Bündnis NOlympia: Mit Schwung gegen die Spiele

Diskuswerfer und Olympiasieger Christoph Harting unterstützt Volksbegehen zur Absage der Hauptstadt

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Christoph Harting im August 2016 bei den Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro im Finale der Diskuswerfer
Christoph Harting im August 2016 bei den Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro im Finale der Diskuswerfer

Er ist die wichtigste und bekannteste Persönlichkeit im Raum, hat sich aber dennoch bescheiden ein Plätzchen am Rand gesucht. Da sitzt der Diskuswerfer Christoph Harting, der bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro eine Goldmedaille gewann, trinkt aus einer Flasche Wasser und lächelt. Schließlich wird er an den Tisch gebeten und soll den versammelten Journalisten sagen, warum er dagegen ist, dass sich Berlin als Ausrichter der Olympischen Spiele 2036, 2040 oder 2044 bewirbt. Die Trainingsbedingungen im Sportforum Hohenschönhausen haben sich in den vergangenen 20 Jahren zwar sehr verbessert, doch anderswo in der Hauptstadt seien die Laufbahnen »ein Flickenteppich«, erzählt er.

In einer ausgeteilten Pressemitteilung wird Harting zitiert: »Leistungssportförderung beginnt in der Breite, mit einem funktionierenden Kinder-, Jugend- und Breitensport. Die Lücken durch eine aufwendige, kostspielige Bewerbung für Olympische Spiele schließen zu wollen, ist absurd und populistisch.«

Der Diskuswerfer nickt, als die junge Abgeordnete Klara Schedlich (Grüne) berichtet, dass viele Kinder auf den Wartelisten von Sportvereinen stehen, denen es an Trainingszeiten in Turn- und Schwimmhallen mangelt. Schedlich erklärt, dass wenig Aussicht besteht, dass mehr Kapazitäten geschaffen werden, wenn Berlin erst Millionen für seine eigentlich aussichtlose Bewerbung verschleudert und dann schlimmstenfalls Milliarden für die Spiele selbst. Es gebe kein Konzept und keine Kostenschätzung, bedauert Schedlich. Aber klar sei, dass solche Spiele Berlin teuer zu stehen kommen würden.

»Es geht immer auf die Kosten der einfachen Leute.«

Christoph Harting Diskuswerfer

Das Bündnis NOlympia will ein Volksbegehren gegen Spiele in Berlin starten. Anfang 2026 will es beginnen, die Unterschriften zu sammeln. Mindestens 20 000 sind erforderlich und Uwe Hiksch von den Naturfreunden ist überzeugt, dass innerhalb von vier Monaten noch deutlich mehr Berliner unterschreiben werden. Die Grünen und die Linken gehören neben den Naturfreunden und dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) zum NOlympia-Bündnis. Täglich stoßen neue Gruppen dazu, sagt Hiksch. Ganz frisch dabei seien jetzt die Jusos. Das ist beachtlich, weil von deren Mutterpartei die für den Sport zuständige Innensenatorin Iris Spranger (SPD) eine glühende Befürworterin Olympischer Spiele in Berlin ist – zusammen mit dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU).

Doch das Bündnis NOlympia zeigt sich am Donnerstag beim Pressetermin in der Warschauer Straße 59a optimistisch, diese beiden Politiker stoppen zu können. Wenn sie nicht früher einlenken, soll bei der zweiten Stufe eines Volksbegehrens auch die Marke von 174 000 Unterschriften geknackt werden – und wenn das immer noch nicht reicht, käme 2027 ein Volksentscheid. Das wäre dann schon nach der Entscheidung des Nationalen Olympischen Komitees, ob sich aus Deutschland Berlin, Hamburg, München oder die Rhein-Ruhr-Region um die Sommerspiele 2036, 2040 oder 2044 bemühen sollen.

In München hat bei einem Bürgerentscheid am 26. Oktober eine deutliche Mehrheit von 66,3 Prozent dafür gestimmt. In Berlin dagegen sprachen sich einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa zufolge 67 Prozent der Einwohner dagegen aus. Sollte das Volksbegehren dennoch scheitern und Berlin überraschenderweise den Zuschlag für Sommerspiele erhalten, könnte in ein paar Jahren ein weiteres Volksbegehren gestartet werden, erklärt Uwe Hiksch von den Naturfreunden. Erfahrungsgemäß nehme der Widerstand zu, je näher der Termin rücke, sagt er. Für Hiksch ist es bereits die dritte Kampagne gegen Olympische Spiele, an der er sich in seinem Leben beteiligt. Für die junge Grünen-Politikerin Schedlich ist es das erste Mal. Auch sie rechnet damit, dass die Berliner keine Sommerspiele wollen, insbesondere nicht 2036 – weil das dann genau 100 Jahre nach den Spielen von 1936 wäre. Diese Spiele hatte Adolf Hitler eröffnet. Die Nazis hatten die Gelegenheit benutzt, um das durch Gräueltaten an KZ-Häftlingen und die Diskriminierung der Juden ramponierte Ansehen ihres Regimes im Ausland etwas aufzupolieren.

Nie wieder sind Olympische Spiele so schwer missbraucht worden. Problematisch in dieser und jener Hinsicht sind aber auch einige andere gewesen. Für Olympiasieger Harting waren die Spiele 2012 in London die letzten, die rundum gelungen waren. 2016 in Rio herrschten beste Bedingungen für die Sportler, erinnert er sich gern. Aber leiden mussten dort die Ärmsten der Stadt, die für schöne Sportstätten verdrängt worden seien, die mittlerweile schon wieder verfallen. »Ich habe das vor Ort erlebt«, sagt Harting. »Unsere Handballjungs gewannen Bronze.« Aber nebenan seien Bewohner eines Armenviertels ausgesiedelt worden. »So ist es bei allen Olympischen Spielen. Es geht immer auf die Kosten der einfachen Leute«, bedauert Harting.

Bei den Sommerspielen 2024 in Paris seien 13 000 Obdachlose mit Bussen aus der Innenstadt weggebracht worden und 2000 Studenten mussten ihre Unterkünfte räumen, berichtet Hiksch. Auch in Berlin würde dergleichen geschehen. Das will er nicht. Nachhaltige Spiele gebe es nicht, solange das Internationale Olympische Komitee die Ausrichter zu riesigen Modernisierungs- und Neubaumaßnahmen zwinge. Es würden weitere Flächen sinnlos versiegelt und noch mehr Ressorcen verbraucht. Mit den Klimazielen der Bundeshauptstadt sei das nicht vereinbar. An Olympische Spiele 2048 und 2052 denkt das Bündnis NOlympia jetzt noch nicht. Bis dahin könnten sich die Rahmenbedingungen ja durchaus geändert haben.

Derweil sammelt der Landessportbund Unterschriften für Olympische Spiele. Ob die Gegner mit den Befürwortern sprechen? Das schon, aber es würde zu nichts führen, die Positionen seien konträr, sagt die Ex-Abgeordnete Gabriele Hiller (Linke). Sie gehört wie Klara Schedlich, Uwe Hiksch, der Sportwissenschaftler Johannes Verch und Carmen Schultze vom BUND zu den Vertrauenspersonen des Volksbegehrens.

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