ELN liegt mit Petro im Clinch

Guerilla dementiert Waffenruhe mit Regierung und diese kündigt sie auf

  • Sara Meyer, Bogotá
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit der Aufkündigung der beidseitigen Waffenruhe zwischen der kolumbianischen Regierung und der linken ELN-Guerilla haben die laufenden Friedensgespräche einen Rückschlag erlitten. Zunächst begeisterte der linke Präsident Gustavo Petro am Silvesterabend mit der Bekanntgabe, eine sechsmonatige Waffenruhe mit fünf bewaffneten Gruppen erreicht zu haben, um so dem ersehnten »vollkommenen Frieden« einen Schritt näherzukommen. Die über die Feiertage einberufene Feuerpause und das Einstellen des bewaffneten Streiks seitens der ELN-Kämpfer*innen sowie deren Bekenntnisse, ein demokratisches Kolumbien für alle zu wollen, deuteten darauf hin, dass die Regierung und die Rebellen an einem Strang ziehen.

In den vergangenen Tagen ebbte die Euphorie wieder ab, da die ELN öffentlich zurückwies, eine solche Abmachung mit der Staatsspitze getroffen zu haben. Die Rebellenführung ließ verlauten, »ein einseitiger Regierungsbeschluss sei nicht als Einigung zu akzeptieren«, man habe mehrfach kommuniziert, dass die ELN sich nur an das halte, was am Verhandlungstisch diskutiert und vereinbart worden sei. Gleichwohl sehe die ELN die Erklärung zur Feuerpause als Vorschlag, den sie in der zweiten Verhandlungsrunde mit der Regierung am 23. Januar in Mexiko heranziehen könne. Diese Reaktion begrüßte auch der Verhandlungsführer Otty Patiño, der im Namen von Petros Regierung ein mögliches Friedensabkommen verhandelt.

Mehrere Politikexpert*innen ordneten die Ereignisse als Petros bisher größtes Debakel seit seiner Amtseinführung im August ein. Zunächst war nicht klar, ob die kolumbianischen Streitkräfte von Petros angestrebter Waffenruhe wussten. Der Verteidigungsminister Iván Velásquez versicherte, dass das Militär und die Polizei noch vor der Veröffentlichung über Details informiert worden seien. Der Senator Huberto de la Calle, der die Regierungsdelegation bei den Verhandlungen zum Abkommen mit der Farc-Guerilla leitete, kritisierte Petros Vorgehen als »unglaubwürdige« sowie »verwirrende Angelegenheit« und sprach von einem großen Fehler Petros. Wenn eine Guerilla sich zu Verhandlungen entschließe, dürfe man sie nicht überraschen. Entscheidungen sollten nur am Verhandlungstisch diskutiert und getroffen werden, so der ehemalige Chefunterhändler.

In einer außerordentlichen Sicherheitssitzung beschlossen Petro und sein Verteidigungs- und Innenminister sowie der Hohe Kommissar für den Frieden noch Dienstagnacht, die Feuerpause mit der ELN auszusetzen. Dennoch wurde die Guerilla aufgefordert, ihre Gewaltakte unter Rücksichtnahme auf die hiesige Bevölkerung zu unterlassen.

Der Innenminister Alfonso Prada versicherte im Anschluss, dass die vier verbleibenden bewaffneten Gruppen, zwei Abspaltungen der ehemaligen Farc-Guerilla, der narco-paramilitärische Golf Clan und die rechte Selbstverteidigungsgruppe der Sierra Nevada weiterhin an einer Waffenruhe mit der Regierung bis Ende Juni festhielten. Am Mittwoch richtete die Staatsspitze mittels eines Rechtserlasses eine »hochrangige Instanz« ein, die zum Ziel hat, die bewaffneten Gruppen zu analysieren, die ihre Bereitschaft zum Ansatz des umfassenden Friedens bekunden.

Inwieweit die Ereignisse dieser Woche dem Dialog zwischen ELN und Regierung geschadet haben, wird sich in der bald beginnenden zweiten Verhandlungsrunde zeigen. Beide Gesprächspartner blicken seit den 90er Jahren auf eine Geschichte gescheiterter Friedenskonsultationen zurück. Trotz der Startschwierigkeiten könnte die Tatsache, dass Petro und weitere Unterhändler der Regierung selbst Guerilleros der ausgestorbenen M-19 waren, das Vertrauen der ELN-Rebell*innen fördern. Derzeit verfügt die bewaffnete Gruppe Schätzungen zufolge über etwa 3000 Kämpfer*innen und ist in mehr als der Hälfte der kolumbianischen Verwaltungsgebiete sowie im Nachbarland Venezuela präsent.

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