Syrien: Nach dem Krieg kam das Erdbeben

In Aleppo sind kriegszerstörte Häuser eingestürzt und haben Vertriebene unter den Trümmern begraben

  • Karin Leukefeld, Beirut
  • Lesedauer: 4 Min.

Am frühen Montagmorgen um 3.20 Uhr (Ortszeit Beirut) wurde die östliche Mittelmeerregion von einem schweren Erdbeben erschüttert. Das Epizentrum unweit der südosttürkischen Stadt Kahramanmaraş lag 20 Kilometer unter der Erdoberfläche, das Beben wurde mit einer Stärke von 7,8 auf der Richterskala gemessen. In den türkischen Städten Kahramanmaraş, Malatya, Gaziantep, Diyarbakır und İskenderun stürzten viele Häuser ein, in Syrien waren vor allem Aleppo und Idlib sowie die Küstenstädte Latakia, Jableh und Tartus betroffen. Das Beben war entlang der gesamten Küstenregion der Levante bis zum Gazastreifen und auf Zypern zu spüren.

Die Autorin erlebte das Beben in einem Beiruter Hotel, das stark schwankte. Viele Menschen liefen auf die Straße, waren verängstigt. Rajid aus Bangladesh, der in dem Hotel arbeitet, fühlte sich an die Explosion im Hafen von Beirut Anfang August 2020 erinnert. »Als mein Zimmer so wackelte, stand ich auf und ging ans Fenster, und ich sah all die Leute auf der Straße. Aber als das Beben nach kurzer Zeit aufhörte, war ich erleichtert: Es war nicht wie bei der Hafenexplosion.«

Seit Tagen wird die Region im östlichen Mittelmeerraum von schweren Unwettern mit Schnee in den Bergen sowie sintflutartigen Regenfällen und Gewittern heimgesucht, die Überflutungen und Erdrutsche auslösten. Für die Menschen, die von den Auswirkungen des Krieges in Syrien seit 2011 bereits schwer getroffen sind, ist das Erdbeben eine weitere harte Belastung.

In den Flüchtlingslagern in Idlib konnten die Menschen bei den Erdstößen ihre Zelte und einfachen Häuser schnell verlassen. Gefährlich war es in den Hochhäusern der Städte. Über soziale Medien und lokale Nachrichtenstationen wurden Bilder aus Aleppo verbreitet: Menschen liefen in Panik davon, während hinter ihnen ganze Häuserreihen einstürzten.

Die schweren Kämpfe in und um Aleppo zwischen 2012 und 2016 haben viele mehrstöckige Häuser schwer beschädigt. Der Stadtrat von Aleppo hat wiederholt an die Menschen appelliert, diese Gebäude zu verlassen. Doch angesichts mangelnder Unterkünfte leben immer wieder inlandsvertriebene Familien in den einsturzgefährdeten Häusern. Erst kürzlich war im Stadtteil Scheich Maksud in Aleppo ein Wohnhaus eingestürzt und hatte 16 Personen in den Trümmern begraben. Nach Angaben des Leiters der syrischen Antikenbehörde, Hammam Saad, sollen in der Zitadelle von Aleppo Risse festgestellt worden sein. Die Zitadelle, die hoch über Aleppo auf einem Hügel thront, gilt als Weltkulturerbe.

Der Aleppiner Fotograf Issa Touma, der sich zurzeit in Schweden aufhält, berichtete von seiner Mutter, die das Erdbeben in Aleppo überlebte. Sie habe sich zu Nachbarn in ein unteres Stockwerk geflüchtet. In ihrer Wohnung seien Geschirr und Glas zerbrochen, Schränke seien umgefallen, aber das Haus blieb stehen.

Zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen wie der Syrische Entwicklungsfonds stellten ihre Mitarbeiter in den Dienst des Syrischen Roten Halbmonds, der mit mobilen Kliniken und Ärzteteams den Menschen in den betroffenen Regionen hilft. Präsident Baschar Al-Assad rief eine Krisensitzung des Kabinetts ein.

Während die USA, Deutschland und andere Nato-Staaten der Türkei umgehend kondolierten und Hilfe anboten, versicherten der russische Präsident Wladimir Putin und Scheich Mohamed bin Zayed Al-Nahyan, der Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate, sowohl der Türkei als auch Syrien ihr Mitgefühl und boten Hilfe an.

Syrien wandte sich am Montag an die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und andere Hilfsorganisationen und bat sie darum, »die Bemühungen der syrischen Regierung zur Bewältigung des verheerenden Erdbebens zu unterstützen«, wie es in einer Erklärung des syrischen Außenministeriums hieß.

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