Gute Nerven und eine starke Leber

Coming-out beim Bundesheer, empathielose Großstadtjugend und düster-depressiver Horror in der Natur: Das 44. Max-Ophüls-Filmfestival in Saarbrücken

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 5 Min.
Mit dem Kajak Kreise ziehen: Der Gewinnerfilm »Alaska«.
Mit dem Kajak Kreise ziehen: Der Gewinnerfilm »Alaska«.

Das Saarbrücker Filmfestival Max-Ophüls-Preis versteht sich als Nachwuchsfestival, und entsprechend unterschiedlich sind die Herangehensweisen der Filmemacher*innen, gelegentlich auch die Bedingungen, unter denen die Filme produziert werden. So konkurrierte im diesjährigen Spielfilmwettbewerb etwa der mit Peter Lohmeyer, Barbara Philipp und der Preisträgerin in der Kategorie Bester Schauspielnachwuchs Alina Stiegler schon fast starbesetzte »Sprich mit mir« unter anderem mit dem laut Festival-Website »komplett selbstfinanzierten« Film »Enter Mycel«, der demnach mit einem Budget von 3000 Euro auskommen musste und dessen Darsteller Laien sind, die für den Film »an Wochenenden ihre freie Zeit geopfert« haben. Das merkt man dem Film von Regisseur Daniel Limmer zwar in mancher Hinsicht an, trotzdem ist »Enter Mycel« mit seinem Mut zu einer unheimlichen Coming-of-Age-Geschichte und seiner düster-depressiven Naturhorror-Kontemplation über Untergang und Auferstehung ein kleines Highlight des Festivals, dessen 44. Ausgabe am Sonntag zu Ende ging.

»Enter Mycel« hebt sich nicht nur ästhetisch und hinsichtlich des Produktionsbudgets von den meisten anderen Filmen im Programm ab, sondern auch dadurch, dass Regisseur Limmer kaum auf klassische Erzählstrukturen setzt. Ganz anders der Kritiker- und Publikumspreis-Gewinner »Eismayer«, mit dem David Wagner die wahre Geschichte des »Vizeleutnants« und Militärausbilders Charles Eismayer stringent und chronologisch erzählt. Für seine harten Methoden bei den Rekruten des österreichischen Bundesheeres gefürchtet, führt Eismayer als Familienvater heimlich schwule Sexbeziehungen zu Untergebenen und verliebt sich schließlich in den offen homosexuellen Soldaten Mario.

Der Film zeigt den Weg des Ausbilders bis zu seinem Coming-out und der Verpartnerung mit Mario. Zwar wirkt das besonders im Finale etwas zu konventionell und auf Effekt gebürstet, aber für einen Nachwuchsfilm auch erstaunlich routiniert, fesselnd und mit tollem Gefühl für Tempo und Affektführung inszeniert. Indes wurde der Film »Breaking the Ice« der 35-jährigen Clara Stern beim Festival mit gleich drei Preisen ausgezeichnet (Bestes Drehbuch, Preis für den gesellschaftlich relevanten Film und Jugendjury-Preis).

Es ist der vielleicht mitreißendste Film des Festivals und handelt von der jungen Mira, die in der österreichischen Provinz zwischen den Spannungen innerhalb ihrer Familie, ihrer Vorbildfunktion als Kapitänin des lokalen Eishockey-Teams, der Lust auf Rausch und ihrer Liebe zu der neuen Mitspielerin Theresa gute Nerven und gelegentlich auch eine starke Leber braucht. Der Film zeigt eindringlich, wie die Suche nach Identität und Sicherheit in spätkapitalistischen Zeiten die junge Frau in Konflikte treibt, die sie zu überfordern drohen.

Gleichfalls um die Anbahnung einer Liebe zwischen zwei Frauen geht es in »Alaska« von Max Gleschinski, der den Hauptpreis Bester Spielfilm gewann. Darin macht sich die eigenwillige Mittvierzigerin Kerstin nach dem Tod des Vaters auf den Weg, mit dem Kajak die Mecklenburgische Seenplatte zu erkunden, tagelang und immer im Kreis. Zunächst genießt sie die Einsamkeit und möchte dabei auch nicht gestört werden, doch bald tauchen andere Figuren auf: Kerstins Bruder und dessen Frau, eine Gruppe Touristen um die sympathische Alima. Wo der Film mit vielen Natur-Einstellungen teilweise etwas zu sehr atmosphärisch sein will, ist die Gegenüberstellung von Kerstin und ihrem bei der Jagd nach dem Erbe verkrampfenden Bruder sehr gelungen. Kerstin widmet sich stoisch und im Einklang mit der Ruhe der Landschaft ihren eigenen Bedürfnissen und verspürt eine aufkeimende Liebe zu Alima.

Ganz andere Sorgen hat indes das junge Paar Lisa und Clemens, die gemeinsam von Hannover nach Berlin umziehen wollen, wo Lisa als angehende Medizinerin eine Stelle an der Charité antreten will. Zum Abschied schmeißen sie am letzten Abend in der alten Wohnung eine Abschiedsparty: »Letzter Abend« von Lukas Nathrath wurde mit dem Preis für die beste Regie ausgezeichnet. Es ist tatsächlich ein ziemlich inszenierter Film, der nicht nur als Beziehungsdrama und Eskalationsgeschichte in einer Wohnung funktioniert, sondern vor allem auch als erfreulich bittere Satire auf vermeintlich liberale urbane Bürgerkinder-Communitys. Nathrath kennt die vor lauter »voll« und »mega« und »alles gut« überbordende Ausdrucksweise dieser Leute bestens und lässt seine Figuren dieses bis zur Unverständlichkeit affektierte Kauderwelsch unentwegt plappern.

Jede*r Einwohner*in einer deutschen Großstadt dürfte diese Klischeefiguren zur Genüge aus dem eigenen Umfeld kennen: Da ist die klimabewusste Wokenessbeauftragte, die zwar bei den richtigen Stichworten automatisch »toxische Männlichkeit« ruft, aber im Grunde nur Halbverstandenes nachbetet, der Jungliberale, der vor Eitelkeit und Selbstgewissheit jederzeit zu platzen droht, der depressive Künstler, das aufmerksamkeitsheischende Enfant terrible und so weiter. Gerade indem Nathrath seine Figuren sich maximal alltagsauthentisch benehmen und sprechen lässt, macht er sie zu klischeehaften Karikaturen.

Einem solchen reizenden Reigen lässt der Film uns nun also beim Feiern zusehen, aber mit zunehmendem Berauschtheitslevel brechen sich Animositäten, Eifersüchteleien und nackte gegenseitige Verachtung Bahn. Nathrath dekonstruiert so die zur Schau gestellte coole Liberalität unbarmherzig als reine Fassade, hinter der sich hasserfüllte, zynische Zwangsgemeinschaften von kaum noch empathiefähigen Monaden verbergen.

Als bester Dokumentarfilm wurde »Good Life Deal« von Samira Ghahremani ausgezeichnet, der zeigt, wie ein Wiener Frührentner nach Thailand zu seiner Freundin, einer Taxifahrerin zieht, wo die Dinge nicht ganz nach Wunsch laufen. »Aus der dokumentarischen Beobachtung entwickelt sich ein Krimi, bei dem die Regisseurin gekonnt auch mit dem Wissen und der Empathie des Publikums spielt«, heißt es in der Jurybegründung über diesen bemerkenswert fesselnden Dokumentarfilm.

Bemerkenswert war auch »Einzeltäter – Teil 2« von Julian Vogel, in dem es um den rechtsextremen Mörder von Halle geht, der, nachdem er die Tür einer Synagoge nicht öffnen konnte, seine Mordlust in einem Dönerladen in der Nähe an dem jungen Kevin ausließ. Der Film folgt dem Vater von Kevin, der an dem Verlust seines Sohnes sehr zu leiden hat und gemeinsam mit Regisseur Vogel die Geschichte des Jungen rekonstruiert.

Die meisten Filme des Festivals können noch bis zum 5. Februar im Stream angesehen werden:
ffmop.de/programm/streamin
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