Wenn die Glocke vier Uhr schlägt ...

… mischt die Basler Fasnacht die aufgeräumte Kulturstadt auf

  • Ulrike Wiebrecht
  • Lesedauer: 5 Min.
Farbenfroh, fröhlich und auch politisch zieht der Zug durch die Stadt.
Farbenfroh, fröhlich und auch politisch zieht der Zug durch die Stadt.

Mehlsuppe und Weißwein morgens um halb sechs? Bei dem Gedanken schüttelt es einen. Es sei denn, man ist in Basel und es ist Fasnacht. Da sind wir dankbar, dass wir einen Tisch in der vollbesetzten Bar Kuni & Gunde ergattert haben und uns ein bisschen aufwärmen können. Draußen ist es bitterkalt, wir sind schon seit Stunden auf den Beinen. Aber den Morgestraich darf man sich schließlich nicht entgehen lassen.

Mit ihm fällt am Montag in der Frühe der Startschuss zur Basler Fasnacht. Kurz vor vier strömt alles zum Barfüsserplatz. Dann gehen ringsum die Lichter aus. Selbst die Schaufensterbeleuchtung muss unter Strafe ausgeschaltet werden. Nur die Laternen, die die Fasnachtsformationen auf ihren Köpfen tragen, blitzen wie Glühwürmchen in der gespenstischen Dunkelheit auf. Plötzlich wird es still. Alle blicken gebannt zum Turm der Martinskirche: Kaum hat ihre Glocke zum vierten Mal geschlagen, setzt ein wilder Trommelwirbel ein. Dazu das schrille Pfeifen der Piccoloflöten. Mit denen ziehen nun Tausende von Kostümierten mit ihren Masken durch die Straßen. Um die elftausend sollen es sein. »Wobei sich zu den offiziellen Cliquen noch improvisierte Schissdräck-Zügli, kleine, versprengte Gruppierungen gesellen«, erklärt Jacqueline Frei, die sich als Stadtführerin auf das Thema Fasnacht spezialisiert hat.

Insgesamt machen 18 000 bis 20 000 Menschen, also zehn Prozent der Basler Bevölkerung mit, ein Vielfaches davon sieht ihnen zu. »Wir sagen, dass ein Basler Junge schon mit einer Trommel zur Welt kommt«, schmunzelt die Expertin. In jedem Fall ist die Basler Fastnacht die größte in der Schweiz und überhaupt die größte protestantische. Umso erstaunlicher, dass es bei den Menschenmassen in der Dunkelheit kaum zu Rempeleien oder Paniksituationen kommt. Wir können auch nirgendwo Polizei oder Ordnungskräfte entdecken.

Das Treiben zieht sich über mehrere Stunden hin. Zwischendurch fallen die Maskierten in die Lokale ein, die zu dieser Zeit geöffnet haben. Bei Mehlsuppe, Käse- oder Zwiebelwähen, heißem Kaffee, Weißwein oder Fröschli – Pfefferminztee mit Wodka – tanken sie neue Energie. So geht es, bis es hell wird. Dann tauchen mit einem Mal aus der Geisterstadt wieder die vertrauten Schilder der Modeboutiquen, Supermärkte und Banken auf. Hier und da fliegen Pappbecher herum: Nach dem kollektiven Trip in irgendwelche magischen Welten kommt man wieder im Hier und Jetzt an und geht schlaftrunken nach Hause.

Doch die Ernüchterung hält nicht lange an: Mittags startet bereits der Cortège, der große Umzug mit geschmückten Wagen, von denen die Narren tonnenweise Konfetti – sogenannte Räppli –, Orangen und Porree-Stangen in die Menge schleudern. Am nächsten Tag folgt dann die Kinderfastnacht, später gehört die Stadt den Gugge-Musikern, die lautstark in Posaunen blasen und mächtig auf die Pauke hauen. Und immer wieder schallen aus irgendwelchen Gassen Trommelschläge, bis die »drei scheenschte Dääg« am Donnerstagmorgen im Katzenjammer enden. »Das ist dann wirklich ein trauriger Moment«, sagt Jacqueline. »Man ist geschafft nach drei Tagen und drei Nächten. Man hat viel zusammen durchgestanden. Dann zieht man die Larven ab, wie die Masken hier heißen, umarmt sich, geht noch einmal zusammen frühstücken, schläft eine Runde – und fängt an, sich auf die nächste Fasnacht zu freuen.«

Schon eindrucksvoll, gewiss. Aber wie ist es möglich, dass sich eine Kunst- und Kulturstadt, die ansonsten mit erstklassigen Museen und puristischer Avantgardearchitektur lockt, eine solche Auszeit erlaubt? Tatsächlich sind die sonst so gesitteten Schweizer nicht wiederzuerkennen. 72 Stunden lang machen sie ohrenbetäubenden Lärm, fluten die Straßen mit Müll und Konfetti, manch einer wankt von einer Häuserwand zur anderen. Immerhin blickt die Fasnacht auf eine mehr als tausendjährige Tradition zurück, die bis in die Zeit der Kelten und Germanen zurückreicht. An der haben die Basler auch dann noch festgehalten, als die Stadt nach der Reformation protestantisch und das närrische Treiben bei Todesstrafe verboten wurde. Was die Ursprünge der Fasnacht angeht, kommen drei Elemente zusammen: Zum einen die Religion, wonach in der Nacht vor der Fastenzeit noch mal ordentlich gefeiert wird, dann das Brauchtum des Winteraustreibens, schließlich die militärischen Musterungen innerhalb der früheren Zünfte. Später bekam die Fasnacht auch eine politische Dimension und stand für das Aufbegehren gegen die Obrigkeit. Diesen kritischen Part übernehmen seit dem 19. Jahrhundert die sogenannten Schnitzelbänke, die abends in den Cliquenkellern ihre satirischen Spottlieder zum Besten geben und so ziemlich alles durch den Kakao ziehen, was im zurückliegenden Jahr schiefgelaufen ist.

Was auf den ersten Blick nach Anarchie aussieht, wenn Sperrstunde und Vermummungsverbot ausgesetzt werden, unterliegt dennoch festen Regeln: Es gilt zum Beispiel, auf der Straße den Formationen den Vortritt zu lassen, keine Menschenketten zu bilden und auch kein Konfetti auf Maskierte werfen, die sonst nicht atmen können. Außerdem darf beim Morgenstreich nicht mit Blitzlicht fotografiert werden. Dass all das weitgehend eingehalten wird, dürfte bei den zivilisierten Eidgenossen nicht überraschen. Erstaunlich ist allerdings, dass ein so spektakuläres Event nicht in Kommerz ausgeartet ist. Natürlich kommen inzwischen auch viele Touristen. Doch die müssen damit rechnen, dass so manches Hotel oder Lokal zumacht, um selbst bei dem Treiben dabei sein zu können. Und in vielen, die geöffnet haben, bleiben die Fasnächtler lieber unter sich.

Die Authentizität hat sicher eine wichtige Rolle gespielt, als die Basler Fasnacht 2017 ins immaterielle Welterbe der Unesco aufgenommen wurde. Ausschlaggebend waren vor allem drei Kriterien, wie Felix Rudolf von Rohr, Präsident des Fastnachtscomités, berichtet: »Zum einen zählt die Funktion des kritischen Hofnarren, der den Mächtigen den Spiegel vorhält«, sagt er. Dabei dürfe alles thematisiert werden, nur Rassismus, Pornographie und die Verletzung religiöser Gefühle seien tabu. Zugleich habe die Fasnacht eine wichtige soziale Komponente. »Ob Bankdirektor oder Straßenfeger, ob politisch rechts oder links – an der Fasnacht versteht man sich, redet miteinander und es hält an«, spricht der Fasnächtler aus Erfahrung. Auch später würde der Direktor den Portier noch duzen und umgekehrt. Weiterer wichtiger Aspekt für die Unesco ist die geballte Kreativität. Abgesehen von den unzähligen Musikern, die das ganze Jahr hindurch proben, und den aufwendig dekorierten großen Laternen, die auf dem Münsterplatz ausgestellt werden, sind auch die geistreichen, pointierten Spottlieder in Dialekt hohe Kunst. Nur schade, dass wir als Außenstehende nicht darüber lachen können!

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