Rechter Paramilitär aus Kolumbien sieht die Schuld beim Staat

Mit Rodrigo Tovar Pupo steht in Kolumbien einer der prominentesten ehemaligen Paramilitärs vor Gericht

  • Sara Meyer, Bogotá
  • Lesedauer: 4 Min.

Er ist einer der dicksten Fische, die sich bisher in Kolumbien vor der Sonderjustiz für den Frieden (JEP) verantworten mussten: Rodrigo Tovar Pupo. Der unter »Jorge 40« bekannte Tovar war bis zur Demobilisierung 2006 der Anführer des Nordblocks der Vereinten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens (AUC), einer rechtsgerichteten paramilitärischen Gruppe, die fast 300 Massaker begangen hat. Die AUC hatten enge Verbindungen zum rechten Präsidenten Álvaro Uribe (2002–2010), der 2005 das Gesetz zur Auflösung paramilitärischer Verbände auf den Weg brachte. Die JEP selbst ist Bestandteil des Friedensabkommens mit der Farc-Guerilla 2016 und hat die Aufgabe über die von den verschiedenen Akteuren des bewaffneten Konflikts begangenen Verbrechen zu urteilen, seien es Paramilitärs, seien es Guerillas.

Tovar hatte am 26. und 27. Januar seine letzte Chance wahrgenommen, über die begangenen Gräueltaten der illegal bewaffneten Gruppe während des internen bewaffneten Konfliktes zwischen Regierung und Farc-Guerilla (1964–2016) auszusagen. Die Anhörung löste Kontroversen aus, da Tovar trotz eindeutiger Beweislage unter den Augen der Öffentlichkeit behauptete, er »habe zu keinem Zeitpunkt etwas mit Paramilitarismus zu tun gehabt«.

Erst im August vergangenen Jahres erkannte der Paramilitär seine Verantwortung für zwölf Morde und die Zwangsvertreibung einer Familie im Norden Kolumbiens an, die in den frühen 2000ern begangen wurden. Tovar war zwölf Jahre lang bis September 2020 in den USA wegen Drogenschmuggels in Haft und wurde anschließend an Kolumbien ausgeliefert, wo er in ein Gefängnis im Zentrum des Landes überführt wurde. Bei seiner Rückkehr waren ihm 1486 Delikte anhängig, unter anderem das Massaker von El Salado im Jahr 2000, bei dem mindestens 60 Menschen getötet wurden.

Tovar wandte sich aus dem Gefängnis während der ersten Anhörung am Donnerstag an die Opfer und erklärte, dass ihm »der Schmerz, der jedem von ihnen zugefügt wurde, zutiefst und aufrichtig leidtut«. Ferner forderte er den kolumbianischen Staat auf, zu reagieren und seine Verantwortung für 90 Jahre Gewalt anzuerkennen. Der Staat sei der Erste gewesen, »der durch Unterlassung für all die Tragödien verantwortlich war, die wir in Kolumbien erlebt haben«. Insbesondere gelte dies aber für die Taten, die ihm persönlich zur Last gelegt werden, erklärte er dem Gericht.

Sein kriminelles Verhalten rechtfertigte der Paramilitär damit, die Situation sei zu jener Zeit von staatlicher Abwesenheit und nicht funktionierenden Institutionen geprägt gewesen. Kriminelle Gruppen hätten diese Umstände ausgenutzt. ​​»All dies geschah am helllichten Tag. Das ist der Kontext der Situation in Valledupar seit 1987. Die Menschen waren stumm und schweigsam. Jeder versuchte sich aus der Situation zu retten«, so »Jorge 40«. Das Verfahren gegen Tovar wird im Februar fortgesetzt.

Das Gericht forderte in den vergangenen Jahren mehrere wichtige Guerilla- und Paramilitärführer auf, Geständnisse abzulegen und die Wahrheit über die Gewalttaten zu berichten. Im Gegenzug erhalten die Verantwortlichen Straferleichterungen. Mit der Anhörung von Tovar zielt die Sonderjustiz darauf ab, mögliche Verstrickungen von Paramilitärs und Regierung aufzudecken. Der Gerichtshof erklärte, dass »Jorge 40« von der JEP als Zivilist und nicht als Militär behandelt werden könne, wenn er beweise, dass er als ehemaliger paramilitärischer Kommandant »in die öffentliche Gewalt eingegliedert wurde, um die bewaffnete Gruppe in den Dienst des Staates zu stellen«. Das würde Strafnachlass bedeuten.

Während der zweittägigen Anhörung erklärte Tovar, dass er im Auftrag des AUC-Oberkommandanten Carlos Castaña im Jahr 1997 nach Miami reiste, um Waffen und Munition auf legalem Wege für die paramilitärische Gruppe zu kaufen. Die Waffen wurden dann beispielsweise in Keksverpackungen in die Küstenstadt Cartagena geschickt, »als wären es Ersatzteile, und Carlos Castaño war dafür verantwortlich«, so Tovar. Außerdem behauptete er, mit den linken Guerillas der ELN und der Farc zusammengearbeitet zu haben. Mit der Aussage, ein Kollaborateur zu sein und seiner öffentlichen Entschuldigung bei den Betroffenen und Hinterbliebenen erhofft er sich möglicherweise eine Minderung seines Strafmaßes.

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