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  • Bundeskabinett in Meseberg

Gespielte Einigkeit

Kabinett kann Streitpunkte auf Klausur nicht ausräumen

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Frage eines Journalisten zur Zukunft des Verbrennermotors war zwar nicht als erstes an Olaf Scholz gerichtet, aber trotzdem ergriff der Bundeskanzler sofort das Wort. Die Bundesregierung sei sich einig, dass die EU-Kommission bei den Debatten über das Aus für Verbrenner-Motoren ab dem Jahr 2035 einen Vorschlag zur Berücksichtigung von synthetischen Kraftstoffen, sogenannten E-Fuels, machen solle, verkündete der SPD-Politiker. Er wollte nach der zweitägigen Kabinettsklausur im brandenburgischen Meseberg den Eindruck vermeiden, dass es innerhalb seines rot-grün-gelben Bündnisses viele Reibereien gibt.

Gefragt war auf der Abschlusspressekonferenz am Montag eigentlich zunächst Finanzminister Christian Lindner, dessen FDP-Parteikollege und Verkehrsressortchef Volker Wissing sich mit Verweis auf die E-Fuels bisher gegen die EU-Regelung zum Verbrenner-Aus wendet. Lindner wartete höflich, bis Scholz zu Ende geredet hatte und machte dann deutlich, dass Wissing weiter auf seine Unterstützung zählen kann. Die Europäische Union musste wegen der Haltung des deutschen Verkehrsministers ihren geplanten Beschluss zum Verbrenner-Aus, der einen großen Beitrag zum Klimaschutz liefern soll, verschieben.

Kein Wort zu dem Thema verlor Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen. Sein Staatssekretär Sven Giegold hatte sich kürzlich in Brüssel für Verbrennungsmotoren außerhalb der sogenannten Flottengrenzwerte ausgesprochen, die mit »nachhaltigen E-Fuels« betrieben werden sollten. Das Thema sorgt auch in den Reihen der Grünen für Streit. Umweltministerin Steffi Lemke soll diesen Vorschlag ihres Parteikollegen Giegold laut einem Bericht des »Spiegels« in Meseberg abgelehnt haben.

Weitgehend einig zeigten sich Scholz, Lindner und Habeck beim Ausbau der Digitalisierung und der Nutzung von Künstlicher Intelligenz. Beide Themen waren auf der Klausur besprochen worden. Die Digitalisierung der Wirtschaft, neue Geschäftsmodelle und die Transformation würden Deutschland und Europa Wohlstand und Wachstum für die nächsten Jahre und Jahrzehnte bescheren, sagte Habeck. »Es ist ein gigantisches Industrie- und Beschäftigungsprogramm, das wir hier anschieben.« Die Bundesrepublik soll nach dem Klimaschutzgesetz bis 2045 CO2-neutral sein. Dies erfordert große Investitionen in den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft. Zentral ist dabei der Ausbau des Ökostroms aus Wind und Sonne.

Über andere Themen wurden nach Auskunft von Lindner am Rande der Klausur informelle Gespräche geführt. »Wir haben das eine oder andere geklärt«, teilte der FDP-Vorsitzende mit. Dies sei hilfreich für die künftige Arbeit des Bundeskabinetts. Die Regierungspolitiker waren zurückhaltend, was Details anging. Eine Ausnahme war die Kindergrundsicherung. Innerhalb der Koalition war zuletzt vor allem über den Umfang der Finanzierung gestritten worden. Lindner geht von deutlich geringeren Kosten aus als Familienministerin Lisa Paus. Die Planungen der Grünen-Politikerin sehen vor, dass ab dem Jahr 2025 Leistungen vom Kindergeld über den Kinderzuschlag bis zur finanziellen Unterstützung für Klassenfahrten und Freizeit gebündelt werden. Hintergrund ist, dass viele Familien solche Leistungen bislang nicht beantragen. Gründe hierfür sind Unkenntnis oder bürokratische Hürden. Paus rechnet mit Kosten in Höhe von zwölf Milliarden Euro.

Nun zeigte sich Lindner in Meseberg optimistisch, dass die geplante Kindergrundsicherung bald auf den Weg gebracht werden kann. »Es gibt Einvernehmen, dass wir die den Familien zustehenden Leistungen automatisiert, digitalisiert zur Verfügung stellen«, sagte der Finanzminister. Alleine die Bewilligungen für die berechtigten Familien zu automatisieren, werde schätzungsweise im Jahr 2025 zwei bis drei Milliarden Euro kosten. »Und das ist auch sicher zu leisten«, konstatierte Lindner.

Einige Konflikte dürften in der Regierung weiterhin schwelen. Im Zentrum steht Lindner, der Mitte März die Eckpunkte für den Etat des kommenden Jahres vorlegen will. In vielen Ministerien wird die Forderung nach mehr Geld laut, als der FDP-Politiker ihnen zugestehen will. Insgesamt soll es um 70 Milliarden Euro gehen, die dem Finanzminister zusätzlich entlockt werden sollen. Doch der bleibt bisher stur und verweist auf die sogenannte Schuldenbremse. Steuererhöhungen für Spitzenverdiener und Vermögende, die SPD und Grüne noch im Wahlkampf gefordert hatten, sind aus Sicht von Lindner ausgeschlossen.

Bis zur Pressekonferenz von Scholz und seinen zwei Ministern hielt sich sogar das Gerücht, dass es in der winterlichen Landschaft vor Schloss Meseberg zu einer Schneeballschlacht zwischen Kabinettsmitgliedern gekommen sei. »Ich habe einen Schneeball geworfen«, bekannte Scholz vor den Journalisten. Wie es sich für einen Kanzler gehöre, habe er aber auf niemanden gezielt.

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