Die nächste Flut und das nächste Fischsterben

Brandenburgs Grüne veranstalten im Kleistforum von Frankfurt (Oder) eine Oderkonferenz mit polnischen Grünen

Drüben am polnischen Ufer werden Buhnen gebaut, die in den Fluss hineinragen. Auf deutscher Seite entsteht an der Oderpromenade von Frankfurt (Oder) eine Betonmauer zum Schutz vor Hochwasser. Damit die Bauarbeiter den Beton einfüllen und aushärten lassen können, wird zunächst eine Spundwand aus Stahl davorgesetzt. 22,4 Millionen Euro kosten die Baumaßnahmen an der Oderpromenade. Der symbolische erste Spatenstich war im August vergangenen Jahres. 2024 soll alles fertig sein. Damit wird eine der letzten Lücken geschlossen. 90 Prozent der Deiche am brandenburgischen Abschnitt der Oder sind bereits für ein Hochwasser gewappnet, wie es statistisch alle 200 Jahre vorkommt. Rein rechnerisch ist eine große Flut wie die im Jahr 1997 inzwischen überfällig. Es ist also höchste Zeit.

Auch Polen bleibt nicht untätig, will aber bei der Gelegenheit den Fluss gleich noch für die Binnenschifffahrt ausbauen. Das erbittert Umweltschützer. Sie sehen darin eine zusätzliche Gefahr für das Ökosystem, nachdem die Oder im vergangenen Jahr ein gewaltiges Fischsterben erlebte, bei dem auch Muscheln verendeten. Fast 400 Tonnen toter Fische mussten eingesammelt werden. Um diese Katastrophe aufzuarbeiten und Schussfolgerungen zu ziehen, veranstaltete die Landtagsfraktion der Grünen am Montag eine Konferenz. Dabei blieben Abgeordnete und Minister der Grünen im Kleistforum von Frankfurt (Oder) allerdings weitgehend unter sich, wenn man von ein paar Fachleuten absah. Auch die via Internet zugeschalteten Redner gehörten in vielen Fällen zu den Grünen.

Der Bundesverkehrsminister bleibt fern

Dies war so jedoch nicht beabsichtigt. Es fehle die polnische Regierung und es fehle auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), beklagte Landtagsfraktionschef Benjamin Raschke. Wissing sei »abgetaucht«. Sein Ministerium habe abgesagt und außerdem der Bundesanstalt für Wasserbau nicht genehmigt, Vertreter zu entsenden, ergänzte die Landtagsabgeordnete Sahra Dahmus.

So war Robert Radzimanowski von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Ostbrandenburg der einzige Befürworter des Oderausbaus, der sich der Diskussion stellte. Wer den Stopp der Bauarbeiten in Polen ablehne, müsste eigentlich auch die Hochwasserschutzmaßnahmen an der Oderpromenade einstellen, erklärte Radzimanowski. »Spundwände reinzurammen auf deutscher Seite ist nichts anderes, als auf polnischer Seite Steine ins Wasser zu legen. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu«, argumentierte er. Auch bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes hält man die polnischen Aktivitäten für gar nicht mal so falsch. Radzimanowski lobte die Polen dafür, dass sie an der Oder neue Polder und Retentionsflächen geschaffen haben. Dorthin kann sich der Fluss bei einem Hochwasser ausbreiten, was Druck von den Deichen nimmt. Das sei auf deutscher Seite bisher nicht gelungen, bemerkte der Mann von der IHK. Dann auch noch die Bedingungen für die Binnenschifffahrt zu verbessern, hält er für eine gute Idee. Es gehe darum, Container und große Teile auf dem Wasserweg zu befördern, die auf den Straßen und Schienen gar nicht zu transportieren seien. »Ein Großteil unserer Unternehmen spiegelt uns, dass das ein wichtiger Weg ist«, sagte Radzimanowski.

Gibt es Bedarf für mehr Binnenschiffe?

Dieser Darstellung widersprachen die Landtagsabgeordneten Sahra Damus und Clemens Rostock und auch Michael Kellner, Staatssekretär von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Das Stahl- und Walzwerk in Eisenhüttenstadt bringe seine Erzeugnisse über seinen Bahnanschluss fort und das Rohöl für die PCK-Raffinerie in Schwedt werde über Rohrleitungen herangeschafft. Die Oder sei rund 300 Tage im Jahr nicht schiffbar und damit für die Logistik zu unsicher. Mal kämen Binnenschiffe wegen Hochwassers nicht unter den Brücken durch, mal hätten sie wegen Niedrigwassers nicht genug Wasser unter dem Kiel und mal sei die Oder zugefroren. Die Binnenschifffahrt sei nur etwas für Waren, bei denen es nicht darauf ankomme, wenn mal drei Wochen oder sogar ein halbes Jahr lang überhaupt nichts geht. Und selbst wenn die Flüsse schiffbar sind, dauere der Transport länger als mit Lastkraftwagen oder Güterzügen. Der Abgeordnete Clemens Rostock stellt die Binnenschifffahrt nicht generell infrage. Die habe eine gute Ökobilanz. Hier gehe es aber um die Kosten-Nutzen-Rechnung. »Selbst wenn man den Güterverkehr auf der Oder verzehnfachen würde, wäre es nur eine Nebenwasserstraße«, erinnerte Rostock. Staatssekretär Kellner hatte zuvor erläutert, dass die Oder als Nebenwasserstraße eingestuft sei. Man sehe nur selten einmal ein Güterschiff.

Zu dem Fischsterben ist es nach Erkenntnissen der Umweltorganisation Greenpeace durch Salzeinleitungen in Nebenflüsse gekommen, für die zwei polnische Bergbaufirmen in Górny Śląsk (Oberschlesien) verantwortlich sein sollen. Diese berufen sich darauf, nicht illegal zu handeln, berichtete Nina Noelle von Greenpeace im Kleistforum. Die zulässigen Grenzwerte seien zu hoch angesetzt. Die hohe Salzkonzentration in der Oder führte im Verbund mit Niedrigwasser und großer Hitze zum Wachstum einer giftigen Brackwasseralge. Diese tötete die Fische und Muscheln.

»Die weiterhin zu hohen Messwerte sind mit Blick auf den Sommer besorgniserregend«, warnte Bundesumweltminister Steffi Lemke (Grüne). Es könnte wieder zu einem Fischsterben kommen.

»Wir haben keine Regierung, die rechtsstaatlich ist«, bedauerte Beata Bilska, Vorstandsmitglied der oppositionellen polnischen Partia Zieloni, also der grünen Partei. »Die werden den Fluss bis zum Letzten ausnutzen.«

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