Aus Wind werde Wärme

Mit einer Pilotanlage testen Forschende, wie sich Windkraft direkt in Heizenergie umwandeln lässt

  • Dierk Jensen
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Pilotanlage für Windthermie bei Celle besteht aus einem Kleinwindrad und einem Container.
Die Pilotanlage für Windthermie bei Celle besteht aus einem Kleinwindrad und einem Container.

Die meisten Häuser werden noch immer mit fossilen Energieträgern beheizt. Um die postulierte Wärmewende bis 2045 umsetzen zu können, braucht es neue Ansätze, Ideen und Technologien. Windthermie könnte eine Variante sein.

Die niedersächsische Stadt Celle liegt wahrlich nicht im Epizentrum der deutschen Windenergieindustrie. Aber sie liegt ungefähr in der Mitte von drei Standorten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), die dort am Testbetrieb einer Windmühle beteiligt sind. Das Besondere: Sie erzeugt keinen Strom, dafür aber direkt Wärme. Das Forschungsprojekt trägt den Namen Windthermie und ist nicht nur hierzulande ein absolutes Pioniervorhaben.

Die Umwandlung von Windkraft zu Wärme erscheint ziemlich naheliegend und doch hat sich bislang weder ein renommierter Hersteller von Windenergieanlagen noch ein anerkanntes Forschungsinstitut mit dieser Thematik beschäftigt oder geschweige überhaupt Interesse dafür bekundet. Die Gründe dafür sind banal. Die Preise für Wärme aus Kohle, Atom, Erdgas oder Erdöl lagen in der Vergangenheit vermeintlich extrem niedrig. Und vor 20 Jahren war der Klimawandel zwar auch schon da, wurde aber noch nicht als dermaßen dringlich erachtet; die heutige Erdgasknappheit war nicht vorstellbar. Kein Zweifel, die Zeiten haben sich geändert. Außerdem gab und gibt es verschiedene technische Ansätze, zumindest aus Windstrom, also über den Umweg der Stromerzeugung, nachhaltige Wärme zu generieren.

Eines der bekanntesten Beispiele für Wärme aus überschüssigem Windstrom findet sich im Dorf Nechlin, das die Firma Enertrag aus dem brandenburgischen Dauerthal schon seit einigen Jahren erfolgreich über ein kleines Nahwärmenetz ausreichend mit Wärme aus Windstrom versorgt. Das Prinzip ist ganz einfach: Wenn das Stromnetz ausgelastet ist und kein zusätzlicher Windstrom eingeleitet werden kann, dann wird die Windenergieanlage bei kräftigen Windstärken nicht abgeschaltet, sondern der erzeugte Strom an Heizspiralen weitergeleitet, die einen großen kommunalen Wärmespeicher aufheizen. Das funktioniert bereits seit einigen Jahren störungsfrei, wenngleich der energiepolitische Rahmen für die Etablierung solcher Vor-Ort-Lösungen immer noch mit allerlei Hürden ausgestattet ist.

Beim DLR-Projekt Windthermie wird hingegen auf Strom gänzlich verzichtet. Der Fokus ist ganz auf die direkte Wärmerzeugung gerichtet. So hat das Team von Projektleiter Malte Neumeier den Generator aus der Testanlage des ortsansässigen Kleinwindanlagenherstellers PSW entfernt und stattdessen ein Winkelgetriebe integriert, das die Antriebswelle vom Turmfuß in einen nebenstehenden Container umleitet. Dort befindet sich nun das Herzstück zur Umwandlung der mechanisch-drehenden Energie in thermische Energie. Diese gelingt durch einen sogenannten hydrodynamischen Retarder, der an die Welle montiert wird. Vereinfacht gesagt ist ein solcher Retarder eine Bremseinheit, die während des Bremsens Wärme an einen Wärmetauscher abgibt. Solche hydrodynamischen Retarder vom süddeutschen Unternehmen Voith werden seit Langem in Lkw als Bremsvorrichtung standardmäßig verbaut. Das Wirkprinzip ist dabei so, dass die drehende Achse (Welle) über die Verdichtung von Öl Widerstand erfährt und dadurch in ihrer Drehgeschwindigkeit gedrosselt wird. Dass bei diesem Vorgang große Mengen Wärme freigesetzt werden können, lässt sich leicht vorstellen, wenn man bedenkt, dass ein Lkw mit 40 Tonnen Fracht und einer Fahrtgeschwindigkeit von 100 Stundenkilometern auf abschüssiger Straße eine spontane Bremsung hinlegen muss. Die freigesetzte Energie geht beim Lkw größtenteils verloren, im Fall der Windthermie würde sie aber einen großen thermischen Nutzen bieten.

All diese Überlegungen sind auch in das Windthermie-Projekt in Celle geflossen. Den letzten Kick, um sich als DLR mit dieser erstaunlich unerforschten Materie intensiver zu beschäftigen, gab es im Jahr 2017. Damals erörterten deutsche und japanische Forscher auf einem internationalen Workshop die Chancen und Optionen dieser Technologie so überzeugend, erzählt Projektleiter Malte Neumeier, dass das DLR entschied, das Thema selber zu besetzen. Der 34-Jährige, der an der Technischen Universität Braunschweig Technologie-orientiertes Management studierte, organisiert das Projekt, das mit einem 15-kW-Modell des Celler Kleinwindanlagenherstellers PSW arbeitet. Normalerweise sind die kommerziellen Kleinwindanlagen von PSW von der Flügelspitze bis zum Turmboden einheitlich grün gestrichen, doch ist die windthermische Testanlage bewusst im neutralen Weiß gehalten, um auch nach außen hin die nichtkommerzielle, wissenschaftliche Intention zu unterstreichen. »Zudem ist der serienmäßig integrierte Generator von uns ausgebaut worden und das Getriebegestänge so umgelenkt worden, dass es in unseren Container hineinführt, wo der besagte Retarder installiert ist«, erklärt Neumeier. Die dort durch Bremsung erzeugte Wärme wird schließlich über diverse Wärmerohre in einem Speicher übergeben. »Was uns wirklich überrascht hat, dass wir mit der relativ kleinen Windanlage von 15 kW-Leistung eine Wärme erzeugen können, die Temperaturen von 70 Grad Celsius erreichen«, verrät Neumeier über die ersten Ergebnisse, die bislang noch nicht publiziert sind.

Bei nur etwas größeren Anlagen lasse sich ausmalen, dass auch höhere Temperaturen erzielbar sind. »Damit wäre die Windthermie an vielen Orten für Heizenergie einsetzbar, denn bei rund der Hälfte der in Deutschland genutzten Heizenergie werden nur Temperaturen bis maximal 200 Grad Celsius benötigt«, sieht Neumeier zukünftig gute Einsatzmöglichkeiten in vielen Segmenten.

Wenngleich die Zeiten kalter Winter sich in hiesigen Breiten dem Ende zuzuneigen scheinen, spielt das Heizen von Wohnung, Büro, Werkstatt und allen anderen Gebäuden dennoch weiterhin eine zentrale Rolle in der Energiewirtschaft: So liegt der Anteil der Gebäudeheizung am gesamten deutschen Energiebedarf nach Zahlen des Umweltbundesamtes und der Agentur für Erneuerbare Energien bei rund 40 Prozent. Nicht einmal 20 Prozent der Heizenergie stammt bisher aus erneuerbaren Quellen. Überall in der Republik wird noch mit Heizöl oder Erdgas gefeuert, rund 75 Prozent entfällt allein auf diese beiden Energieträger. Insofern könnte neben anderen Optionen auch die Windthermie eine Alternative bieten. Allerdings steckt der Teufel wie immer im Detail. Neumeier erwähnt, dass bei der bisherigen Testanlage noch erhebliche mechanische und thermische Wirkungsgradverluste identifiziert wurden.

»Die Effizienz wollen wir in der jetzt vor uns liegenden zweiten Testphase mit dem Bau eines windthermischen Prototypen deutlich erhöhen«, blickt Neumeier nach vorne. Vor allem durch die clevere Dämmung der Wärmerohre seien die Verluste deutlich reduzierbar. Aber auch die mechanischen Übertragungsverluste von der Gondel bis zum Retarder will man entscheidend optimieren, so der Projektleiter. »Wir werden mit einer Weiterentwicklung des Prototyps die mechanischen Verluste reduzieren, indem wir den Retarder in die Gondel einbauen«, erklärt er zuversichtlich. »Es funktioniert und wir wissen jetzt, wie man das besser machen kann.«

Für den geplanten Prototypen sucht das DLR-Team derweil noch einen geeigneten Wärmeabnehmer in der Großregion von Braunschweig, egal ob Kommune, Wohngenossenschaft oder Gewerbeunternehmen. Und wenn alles gut läuft, dann wird sogar später der Einbau einer Wärmepumpe angedacht. Die Idee dazu kam vom Direktor des DLR-Instituts für Flugsystemtechnik in Braunschweig, Stefan Levedag. Er erachtet mechanische – und nicht elektrische – Wärmepumpen als integriertes Bauelement der Windthermie und weitere Optimierung für vielversprechend.

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