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Was ist von einer Aussage Beate Zschäpes zu erwarten?

NSU-Untersuchungsausschuss in Bayern will die verurteilte Rechtsterroristin vorladen

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Was ist von einer Rechtsterroristin zu erwarten, die seit ihrer Verhaftung im November 2011 und dem danach folgenden langjährigen Gerichtsverfahren nichts Wesentliches zur Wahrheitsfindung beitrug? Über diese Frage ist eine Debatte entbrannt, seitdem der NSU-Untersuchungsausschuss (NSU-UA) des bayerischen Landtags einstimmig entschied, Beate Zschäpe als Zeugin zu befragen.

Daran gibt es vielfach Kritik. So äußerte sich Mandy Boulgarides, Tochter des am 15. Juni 2005 in München vom »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) ermordeten Theodoros Boulgarides, am Dienstag in einer Stellungnahme auf der Website der Initiative »NSU Watch«. Sie und ihre Familie kämpften seit Jahren für Aufklärung, hatten deshalb auch die Einsetzung des zweiten bayerischen Untersuchungsausschusses gefordert, der im Mai 2022 seine Arbeit aufnahm. »Es geht uns dabei vor allem darum, dass die politisch Verantwortlichen Konsequenzen ziehen. Das bedeutet, Behördenfehler erkennen, benennen und verändern«, so Boulgarides.

»Wie kann man als Untersuchungsausschuss dieser Rechtsterroristin wieder eine Bühne geben?«, fragt Boulgarides. Die Ladung Zschäpes vor den Ausschuss sei für die Angehörigen »der blanke Hohn«, da die NSU-Terroristin bisher zu den Tathergängen schweigt. Zur Erinnerung: Kern von Zschäpes Verteidungsstrategie war es seinerzeit im Prozess vor dem Oberlandesgericht München, zu behaupten, von den Morden und Sprengstoffanschlägen immer erst im Nachgang erfahren zu haben. Das Gericht kaufte ihr dies nicht ab, sondern verurteilte sie im Juli 2018 wegen Mordes, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und schwerer Brandstiftung zu lebenslanger Haft. »Es ist offensichtlich, wie wenig ihr Recht und Werte bedeuten. Die einzige Darstellung, die Zschäpe in ihren Aussagen ausgiebig breitgetreten hat, war Selbstdarstellung«, sagt Boulgarides.

Kritik an der Ladung Zschäpes, über die der bayerische NSU-Untersuchungsausschuss bereits Ende Januar entschieden hatte, kommt auch vom Bundesverband der Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus. »Es ist völlig abwegig, dass Beate Zschäpe wahrheitsgemäß Auskunft erteilen wird, nachdem sie jahrelang in München geschwiegen und gelogen hat. Sie als Zeugin in den NSU-Untersuchungsausschuss zu laden, ist absurd«, kritisiert Sprecher Dominik Schumacher.

Toni Schuberl, rechtspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im bayerischen Landtag und Vorsitzender des NSU-UA, verteidigt die Entscheidung. »Unser Versprechen war von Beginn des Untersuchungsausschusses an, dass wir alles tun werden, um Antworten auf die brennenden offenen Fragen zu erhalten. Daher verhören wir jede und jeden, der fähig ist, Antworten zu liefern. Zschäpe ist die Einzige, die umfassend antworten könnte«, erklärte Schuberl vor einigen Tagen bei Twitter. Diese Hoffnung teilt Schumacher nicht: »Die Annahme, ideologisch gefestigte Rechtsextreme könnten wahrheitsgetreue Zeug*innen sein, ist verblüffend. Denn die Erfahrung der Mobilen Beratung aus Gerichtsverhandlungen der letzten Jahrzehnte zeigt: Neonazis haben ein rein taktisches Verhältnis zur Wahrheit.« Wann Zschäpe sich den Fragen des NSU-UA stellen soll, steht noch nicht fest.

Auf Untergrund folgte Unterwanderung: Der »NSU-Schock« hat die Gesellschaft nicht geheilt. Militante Rechte nutzen zunehmend legale Strukturen.

Den Versuch des bayerischen NSU-UA, Zschäpe Erkenntnisse über die rechtsterroristische Mordserie und das dahinterstehende Netzwerk zu entlocken, findet der Rechtsanwalt Eberhard Reinecke richtig. Er war seinerzeit im Münchner Prozess Teil der Nebenklage. »Wir wissen nicht, ob Frau Zschäpe nach mehr als elf Jahren Haft bereits mitbekommen hat, dass es ein Unterschied ist, ob sie 20, 25 oder 30 Jahre in Haft sitzen wird. Ich meine, dass all dies ein Testballon wert ist, um einschätzen zu können, ob Frau Zschäpe sich entwickelt hat«, schreibt Reinecke auf seinem Blog »Die Schneeflocke«.

Er erinnert daran, dass Gamze Kubaşık, Tochter des NSU-Mordopfers Mehmet Kubaşık, im Münchner NSU-Prozess ein Versprechen abgab. Sollte sich Zschäpe umfassend äußern und jene benennen, die bisher nicht auf der Anklagebank sitzen, würde Kubaşık sich bei Gericht dafür einsetzen, dass solch eine Aussage »ausreichend honoriert wird«. Zschäpe sitzt aufgrund ihrer Verurteilung zu lebenslanger Haft für mindestens 15 Jahre im Gefängnis. Weil bei ihr eine besondere Schwere der Schuld festgestellt wurde, prüft das Gericht kurz vor Ablauf dieses Zeitraumes, ob die Haft noch um einige Jahre verlängert wird. Entscheidend ist dabei auch, wie Zschäpe sich verhalten hat.

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