichtungstafeln pro Autobahnabschnitt erlaubt; es ist nur noch ein Mindestabstand von 1000 Metern zwischen den Schildern einzuhalten.

Zwei Tafeln pro Autobahnabschnitt sind erlaubt.
Zwei Tafeln pro Autobahnabschnitt sind erlaubt.

Mancher macht sich auch gar nicht mehr die Mühe, konkrete Attraktionen anzupreisen. Stattdessen erfährt der geneigte Autofahrer, dass er jetzt die »Metropole Ruhr« erreicht hat, den »Taunus«, die »Lüneburger Heide« oder den »Bayerischen Wald«. Das hätte man zwar spätestens auch festgestellt, sobald die gleichnamige Autobahnraststätte erreicht ist, aber so weiß man eben bereits früher, welche Landschaft links liegengelassen wird – zum Beispiel das Hopfenland Hallertau an der A9 oder der Naturpark Hoher Vogelsberg an der A5.

Die einstige Strenge ist allerdings längst einem munteren Wildwuchs gewichen. Offiziell muss eine so beworbene Sehenswürdigkeit entweder von der Autobahn aus sichtbar sein oder wenigstens nicht weiter als zehn Kilometer Luftlinie von einer Autobahnanschlussstelle entfernt liegen. Nur in Ausnahmefällen kann auf Ziele mit herausragender touristischer Bedeutung auch bei größerer Entfernung hingewiesen werden. In der Praxis erfährt man allerdings auch ganz allgemein, dass Nordbadens Bauland die Heimat des Grünkerns ist, und tuckert von der Anschlussstelle Mundelsheim zum dort beworbenen »Erlebnispark Tripsdrill« gut und gern 18 Kilometer (beides an der A81).

Eine übergeordnete Stelle, die sich um den braun-weißen Schilderwald kümmern würde, gibt es nicht. Die Bundesanstalt für Straßenwesen hat nur anfangs die einheitliche Größe festgelegt und dass zur Beschriftung ein Schrifttyp namens Antiqua serifenlos zu verwenden sei. Für den Rest, vor allem die Genehmigung, sind die einzelnen Bundesländer zuständig. Und da handhabt eben jedes Land die Dinge ein bisschen anders.

Wer zahlt, darf werben

Wie kommt so ein Schild an die Autobahn? Im Prinzip kann jeder einen Antrag stellen. Und wenn er die Aufstellung selbst bezahlt, dann wird das Schild meist auch genehmigt. In der Regel sind es aber vor allem Tourismusverbände, Orte und Landkreise, die ihre touristische Bedeutung auch am Wegesrand gewürdigt wissen wollen. Hinzu kommen kommerzielle Anbieter wie der Europa-Park Rust oder das Spaßbad Tropical Island. Auch manche Verbände haben sich am Straßenrand verewigt. So sind Schilder wie »Lebensmittelindustrie Ostwestfalen-Lippe« und »Bach in Leipzig« an der Autobahn gelandet.

Zwar fordert etwa der »Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr Schleswig-Holstein« potenzielle Antragsteller in einem Formular auf, »bitte die touristische Bedeutung Ihres Objekts« einzuschätzen. Zur Wahl stehen »sehr hoch«, »hoch« oder »eher gering«. Doch es ist klar, was eigentlich alle ankreuzen.

Manche Namen möbeln immerhin altes Erdkundewissen auf, etwa das Neandertal kurz vor Düsseldorf. Oder sie regen zum Nachdenken an, wie »Goldener Hut Schifferstadt« auf der A61, »Schönste Autobahnstrecke Deutschlands« auf der A8 und »Künstlerkolonie Schwaan« auf der A20. Vieles bleibt dabei vermutlich für die meisten Durchreisenden nebulös, wie etwa der Hinweis »Mörike Cleversulzbach« an der A81. Des Rätsels Lösung: Der Dichter Eduard Mörike war mal eine Weile lang in Cleversulzbach Pfarrer.

Nur geschätzt werden kann die Zahl der braunen Touristiktafeln an deutschen Autobahnen. Der Universitätsprofessor Sven Groß von der Hochschule Harz ging 2020 davon aus, »dass an den deutschen Autobahnen mehr als 3400 dieser Schilder (…) aufgestellt wurden«. Zählt man nur die Motive, sind es freilich deutlich weniger, weil die meisten Tafeln Autofahrer in beiden Fahrtrichtungen aufmerksam machen wollen. Die Aufstelldichte ist übrigens eindeutig südlastig: Bayern protzt mit mehr als 800 touristischen Unterrichtungstafeln an Autobahnen, Mecklenburg-Vorpommern hat hingegen weniger als 200.

90 000 Euro pro Schild

Der Trend geht allerdings in eine klare Richtung: Es werden mehr Schilder abgebaut als aufgestellt. Und das hat einen einfachen Grund: die Monsterinflation der Anschaffungskosten. Zahlte ein Antragsteller vor 20 Jahren noch 3000 bis 4000 Euro für ein Schild, so ist es heute gut das Zwanzigfache. So wurden bereits in Straubing an der Donau, in Sangerhausen in Sachsen-Anhalt und im oberbayerischen Wolfratshausen die Schilder demontiert. Die drei Kommunen hätten allein für den Ersatz eines ihrer in die Jahre gekommenen Schilder zwischen 70 000 und 90 000 Euro zahlen sollen – für jede der beiden Verkehrsrichtungen.

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Wie das? Unter Verkehrsminister Andreas Scheuer wurde 2021 die Autobahnverwaltung zur Autobahn GmbH privatisiert. Seither werden nicht nur die Kosten der Schilder auf die Antragsteller umgelegt, sondern zusätzlich der Verwaltungsaufwand, das Aufstellen und sogar schon eine Pauschale für den späteren Abbau und die Entsorgung. Mehr noch: Die alten, zwei mal drei Meter großen Schilder sind der Autobahn GmbH zu klein. Sie hat eine neue Norm eingeführt, danach müssen die Tafeln jetzt 2,40 Meter mal 3,60 Meter messen. Und deshalb können – leider, leider – auch verwitterte Schrift und Grafik auf einem bestehenden Schild nicht einfach durch eine neue Folie ersetzt werden.

Da ist nun die Frage erlaubt: Lohnt es sich bei diesen horrenden Preisen noch für die Aufsteller? Angeblich schon. Die Hochschule Harz startete im Jahr 2019 eine Umfrage dazu und stellte fest, dass jeder sechste Autofahrer schon einmal spontan dem Hinweis auf ein besonderes Reiseziel auf den braun-weißen Tafeln gefolgt und von der Autobahn abgebogen ist. Andere sind zwar nicht gleich abgebogen, haben sich das Ziel aber für spätere Fahrten gemerkt. Und immerhin 40 Prozent wünschten sich noch weitere, neue Schilder.

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