Bernaus Linke lässt die Hüllen fallen

Politischer Aschermittwoch im Ofenhaus

Der junge Linke Max Rabe als Max Schlemmerich beim politischen Aschermittwoch in Bernau
Der junge Linke Max Rabe als Max Schlemmerich beim politischen Aschermittwoch in Bernau

Angesichts des Krieges in der Ukraine, des Erdbebens in der Türkei und in Syrien und der Energiekrise in Deutschland gefriert einem das Lachen. Darf man in solchen Zeiten noch Witze reißen? Die Bernauer Linksfraktion meint: Man muss es vielleicht sogar. »Hurra, wir leben noch!« – das müsse man hinausbrüllen, bis der Schrecken ein Ende habe, sagt am Mittwochabend Fraktionschef Dominik Rabe. »Hurra, wir leben noch!« lautet dann auch das Motto der mittlerweile zwölften Kabarettvorstellung zum politischen Aschermittwoch. Nach zwei Jahren Corona-Pause konnte die Fraktion dazu wieder ins Bernauer Ofenhaus einladen. Der Saal ist bis auf den letzten Platz besetzt. Das Publikum amüsiert sich bei Brezeln und Schokolade, und bei der Striptease-Einlage von Burkhard Seeger, der T-Shirts in den Farben der Ampel-Koalition abstreift.

Wie Seeger sind alle Darsteller Stadtverordnete – oder Kreistagsabgeordnete wie Lutz Kupitz, der in Bernau wohnt, und Sylvia Pyrlik, die in der Stadt die Buchhandlung »Schatzinsel« führt. Außerdem wirkt Dominik Rabes jüngerer Bruder Max mit – und wie! Hape Kerkelings Figur Horst Schlämmer zum Verwechseln ähnlich spielt der 17-jährige Gymnasiast einen Max Schlemmerich. Matthias Holz imitiert Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) mit dem berüchtigten Spartipp, den Waschlappen zu nehmen, statt zu duschen. Bürgermeister André Stahl muss nur sich selbst spielen – in einer Szene, die eine Sitzung des Stadtparlaments verulkt. Einen Lacherfolg hat Stahl allein schon mit dem Satz: »Ich möchte mich kurz halten.« An Linksfraktionschef Rabe gewandt, der sich in dieser Nummer ebenfalls selbst spielt, sagt Stahl: »Herr Rabe, Sie werden gleich Gelegenheit haben, mir zuzustimmen.« Diese Art, nicht nur die Konkurrenz zu veralbern, sondern sich auch selbst auf die Schippe zu nehmen, gibt dem Programm Würze.

Der Bundestagsabgeordnete Jan Korte, der die klassische Aschermittwochsrede hält, macht es genauso. Den Grünen-Abgeordneten Anton Hofreiter nennt Korte »Panzer-Toni«, SPD-Kanzler Olaf Scholz hält er vor, 40 000 Euro Steuermittel für Visagisten und Hairstylisten verbraucht zu haben, »um sich die Glatze polieren zu lassen«. Aber auch die eigenen Genossen bekommen ihr Fett weg. »Hurra, wir leben noch! Das denke ich jeden Dienstag, wenn ich aus meiner Fraktion herauskomme.« Er könne in drei Minuten alles Wesentliche sagen, versichert Korte. »Viele von uns können das nicht.« In Hauptsätzen sprechen, die ein Arbeiter versteht – Fehlanzeige. Den Ostdeutschen, die über die DDR denken, »es war nicht alles schlecht«, sagt Korte: »Es war nicht alles schlecht im Westen.« Etwa in den 80er Jahren der Widerstand der Bevölkerung gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen in Westdeutschland. Er lese kaum noch Zeitung, da von »FAZ« bis »Taz« alle das Gleiche schrieben, bedauert Korte. »Es ist doch nicht mehr normal, wie über Waffen, über Krieg gesprochen wird.«

Nach zwei Stunden beenden zwei Friedenslieder das Programm: »Meine Söhne geb’ ich nicht« des westdeutschen Liedermachers Reinhard Mey und »Kleine weiße Friedenstaube« der ostdeutschen Kindergärtnerin Erika Schirmer. Wer in der DDR aufgewachsen ist, kennt das Lied von der Friedenstaube. Für Westdeutsche und junge Menschen wird der Text zum Mitsingen eingeblendet. Es gibt noch eine Zugabe und das Versprechen eines neuen Programms nächstes Jahr.

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