USA-China: Spannungen nehmen zu

Der chinesische Spionageballon ist laut US-Regierung Teil eines umfangreichen Überwachungsprogramms

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Eines muss man der chinesischen Führung lassen: Sie verfügt über eine gehörige Portion Selbstbewusstsein. Obwohl das Land gerade wegen seiner mutmaßlichen Ballon-Spionage über den USA am Pranger steht, kritisiert Peking die Regierung in Washington. Diese habe mit dem Abschuss des unbemannten Flugkörpers, der nur der Klimabeobachtung gedient habe und durch »höhere Gewalt« in den Luftraum der Vereinigten Staaten gelangt ist, nicht »ruhig und professionell« gehandelt. Überdies verlangte Mao Ning, die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, die Rückgabe der Ballonreste, denn: »Das Luftschiff gehört nicht den USA, sondern China.« Ein Gesprächsangebot des US-amerikanischen Verteidigungsministers Lloyd Austin nach dem Abschuss habe man abgelehnt, weil die US-Seite keine »angemessene Atmosphäre« dafür geschaffen habe, teilte das chinesische Verteidigungsministerium mit.

Der US-Außenminister Antony Blinken hatte wegen des Vorfalls eine geplante China-Reise abgesagt. Er bezeichnete den chinesischen Ballon als Teil eines umfangreichen Überwachungsprogramms: »Die Vereinigten Staaten waren nicht das einzige Ziel dieses breit angelegten Programms, das die Souveränität von Ländern auf fünf Kontinenten verletzt hat«, sagte Blinken am Mittwoch bei einem Treffen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Washington. Ähnliche Aktionen sollen im nord- und südamerikanischen, südkoreanischen und japanischen Luftraum stattgefunden haben. Sicher ist: Das Auftauchen des chinesischen Ballons über US-Territorium hat die ohnehin frostigen Beziehungen beider Länder weiter abgekühlt.

Der Ballon erreichte am 28. Januar die sogenannte Alaska Joint Operation Area, drang am 30. Januar in den kanadischen Luftraum ein und flog einen Tag später über North-Idaho in das Gebiet der USA. Am vergangenen Samstag hatte das US-Militär zwei Kampfflugzeugen ausgeschickt, um den Eindringling vor der Küste des Bundesstaates South Carolina abzuschießen. Da flog er in einer Höhe von knapp 20 000 Metern.

Die Abfang-Operation war umfangreich und sorgsam geplant, man achtete darauf, dass die Hülle des Ballons nur beschädigt wurde, damit die Nutzlast relativ langsam herabsinkt und in einem Abschnitt des Atlantiks landet, der Tauchern ein leichtes Arbeiten ermöglicht. Man will neue Erkenntnisse über die chinesische Aufklärungstechnik sowie Einsatzprinzipien gewinnen, um Gegenmaßnahmen zu treffen. Es gibt einige wenige, kaum aussagefähige Fotos des US-Militärs von ersten Bergungsversuchen.

Gemeinhin unterschätzt wird die Größe des Himmelsspions. Nach Angaben von General Glen VanHerck, Kommandeur des North American Aerospace Defense Command, maß er gut 60 Meter und hatte eine solarbetriebene Nutzlast, die sich mit einem Regionaljet vergleichen lasse. Das spricht nicht für die chinesische Darstellung, es habe sich um einen Wetterballon gehandelt, der außer Kontrolle geraten ist.

Die Republikaner griffen den US-Präsidenten an, weil der sich angeblich nicht ausreichend um die Beendigung der chinesischen Spionageaktion gekümmert habe. Man warf Joe Biden sogar vor, dass er tatenlos zugesehen habe, wie die Chinesen Stellungen von US-Atomraketen aufklärten und die Daten ungehindert weiterleiteten. Aus US-Geheimdienstkreisen ist dagegen zu hören, dass sich zwei Spionageflugzeugen über den Ballon gesetzt hätten. Mit ihren Kameras und Sensoren konnten sie qualitativ hochwertige Bilder des Ballons sammeln und dessen elektronische Emissionen aufsaugen. Welche Aufklärungsergebnisse gewonnen wurden, ist weiter geheim. Sicher aber dürfte sein, dass die Maschinen die Weitergabe elektronischer Daten an den Ballonbesitzer sowie die Steuerung des Fluggeräts unterbanden.

In den USA schwankt man bei der Bewertung des chinesischen Ballon-Einsatzes zwischen Hochmut und Bewunderung. »Die Chinesen haben eine unglaublich alte Technologie mit modernen Kommunikations- und Beobachtungsmöglichkeiten kombiniert, um Informationen über die Streitkräfte anderer Länder zu sammeln«, zitierte die »Washington Post« einen nicht namentlich genannten US-Regierungsvertreter.

Das kann man glauben, denn keine Nation ist bei dem Thema Ballon-Spionage so beschlagen wie die USA. Bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann die US-Luftwaffe ein Programm zum Einsatz von mit Helium gefüllten Spionageballons, die in großen Höhen in den Luftraum von Mitgliedsstaaten des Warschauer Vertrages und Chinas eindrangen. Vor allem auf die Stationierungsorte der sowjetischen Raketenkräfte, auf Luftwaffenbasen sowie Rüstungsbetriebe hatte es die US-Himmelsspione abgesehen. Aus über 15 000 Metern Höhe beobachteten sie auch Atomtests.

Um die Ballons über die entsprechenden Gebiete zu bringen, startete man sie in Westeuropa und nutzte die West-Ost-Höhenströmung. Auch die damalige Bundesrepublik diente als Startplattform. Die sowjetische Flugabwehr entdeckte zwar Hunderte dieser Flugkörper, konnte aber nur wenige abschießen. Kein Wunder also, dass sowjetische Konstruktionsbüros vor allem in den 1950er und 1960er Jahren viele »Höhenforschungsflugzeuge« entwickelten. In den 1960er Jahren wurden die Ballons durch U2-Spionageflugzeuge ersetzt, später übernahmen Satelliten eine wichtige Aufklärungsfunktion.

Chinas Spion hat nur noch das Leichter-als-Luft-Prinzip gemein mit den Aufklärungsballons vergangener Jahrzehnte. Heute sorgen exakte Wetterprognosen sowie verschiedene Steuermechanismen dafür, dass die nur scheinbar antriebslosen und durch Radar kaum erfassbaren Flugkörper an jeden gewünschten Ort gebracht werden können. Anders als Satelliten, deren Bahnen berechenbar sind, können sie lange Zeit über bestimmten Orten verweilen und Aufklärungsdaten sammeln. Während Raumflugkörper wegen ihrer Geschwindigkeit nur sehr unpräzise Videobilder liefern können, bereitet das den Ballons keine Schwierigkeiten. Gleiches gilt für das Abfangen von Funkverkehr oder elektronischer Abstrahlung wie Radar.

Die Nutzlast von Ballons ist in der Regel größer als die kosmischer Flugkörper. Man kann so verschiedenste Aufklärungssysteme installieren: Foto, Video, Infrarot, Radar oder elektronische Systeme. Echte Vorteile erreicht man, wenn man Weltraumsysteme mit Ballons koppelt. So gewinnt man detailliertes Wissen über das, was andere geheim halten wollen. Überdies sind Ballons wesentlich billiger und können in relativ großer Zahl ausgeschickt werden.

Der Ballon-Vorfall wird weitere politische Implikationen nach sich ziehen und – so nicht rasch diplomatische Mittel greifen – die ohnehin gespannten Beziehungen zwischen den Supermächten USA und China weiter beschädigen. Besorgniserregend ist, dass es in den vergangenen Tagen nicht gelang, eine direkte Verbindung zwischen den militärisch Verantwortlichen in Washington und Peking herzustellen.

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